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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 95.
risäer rechtfertigt, bei Lukas und Markus nämlich durch
die Frage, was am Sabbat eher angehe, Gutes zu thun oder
Böses, ein Leben zu erhalten, oder zu verderben? bei Mat-
thäus, neben einem Stück von dieser Rede, durch das Dik-
tum von der sabbatlichen Rettung des in die Grube gefal-
lenen Schaafs. Lukas, welcher diese Gnome hier nicht hat,
legt sie mit der Abweichung, dass statt des probaton ein
onos e bous, und statt der Grube der Brunnen steht, bei
Gelegenheit der Heilung eines udropikos Jesu in den Mund
(14, 5.), eine Erzählung, an welcher überhaupt die Ähn-
lichkeit mit der bisher erwogenen auffällt. Jesus speist bei
einem Pharisäerobersten, wo man, wie dort in der Syna-
goge nach den zwei mittleren Evangelisten, auf ihn lauert
(hier: esan parateroumenoi, dort: pareteroun); es ist ein
Wassersüchtiger da, wie dort ein Mensch mit verdorrter
Hand; wie dort nach Matthäus die Pharisäer Jesum fra-
gen: ei exesi tois sabbasi therapeuein; nach Markus und
Lukas Jesus sie fragt, ob es erlaubt sei, am Sabbat ein
Leben zu retten u. s. f.: so legt er ihnen hier die Frage
vor: ei exesi to sabbato therapeuein; worauf, wie dort,
die Gefragten schweigen (dort Markus: oi de esiopon,
hier Lukas: oi de esukhasan); endlich als Epilog der Hei-
lung, wie dort bei Matthäus als Prolog, das Diktum von
dem in den Brunnen gefallenen Thiere. Eine natürliche
Erklärung, wie sie auch von diesem Heilungswunder gege-
ben worden ist 14), erscheint hier ganz besonders als ver-
lorene Mühe, wo wir gar keine besondere Geschichte vor
uns haben, die auf eigenem historischen Fundamente ruh-
te, sondern eine blosse Variation über das Thema der Sab-
batheilungen und die Gnome von dem verunglückten Last-
thier, welche dem einen (Matthäus) in Verbindung mit der
Wiederherstellung einer dürren Hand, dem andern (Lu-
kas) mit der Heilung eines Wassersüchtigen, einem drit-

14) Paulus, ex. Handb. 2, S. 341 f.

Neuntes Kapitel. §. 95.
risäer rechtfertigt, bei Lukas und Markus nämlich durch
die Frage, was am Sabbat eher angehe, Gutes zu thun oder
Böses, ein Leben zu erhalten, oder zu verderben? bei Mat-
thäus, neben einem Stück von dieser Rede, durch das Dik-
tum von der sabbatlichen Rettung des in die Grube gefal-
lenen Schaafs. Lukas, welcher diese Gnome hier nicht hat,
legt sie mit der Abweichung, daſs statt des πρόβατον ein
ὄνος ἢ βοῦς, und statt der Grube der Brunnen steht, bei
Gelegenheit der Heilung eines ὑδρωπικὸς Jesu in den Mund
(14, 5.), eine Erzählung, an welcher überhaupt die Ähn-
lichkeit mit der bisher erwogenen auffällt. Jesus speist bei
einem Pharisäerobersten, wo man, wie dort in der Syna-
goge nach den zwei mittleren Evangelisten, auf ihn lauert
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Wassersüchtiger da, wie dort ein Mensch mit verdorrter
Hand; wie dort nach Matthäus die Pharisäer Jesum fra-
gen: εἰ ἐξεςι τοῖς σάββασι ϑεραπεύειν; nach Markus und
Lukas Jesus sie fragt, ob es erlaubt sei, am Sabbat ein
Leben zu retten u. s. f.: so legt er ihnen hier die Frage
vor: εἰ ἔξέςι τῷ σαββάτῳ ϑεραπεύειν; worauf, wie dort,
die Gefragten schweigen (dort Markus: οἱ δὲ ἐσιώπων,
hier Lukas: οἱ δὲ ἡσύχασαν); endlich als Epilog der Hei-
lung, wie dort bei Matthäus als Prolog, das Diktum von
dem in den Brunnen gefallenen Thiere. Eine natürliche
Erklärung, wie sie auch von diesem Heilungswunder gege-
ben worden ist 14), erscheint hier ganz besonders als ver-
lorene Mühe, wo wir gar keine besondere Geschichte vor
uns haben, die auf eigenem historischen Fundamente ruh-
te, sondern eine bloſse Variation über das Thema der Sab-
batheilungen und die Gnome von dem verunglückten Last-
thier, welche dem einen (Matthäus) in Verbindung mit der
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14) Paulus, ex. Handb. 2, S. 341 f.
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[127/0146] Neuntes Kapitel. §. 95. risäer rechtfertigt, bei Lukas und Markus nämlich durch die Frage, was am Sabbat eher angehe, Gutes zu thun oder Böses, ein Leben zu erhalten, oder zu verderben? bei Mat- thäus, neben einem Stück von dieser Rede, durch das Dik- tum von der sabbatlichen Rettung des in die Grube gefal- lenen Schaafs. Lukas, welcher diese Gnome hier nicht hat, legt sie mit der Abweichung, daſs statt des πρόβατον ein ὄνος ἢ βοῦς, und statt der Grube der Brunnen steht, bei Gelegenheit der Heilung eines ὑδρωπικὸς Jesu in den Mund (14, 5.), eine Erzählung, an welcher überhaupt die Ähn- lichkeit mit der bisher erwogenen auffällt. Jesus speist bei einem Pharisäerobersten, wo man, wie dort in der Syna- goge nach den zwei mittleren Evangelisten, auf ihn lauert (hier: ἠσαν παρατηρου̍μενοι, dort: παρετήρουν); es ist ein Wassersüchtiger da, wie dort ein Mensch mit verdorrter Hand; wie dort nach Matthäus die Pharisäer Jesum fra- gen: εἰ ἐξεςι τοῖς σάββασι ϑεραπεύειν; nach Markus und Lukas Jesus sie fragt, ob es erlaubt sei, am Sabbat ein Leben zu retten u. s. f.: so legt er ihnen hier die Frage vor: εἰ ἔξέςι τῷ σαββάτῳ ϑεραπεύειν; worauf, wie dort, die Gefragten schweigen (dort Markus: οἱ δὲ ἐσιώπων, hier Lukas: οἱ δὲ ἡσύχασαν); endlich als Epilog der Hei- lung, wie dort bei Matthäus als Prolog, das Diktum von dem in den Brunnen gefallenen Thiere. Eine natürliche Erklärung, wie sie auch von diesem Heilungswunder gege- ben worden ist 14), erscheint hier ganz besonders als ver- lorene Mühe, wo wir gar keine besondere Geschichte vor uns haben, die auf eigenem historischen Fundamente ruh- te, sondern eine bloſse Variation über das Thema der Sab- batheilungen und die Gnome von dem verunglückten Last- thier, welche dem einen (Matthäus) in Verbindung mit der Wiederherstellung einer dürren Hand, dem andern (Lu- kas) mit der Heilung eines Wassersüchtigen, einem drit- 14) Paulus, ex. Handb. 2, S. 341 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/146>, abgerufen am 29.04.2024.