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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
aber nicht vielmehr in die Augen, dass wir hier eine
Sage zur Verherrlichung des monotheistischen Prophe-
tenthums und zur Brandmarkung des israelitischen Göz-
zendiensts in der Person seines Urhebers Jerobeam vor
uns haben? Der Mann Gottes weissagt dem Götzenaltar
schnellen wunderbaren Ruin; der abgöttische König streckt
freventlich die Hand gegen den Gottesmann aus; die Hand
erstarrt, der Götzenaltar zerfällt in Staub, und nur auf die
Fürbitte des Propheten wird der König wiederhergestellt:
wer mag hier über wunderbaren oder natürlichen Hergang
rechten, wo man eine offenbare Mythe vor sich hat? Und
wer kann ferner in unsrer evangelischen Erzählung eine
Nachbildung jener A. T.lichen verkennen, wobei nur dem
Geiste des Christenthums gemäss die Vertrocknung der Hand
nicht als Strafwunder eintritt, sondern als natürliche Krank-
heit dargestellt, und Jesu nur die Heilung zugeschrieben,
ebendesswegen auch nicht wie dort die Ausstreckung der
Hand zur verbrecherischen Ursache und zum pönalen Ha-
bitus der Krankheit, das Anziehen derselben aber zum Zei-
chen der Genesung gemacht wurde, sondern die Hand, wel-
che bis dahin krankhaft angezogen war, nach vollbrachter
Heilung wieder ausgestreckt werden kann. Dass auch sonst
um jene Zeit im Orient den Lieblingen der Götter das
Vermögen zu dergleichen Heilungen zugeschrieben wurde,
sehen wir aus einer schon früher angeführten Erzählung,
in welcher dem Vespasian neben einer Blindenheilung auch
die Wiederherstellung einer kranken Hand zugeschrieben
wird 13)

Nicht selbstständig übrigens und als Zweck für sich
tritt in dieser Geschichte das Heilungswunder auf, sondern
die Hauptsache ist, dass es am Sabbat geschieht, und die
Spitze der Anekdote liegt in den Worten, durch welche
Jesus seine heilende Thätigkeit am Sabbat gegen die Pha-

13) Tacit. Histor. 4, 81.

Zweiter Abschnitt.
aber nicht vielmehr in die Augen, daſs wir hier eine
Sage zur Verherrlichung des monotheistischen Prophe-
tenthums und zur Brandmarkung des israëlitischen Göz-
zendiensts in der Person seines Urhebers Jerobeam vor
uns haben? Der Mann Gottes weissagt dem Götzenaltar
schnellen wunderbaren Ruin; der abgöttische König streckt
freventlich die Hand gegen den Gottesmann aus; die Hand
erstarrt, der Götzenaltar zerfällt in Staub, und nur auf die
Fürbitte des Propheten wird der König wiederhergestellt:
wer mag hier über wunderbaren oder natürlichen Hergang
rechten, wo man eine offenbare Mythe vor sich hat? Und
wer kann ferner in unsrer evangelischen Erzählung eine
Nachbildung jener A. T.lichen verkennen, wobei nur dem
Geiste des Christenthums gemäſs die Vertrocknung der Hand
nicht als Strafwunder eintritt, sondern als natürliche Krank-
heit dargestellt, und Jesu nur die Heilung zugeschrieben,
ebendeſswegen auch nicht wie dort die Ausstreckung der
Hand zur verbrecherischen Ursache und zum pönalen Ha-
bitus der Krankheit, das Anziehen derselben aber zum Zei-
chen der Genesung gemacht wurde, sondern die Hand, wel-
che bis dahin krankhaft angezogen war, nach vollbrachter
Heilung wieder ausgestreckt werden kann. Daſs auch sonst
um jene Zeit im Orient den Lieblingen der Götter das
Vermögen zu dergleichen Heilungen zugeschrieben wurde,
sehen wir aus einer schon früher angeführten Erzählung,
in welcher dem Vespasian neben einer Blindenheilung auch
die Wiederherstellung einer kranken Hand zugeschrieben
wird 13)

Nicht selbstständig übrigens und als Zweck für sich
tritt in dieser Geschichte das Heilungswunder auf, sondern
die Hauptsache ist, daſs es am Sabbat geschieht, und die
Spitze der Anekdote liegt in den Worten, durch welche
Jesus seine heilende Thätigkeit am Sabbat gegen die Pha-

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[126/0145] Zweiter Abschnitt. aber nicht vielmehr in die Augen, daſs wir hier eine Sage zur Verherrlichung des monotheistischen Prophe- tenthums und zur Brandmarkung des israëlitischen Göz- zendiensts in der Person seines Urhebers Jerobeam vor uns haben? Der Mann Gottes weissagt dem Götzenaltar schnellen wunderbaren Ruin; der abgöttische König streckt freventlich die Hand gegen den Gottesmann aus; die Hand erstarrt, der Götzenaltar zerfällt in Staub, und nur auf die Fürbitte des Propheten wird der König wiederhergestellt: wer mag hier über wunderbaren oder natürlichen Hergang rechten, wo man eine offenbare Mythe vor sich hat? Und wer kann ferner in unsrer evangelischen Erzählung eine Nachbildung jener A. T.lichen verkennen, wobei nur dem Geiste des Christenthums gemäſs die Vertrocknung der Hand nicht als Strafwunder eintritt, sondern als natürliche Krank- heit dargestellt, und Jesu nur die Heilung zugeschrieben, ebendeſswegen auch nicht wie dort die Ausstreckung der Hand zur verbrecherischen Ursache und zum pönalen Ha- bitus der Krankheit, das Anziehen derselben aber zum Zei- chen der Genesung gemacht wurde, sondern die Hand, wel- che bis dahin krankhaft angezogen war, nach vollbrachter Heilung wieder ausgestreckt werden kann. Daſs auch sonst um jene Zeit im Orient den Lieblingen der Götter das Vermögen zu dergleichen Heilungen zugeschrieben wurde, sehen wir aus einer schon früher angeführten Erzählung, in welcher dem Vespasian neben einer Blindenheilung auch die Wiederherstellung einer kranken Hand zugeschrieben wird 13) Nicht selbstständig übrigens und als Zweck für sich tritt in dieser Geschichte das Heilungswunder auf, sondern die Hauptsache ist, daſs es am Sabbat geschieht, und die Spitze der Anekdote liegt in den Worten, durch welche Jesus seine heilende Thätigkeit am Sabbat gegen die Pha- 13) Tacit. Histor. 4, 81.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/145>, abgerufen am 29.04.2024.