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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
Traube oder den Wein hervorbringen, dass also Jesus,
wenn er aus Wasser Wein hervorbrachte, dasselbe, nur
schneller, gethan habe, was sich in allmähligem Processe
jährlich wiederhole, sondern auch hier wieder sind we-
sentlich verschiedene logische Kategorieen verwechselt.
Wir mögen nämlich das Verhältniss des Produkts zum Pro-
ducirenden, von welchem es sich hier handelt, unter die
Kategorie von Kraft und Äusserung, oder von Ursache und
Wirkung stellen: niemals wird gesagt werden können, dass
das Wasser die Kraft oder die Ursache sei, welche Trau-
ben und Wein hervorbringe, sondern die Kraft, welche
deren Entstehung verursacht, ist immer nur die vegetabi-
lische Individualität des Weinstocks, zu welcher sich das
Wasser nebst den übrigen elementarischen Agenzien nur
wie die Solicitation zur Kraft, wie die Veranlassung zur
Ursache verhält. D. h. ohne Einwirkung von Wasser,
Luft u. s. f. kann allerdings die Traube nicht entstehen,
so wenig als ohne die Rebe; aber der Unterschied ist,
dass in der Rebe die Traube an sich oder dem Keime nach
bereits vorhanden ist, welchem Wasser u. s. f. nur zur
Entwicklung verhelfen: in diesen elementarischen Wesen
dagegen ist die Traube weder actu noch potentia vorhan-
den, sie können dieselbe auf keine Weise aus sich, son-
dern nur aus einem Andern, der Rebe, entwickeln. Aus
Wasser Wein machen heisst also nicht, eine Ursache schnel-
ler als auf natürlichem Wege erfolgen würde, zur Wirk-
samkeit bringen, sondern ohne Ursache, aus der blossen
Veranlassung, die Wirkung entstehen lassen, oder bestimm-
ter auf das Organische bezogen, ein organisches Produkt
ohne den producirenden Organismus aus dem blossen un-
organischen Material, oder vielmehr nur aus Einem Be-
standtheil dieses Materials, hervorrufen: ungefähr wie wenn
Einer aus Erde, ohne Dazwischenkunft der Getreidepflan-
ze, Brot, aus Brot, ohne es vorher durch einen thierischen
Körper assimiliren zu lassen, Fleisch, aus Wein auf eben

Zweiter Abschnitt.
Traube oder den Wein hervorbringen, daſs also Jesus,
wenn er aus Wasser Wein hervorbrachte, dasselbe, nur
schneller, gethan habe, was sich in allmähligem Processe
jährlich wiederhole, sondern auch hier wieder sind we-
sentlich verschiedene logische Kategorieen verwechselt.
Wir mögen nämlich das Verhältniſs des Produkts zum Pro-
ducirenden, von welchem es sich hier handelt, unter die
Kategorie von Kraft und Äusserung, oder von Ursache und
Wirkung stellen: niemals wird gesagt werden können, daſs
das Wasser die Kraft oder die Ursache sei, welche Trau-
ben und Wein hervorbringe, sondern die Kraft, welche
deren Entstehung verursacht, ist immer nur die vegetabi-
lische Individualität des Weinstocks, zu welcher sich das
Wasser nebst den übrigen elementarischen Agenzien nur
wie die Solicitation zur Kraft, wie die Veranlassung zur
Ursache verhält. D. h. ohne Einwirkung von Wasser,
Luft u. s. f. kann allerdings die Traube nicht entstehen,
so wenig als ohne die Rebe; aber der Unterschied ist,
daſs in der Rebe die Traube an sich oder dem Keime nach
bereits vorhanden ist, welchem Wasser u. s. f. nur zur
Entwicklung verhelfen: in diesen elementarischen Wesen
dagegen ist die Traube weder actu noch potentia vorhan-
den, sie können dieselbe auf keine Weise aus sich, son-
dern nur aus einem Andern, der Rebe, entwickeln. Aus
Wasser Wein machen heiſst also nicht, eine Ursache schnel-
ler als auf natürlichem Wege erfolgen würde, zur Wirk-
samkeit bringen, sondern ohne Ursache, aus der bloſsen
Veranlassung, die Wirkung entstehen lassen, oder bestimm-
ter auf das Organische bezogen, ein organisches Produkt
ohne den producirenden Organismus aus dem bloſsen un-
organischen Material, oder vielmehr nur aus Einem Be-
standtheil dieses Materials, hervorrufen: ungefähr wie wenn
Einer aus Erde, ohne Dazwischenkunft der Getreidepflan-
ze, Brot, aus Brot, ohne es vorher durch einen thierischen
Körper assimiliren zu lassen, Fleisch, aus Wein auf eben

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[222/0241] Zweiter Abschnitt. Traube oder den Wein hervorbringen, daſs also Jesus, wenn er aus Wasser Wein hervorbrachte, dasselbe, nur schneller, gethan habe, was sich in allmähligem Processe jährlich wiederhole, sondern auch hier wieder sind we- sentlich verschiedene logische Kategorieen verwechselt. Wir mögen nämlich das Verhältniſs des Produkts zum Pro- ducirenden, von welchem es sich hier handelt, unter die Kategorie von Kraft und Äusserung, oder von Ursache und Wirkung stellen: niemals wird gesagt werden können, daſs das Wasser die Kraft oder die Ursache sei, welche Trau- ben und Wein hervorbringe, sondern die Kraft, welche deren Entstehung verursacht, ist immer nur die vegetabi- lische Individualität des Weinstocks, zu welcher sich das Wasser nebst den übrigen elementarischen Agenzien nur wie die Solicitation zur Kraft, wie die Veranlassung zur Ursache verhält. D. h. ohne Einwirkung von Wasser, Luft u. s. f. kann allerdings die Traube nicht entstehen, so wenig als ohne die Rebe; aber der Unterschied ist, daſs in der Rebe die Traube an sich oder dem Keime nach bereits vorhanden ist, welchem Wasser u. s. f. nur zur Entwicklung verhelfen: in diesen elementarischen Wesen dagegen ist die Traube weder actu noch potentia vorhan- den, sie können dieselbe auf keine Weise aus sich, son- dern nur aus einem Andern, der Rebe, entwickeln. Aus Wasser Wein machen heiſst also nicht, eine Ursache schnel- ler als auf natürlichem Wege erfolgen würde, zur Wirk- samkeit bringen, sondern ohne Ursache, aus der bloſsen Veranlassung, die Wirkung entstehen lassen, oder bestimm- ter auf das Organische bezogen, ein organisches Produkt ohne den producirenden Organismus aus dem bloſsen un- organischen Material, oder vielmehr nur aus Einem Be- standtheil dieses Materials, hervorrufen: ungefähr wie wenn Einer aus Erde, ohne Dazwischenkunft der Getreidepflan- ze, Brot, aus Brot, ohne es vorher durch einen thierischen Körper assimiliren zu lassen, Fleisch, aus Wein auf eben

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/241>, abgerufen am 28.04.2024.