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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 99.
dieselbe Weise Blut gemacht haben sollte. Will man sich
daher nicht bloss auf das Unbegreifliche eines Allmachts-
worts Jesu berufen, sondern mit Olshausen den Process,
der in dem fraglichen Wunder enthalten sein müsste, nach
Art eines Naturprocesses sich näher bringen: so muss man
nur nicht, um die Sache scheinbarer zu machen, einen
Theil der dazu gehörigen Momente verschweigen, sondern
alle hervorstellen, welche dann folgende gewesen sein müss-
ten: 1) Zu dem elementarischen agens des Wassers müsste
Jesus die Kraft der übrigen oben genannten Elemente ge-
fügt, dann aber 2) was die Hauptsache ist, die organische
Individualität der Rebe ebenso unsichtbar herbeigeschafft
haben; 3) hätte er nun den natürlichen Process dieser Ge-
genstände mit einander, das Blühen und Fruchttragen der
Rebe sammt dem Reifen der Traube bis zum Augenblick-
lichen beschleunigt; 4) hierauf den Kunstprocess des Pres-
sens u. s. f. unsichtbar und plözlich geschehen lassen, und
endlich 5) den weiteren Naturprocess der Gährung wieder
bis zum Augenblicklichen beschleunigen müssen. Auch hier
demnach ist die Bezeichnung des wunderbaren Vorgangs
als beschleunigten Naturprocesses nur von zwei Momenten
unter fünfen hergenommen, während deren drei unter die-
sen Gesichtspunkt sich gar nicht bringen lassen, von wel-
chen doch die beiden ersten, namentlich das zweite, von
einem Belange sind, der selbst den bei der Speisungsge-
schichte von dieser Vorstellungsweise vernachlässigten Mo-
menten nicht zukam: so dass also von einem beschleunig-
ten Naturprocess hier so wenig wie dort die Rede sein
kann 4). Da aber allerdings diese Kategorie die einzige

4) Auch Lücke, 1, S. 405. findet die Analogie mit dem bezeich-
neten Naturprocess mangelhaft und undeutlich, und weiss
sich hierüber nur dadurch einigermassen zu beruhigen, dass
ein ähnlicher Übelstand auch bei dem Speisungswunder statt-
finde.

Neuntes Kapitel. §. 99.
dieselbe Weise Blut gemacht haben sollte. Will man sich
daher nicht bloſs auf das Unbegreifliche eines Allmachts-
worts Jesu berufen, sondern mit Olshausen den Proceſs,
der in dem fraglichen Wunder enthalten sein müſste, nach
Art eines Naturprocesses sich näher bringen: so muſs man
nur nicht, um die Sache scheinbarer zu machen, einen
Theil der dazu gehörigen Momente verschweigen, sondern
alle hervorstellen, welche dann folgende gewesen sein müſs-
ten: 1) Zu dem elementarischen agens des Wassers müſste
Jesus die Kraft der übrigen oben genannten Elemente ge-
fügt, dann aber 2) was die Hauptsache ist, die organische
Individualität der Rebe ebenso unsichtbar herbeigeschafft
haben; 3) hätte er nun den natürlichen Proceſs dieser Ge-
genstände mit einander, das Blühen und Fruchttragen der
Rebe sammt dem Reifen der Traube bis zum Augenblick-
lichen beschleunigt; 4) hierauf den Kunstproceſs des Pres-
sens u. s. f. unsichtbar und plözlich geschehen lassen, und
endlich 5) den weiteren Naturproceſs der Gährung wieder
bis zum Augenblicklichen beschleunigen müssen. Auch hier
demnach ist die Bezeichnung des wunderbaren Vorgangs
als beschleunigten Naturprocesses nur von zwei Momenten
unter fünfen hergenommen, während deren drei unter die-
sen Gesichtspunkt sich gar nicht bringen lassen, von wel-
chen doch die beiden ersten, namentlich das zweite, von
einem Belange sind, der selbst den bei der Speisungsge-
schichte von dieser Vorstellungsweise vernachlässigten Mo-
menten nicht zukam: so daſs also von einem beschleunig-
ten Naturproceſs hier so wenig wie dort die Rede sein
kann 4). Da aber allerdings diese Kategorie die einzige

4) Auch Lücke, 1, S. 405. findet die Analogie mit dem bezeich-
neten Naturprocess mangelhaft und undeutlich, und weiss
sich hierüber nur dadurch einigermassen zu beruhigen, dass
ein ähnlicher Übelstand auch bei dem Speisungswunder statt-
finde.
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[223/0242] Neuntes Kapitel. §. 99. dieselbe Weise Blut gemacht haben sollte. Will man sich daher nicht bloſs auf das Unbegreifliche eines Allmachts- worts Jesu berufen, sondern mit Olshausen den Proceſs, der in dem fraglichen Wunder enthalten sein müſste, nach Art eines Naturprocesses sich näher bringen: so muſs man nur nicht, um die Sache scheinbarer zu machen, einen Theil der dazu gehörigen Momente verschweigen, sondern alle hervorstellen, welche dann folgende gewesen sein müſs- ten: 1) Zu dem elementarischen agens des Wassers müſste Jesus die Kraft der übrigen oben genannten Elemente ge- fügt, dann aber 2) was die Hauptsache ist, die organische Individualität der Rebe ebenso unsichtbar herbeigeschafft haben; 3) hätte er nun den natürlichen Proceſs dieser Ge- genstände mit einander, das Blühen und Fruchttragen der Rebe sammt dem Reifen der Traube bis zum Augenblick- lichen beschleunigt; 4) hierauf den Kunstproceſs des Pres- sens u. s. f. unsichtbar und plözlich geschehen lassen, und endlich 5) den weiteren Naturproceſs der Gährung wieder bis zum Augenblicklichen beschleunigen müssen. Auch hier demnach ist die Bezeichnung des wunderbaren Vorgangs als beschleunigten Naturprocesses nur von zwei Momenten unter fünfen hergenommen, während deren drei unter die- sen Gesichtspunkt sich gar nicht bringen lassen, von wel- chen doch die beiden ersten, namentlich das zweite, von einem Belange sind, der selbst den bei der Speisungsge- schichte von dieser Vorstellungsweise vernachlässigten Mo- menten nicht zukam: so daſs also von einem beschleunig- ten Naturproceſs hier so wenig wie dort die Rede sein kann 4). Da aber allerdings diese Kategorie die einzige 4) Auch Lücke, 1, S. 405. findet die Analogie mit dem bezeich- neten Naturprocess mangelhaft und undeutlich, und weiss sich hierüber nur dadurch einigermassen zu beruhigen, dass ein ähnlicher Übelstand auch bei dem Speisungswunder statt- finde.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/242>, abgerufen am 29.04.2024.