Die ersten Begriffe von Macht und Größe, die wir uns bilden, entstehen insgemein aus Betrachtung dessen, was die Menschen thun können, wenn Tau- sende derselben, unter der Leitung eines kühnen oder scharfsinnigen Kopfes, ihre Kräfte zu einem großen Werke vereinigen. Eine solche Macht scheint uns das Höchste zu seyn, was wir uns von Kraft und Wir- kung vorstellen können. Wenn sie auf Zerstörung oder Eroberung ausgeht, so muß alles vor ihr weichen; und wenn sie es unternimmt dauernde Werke zu stif- ten, so scheint sie der Natur Trotz zu bieten. Wü- ste Länder werden zu herrlichen und fruchtbaren Wohn- sitzen; große Städte und herrliche Gebäude werden wie durch eine Schöpfung hervorgebracht, und setzen den, der sie in der Nähe sieht, in Erstaunen. Das Donnern und die unwiderstehlich scheinende Gewalt des Geschützes, die Kriegsheere und Kriegsflotten sind im Fürchterlichen das Höchste und Größte, das die Menschen insgemein sich denken können.
Mir fiel es gar oft während meines Zuges über die Alpen ein, gewisse Wirkungen der Natur, die ohne Bestrebung, ohne außerordentliche Anspannung ihrer Kräfte, gar leicht erfolgen könnten, und wirk- lich oft erfolget sind, gegen die vereinigte Macht nicht nur eines, sondern vieler Völker zugleich, zu halten: und da verschwand diese augenblicklich. Jch stellte mir ein großes Kriegsheer mit allen fürchterlichen Werkzeugen der Verwüstung versehen, etwa in einem Bergthale gelagert vor, und dachte, wie schnell eine solche Macht durch Einstürzen eines gegen das Thal überhängenden Gebürges völlig zernichtet werden wür- de, wie so gar nichts die vermeinte Macht eines sol-
chen
Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Die erſten Begriffe von Macht und Groͤße, die wir uns bilden, entſtehen insgemein aus Betrachtung deſſen, was die Menſchen thun koͤnnen, wenn Tau- ſende derſelben, unter der Leitung eines kuͤhnen oder ſcharfſinnigen Kopfes, ihre Kraͤfte zu einem großen Werke vereinigen. Eine ſolche Macht ſcheint uns das Hoͤchſte zu ſeyn, was wir uns von Kraft und Wir- kung vorſtellen koͤnnen. Wenn ſie auf Zerſtoͤrung oder Eroberung ausgeht, ſo muß alles vor ihr weichen; und wenn ſie es unternimmt dauernde Werke zu ſtif- ten, ſo ſcheint ſie der Natur Trotz zu bieten. Wuͤ- ſte Laͤnder werden zu herrlichen und fruchtbaren Wohn- ſitzen; große Staͤdte und herrliche Gebaͤude werden wie durch eine Schoͤpfung hervorgebracht, und ſetzen den, der ſie in der Naͤhe ſieht, in Erſtaunen. Das Donnern und die unwiderſtehlich ſcheinende Gewalt des Geſchuͤtzes, die Kriegsheere und Kriegsflotten ſind im Fuͤrchterlichen das Hoͤchſte und Groͤßte, das die Menſchen insgemein ſich denken koͤnnen.
Mir fiel es gar oft waͤhrend meines Zuges uͤber die Alpen ein, gewiſſe Wirkungen der Natur, die ohne Beſtrebung, ohne außerordentliche Anſpannung ihrer Kraͤfte, gar leicht erfolgen koͤnnten, und wirk- lich oft erfolget ſind, gegen die vereinigte Macht nicht nur eines, ſondern vieler Voͤlker zugleich, zu halten: und da verſchwand dieſe augenblicklich. Jch ſtellte mir ein großes Kriegsheer mit allen fuͤrchterlichen Werkzeugen der Verwuͤſtung verſehen, etwa in einem Bergthale gelagert vor, und dachte, wie ſchnell eine ſolche Macht durch Einſtuͤrzen eines gegen das Thal uͤberhaͤngenden Gebuͤrges voͤllig zernichtet werden wuͤr- de, wie ſo gar nichts die vermeinte Macht eines ſol-
chen
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="diaryEntry"n="2"><pbfacs="#f0394"n="374"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Tagebuch von der Ruͤckreiſe</hi></fw><lb/><p>Die erſten Begriffe von Macht und Groͤße, die<lb/>
wir uns bilden, entſtehen insgemein aus Betrachtung<lb/>
deſſen, was die Menſchen thun koͤnnen, wenn Tau-<lb/>ſende derſelben, unter der Leitung eines kuͤhnen oder<lb/>ſcharfſinnigen Kopfes, ihre Kraͤfte zu einem großen<lb/>
Werke vereinigen. Eine ſolche Macht ſcheint uns<lb/>
das Hoͤchſte zu ſeyn, was wir uns von Kraft und Wir-<lb/>
kung vorſtellen koͤnnen. Wenn ſie auf Zerſtoͤrung oder<lb/>
Eroberung ausgeht, ſo muß alles vor ihr weichen;<lb/>
und wenn ſie es unternimmt dauernde Werke zu ſtif-<lb/>
ten, ſo ſcheint ſie der Natur Trotz zu bieten. Wuͤ-<lb/>ſte Laͤnder werden zu herrlichen und fruchtbaren Wohn-<lb/>ſitzen; große Staͤdte und herrliche Gebaͤude werden<lb/>
wie durch eine Schoͤpfung hervorgebracht, und ſetzen<lb/>
den, der ſie in der Naͤhe ſieht, in Erſtaunen. Das<lb/>
Donnern und die unwiderſtehlich ſcheinende Gewalt<lb/>
des Geſchuͤtzes, die Kriegsheere und Kriegsflotten ſind<lb/>
im Fuͤrchterlichen das Hoͤchſte und Groͤßte, das die<lb/>
Menſchen insgemein ſich denken koͤnnen.</p><lb/><p>Mir fiel es gar oft waͤhrend meines Zuges uͤber<lb/>
die Alpen ein, gewiſſe Wirkungen der Natur, die<lb/>
ohne Beſtrebung, ohne außerordentliche Anſpannung<lb/>
ihrer Kraͤfte, gar leicht erfolgen koͤnnten, und wirk-<lb/>
lich oft erfolget ſind, gegen die vereinigte Macht nicht<lb/>
nur eines, ſondern vieler Voͤlker zugleich, zu halten:<lb/>
und da verſchwand dieſe augenblicklich. Jch ſtellte<lb/>
mir ein großes Kriegsheer mit allen fuͤrchterlichen<lb/>
Werkzeugen der Verwuͤſtung verſehen, etwa in einem<lb/>
Bergthale gelagert vor, und dachte, wie ſchnell eine<lb/>ſolche Macht durch Einſtuͤrzen eines gegen das Thal<lb/>
uͤberhaͤngenden Gebuͤrges voͤllig zernichtet werden wuͤr-<lb/>
de, wie ſo gar nichts die vermeinte Macht eines ſol-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">chen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[374/0394]
Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Die erſten Begriffe von Macht und Groͤße, die
wir uns bilden, entſtehen insgemein aus Betrachtung
deſſen, was die Menſchen thun koͤnnen, wenn Tau-
ſende derſelben, unter der Leitung eines kuͤhnen oder
ſcharfſinnigen Kopfes, ihre Kraͤfte zu einem großen
Werke vereinigen. Eine ſolche Macht ſcheint uns
das Hoͤchſte zu ſeyn, was wir uns von Kraft und Wir-
kung vorſtellen koͤnnen. Wenn ſie auf Zerſtoͤrung oder
Eroberung ausgeht, ſo muß alles vor ihr weichen;
und wenn ſie es unternimmt dauernde Werke zu ſtif-
ten, ſo ſcheint ſie der Natur Trotz zu bieten. Wuͤ-
ſte Laͤnder werden zu herrlichen und fruchtbaren Wohn-
ſitzen; große Staͤdte und herrliche Gebaͤude werden
wie durch eine Schoͤpfung hervorgebracht, und ſetzen
den, der ſie in der Naͤhe ſieht, in Erſtaunen. Das
Donnern und die unwiderſtehlich ſcheinende Gewalt
des Geſchuͤtzes, die Kriegsheere und Kriegsflotten ſind
im Fuͤrchterlichen das Hoͤchſte und Groͤßte, das die
Menſchen insgemein ſich denken koͤnnen.
Mir fiel es gar oft waͤhrend meines Zuges uͤber
die Alpen ein, gewiſſe Wirkungen der Natur, die
ohne Beſtrebung, ohne außerordentliche Anſpannung
ihrer Kraͤfte, gar leicht erfolgen koͤnnten, und wirk-
lich oft erfolget ſind, gegen die vereinigte Macht nicht
nur eines, ſondern vieler Voͤlker zugleich, zu halten:
und da verſchwand dieſe augenblicklich. Jch ſtellte
mir ein großes Kriegsheer mit allen fuͤrchterlichen
Werkzeugen der Verwuͤſtung verſehen, etwa in einem
Bergthale gelagert vor, und dachte, wie ſchnell eine
ſolche Macht durch Einſtuͤrzen eines gegen das Thal
uͤberhaͤngenden Gebuͤrges voͤllig zernichtet werden wuͤr-
de, wie ſo gar nichts die vermeinte Macht eines ſol-
chen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/394>, abgerufen am 11.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.