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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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von Nizza nach Deutschland.
chen Heeres gegen einen solchen gar leicht möglichen
Fall ausrichten könnte. Da empfand ich, daß es
der Natur gleich leicht fallen würde, ein Heer von
Menschen oder eine Fliege zu zerschmettern. Derglei-
chen Fälle von Einstürzen ganzer Gebürge können sich
sogar aus geringen Ursachen zutragen, und haben sich
in ältern Zeiten zugetragen, wie man überall in den
Gebürgen deutlich wahrnehmen kann.

Eben so schnell könnten von den hohen Alpenge-
bürgen Wasserfluthen herunterströmen, die ganze
Völker von der Ebene mit allen Herrlichkeiten ihrer
Werke wegspülen würden, wie ehedem durch die
Sündfluth geschehen. Dazu wäre weiter nichts nö-
thig, als daß im Frühjahre, wenn alle Gebürge hoch
mit Schnee bedeckt sind, dieser durch einen warmen
Wind, oder durch den Ausbruch unterirdischer Feuer
plötzlich in Wasser zerflösse. Hier liegt also ruhende,
aber leicht in Bewegung zu setzende Macht, gegen
welche die vereinigten Kräfte der Menschen gerade für
nichts zu rechnen sind. Freylich kann nur der, wel-
cher die Beschaffenheit der Gebürge genau beobachtet,
sich einen deutlichen Begriff von solchen gewaltsamen
Revolutionen machen. Doch kann auch der, welcher
die Gebürge nicht kennt, sich schon aus der Geschichte
etwas davon vorstellen. Weit ausgebreitete Ueber-
schwemmungen und Verwüstungen ganzer Länder,
dergleichen Deukalions und Ogyges Fluthen gewesen,
haben sich an vielen Orten zugetragen. Als Proben
im Kleinen lese man, was Bouguer in seiner Be-
schreibung von Peru von den Fluthen sagt, die dort
bisweilen von Ausbruch feuerspeyender Schneegebür-
ge entstanden sind. Von dergleichen Ausbrüchen der

Ge-
A a 4

von Nizza nach Deutſchland.
chen Heeres gegen einen ſolchen gar leicht moͤglichen
Fall ausrichten koͤnnte. Da empfand ich, daß es
der Natur gleich leicht fallen wuͤrde, ein Heer von
Menſchen oder eine Fliege zu zerſchmettern. Derglei-
chen Faͤlle von Einſtuͤrzen ganzer Gebuͤrge koͤnnen ſich
ſogar aus geringen Urſachen zutragen, und haben ſich
in aͤltern Zeiten zugetragen, wie man uͤberall in den
Gebuͤrgen deutlich wahrnehmen kann.

Eben ſo ſchnell koͤnnten von den hohen Alpenge-
buͤrgen Waſſerfluthen herunterſtroͤmen, die ganze
Voͤlker von der Ebene mit allen Herrlichkeiten ihrer
Werke wegſpuͤlen wuͤrden, wie ehedem durch die
Suͤndfluth geſchehen. Dazu waͤre weiter nichts noͤ-
thig, als daß im Fruͤhjahre, wenn alle Gebuͤrge hoch
mit Schnee bedeckt ſind, dieſer durch einen warmen
Wind, oder durch den Ausbruch unterirdiſcher Feuer
ploͤtzlich in Waſſer zerfloͤſſe. Hier liegt alſo ruhende,
aber leicht in Bewegung zu ſetzende Macht, gegen
welche die vereinigten Kraͤfte der Menſchen gerade fuͤr
nichts zu rechnen ſind. Freylich kann nur der, wel-
cher die Beſchaffenheit der Gebuͤrge genau beobachtet,
ſich einen deutlichen Begriff von ſolchen gewaltſamen
Revolutionen machen. Doch kann auch der, welcher
die Gebuͤrge nicht kennt, ſich ſchon aus der Geſchichte
etwas davon vorſtellen. Weit ausgebreitete Ueber-
ſchwemmungen und Verwuͤſtungen ganzer Laͤnder,
dergleichen Deukalions und Ogyges Fluthen geweſen,
haben ſich an vielen Orten zugetragen. Als Proben
im Kleinen leſe man, was Bouguer in ſeiner Be-
ſchreibung von Peru von den Fluthen ſagt, die dort
bisweilen von Ausbruch feuerſpeyender Schneegebuͤr-
ge entſtanden ſind. Von dergleichen Ausbruͤchen der

Ge-
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[375/0395] von Nizza nach Deutſchland. chen Heeres gegen einen ſolchen gar leicht moͤglichen Fall ausrichten koͤnnte. Da empfand ich, daß es der Natur gleich leicht fallen wuͤrde, ein Heer von Menſchen oder eine Fliege zu zerſchmettern. Derglei- chen Faͤlle von Einſtuͤrzen ganzer Gebuͤrge koͤnnen ſich ſogar aus geringen Urſachen zutragen, und haben ſich in aͤltern Zeiten zugetragen, wie man uͤberall in den Gebuͤrgen deutlich wahrnehmen kann. Eben ſo ſchnell koͤnnten von den hohen Alpenge- buͤrgen Waſſerfluthen herunterſtroͤmen, die ganze Voͤlker von der Ebene mit allen Herrlichkeiten ihrer Werke wegſpuͤlen wuͤrden, wie ehedem durch die Suͤndfluth geſchehen. Dazu waͤre weiter nichts noͤ- thig, als daß im Fruͤhjahre, wenn alle Gebuͤrge hoch mit Schnee bedeckt ſind, dieſer durch einen warmen Wind, oder durch den Ausbruch unterirdiſcher Feuer ploͤtzlich in Waſſer zerfloͤſſe. Hier liegt alſo ruhende, aber leicht in Bewegung zu ſetzende Macht, gegen welche die vereinigten Kraͤfte der Menſchen gerade fuͤr nichts zu rechnen ſind. Freylich kann nur der, wel- cher die Beſchaffenheit der Gebuͤrge genau beobachtet, ſich einen deutlichen Begriff von ſolchen gewaltſamen Revolutionen machen. Doch kann auch der, welcher die Gebuͤrge nicht kennt, ſich ſchon aus der Geſchichte etwas davon vorſtellen. Weit ausgebreitete Ueber- ſchwemmungen und Verwuͤſtungen ganzer Laͤnder, dergleichen Deukalions und Ogyges Fluthen geweſen, haben ſich an vielen Orten zugetragen. Als Proben im Kleinen leſe man, was Bouguer in ſeiner Be- ſchreibung von Peru von den Fluthen ſagt, die dort bisweilen von Ausbruch feuerſpeyender Schneegebuͤr- ge entſtanden ſind. Von dergleichen Ausbruͤchen der Ge- A a 4

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/395>, abgerufen am 12.05.2024.