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[Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764.

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"Trinkgeld an!" Hier zog er -- gleich
einer alchymistischen Phiole, einen langen
Beutel heraus, der in der Farbe der Hoff-
nung künstlich gestrickt war. Ein billiger
Zwischenraum scheidete dreyßig Ephraimi-
ten von einer güldenen Madona. Jhres
innern Werthes gewiß, erwartete sie ruhig
ihr verzögerndes Schicksal, da sich indeß
der jüdische Haufe mit Geräusche bis an
die Mündung des Beutels drängte, um
bald erlöset zu werden, und in einem un-
gewissen Course betrügerisch zu wuchern.
Doch -- indem n[oc]h der Pastor die groß-
müthige Belohnung und das Verdienst ei-
nes Wegweisers berechnet, so verschwindet
Baarschaft -- Tagelöhner und Beutel,
und der Gott der Kaufleute und Diebe,
verbirgt den Raub und den hurtigen Räu-
ber in den Finsternissen des Waldes. Nun
erfüllt' eine lange unharmonische Klage des
armen Magisters die Luft: "O du treu-

"loser

”Trinkgeld an!” Hier zog er — gleich
einer alchymiſtiſchen Phiole, einen langen
Beutel heraus, der in der Farbe der Hoff-
nung kuͤnſtlich geſtrickt war. Ein billiger
Zwiſchenraum ſcheidete dreyßig Ephraimi-
ten von einer guͤldenen Madona. Jhres
innern Werthes gewiß, erwartete ſie ruhig
ihr verzoͤgerndes Schickſal, da ſich indeß
der juͤdiſche Haufe mit Geraͤuſche bis an
die Muͤndung des Beutels draͤngte, um
bald erloͤſet zu werden, und in einem un-
gewiſſen Courſe betruͤgeriſch zu wuchern.
Doch — indem n[oc]h der Paſtor die groß-
muͤthige Belohnung und das Verdienſt ei-
nes Wegweiſers berechnet, ſo verſchwindet
Baarſchaft — Tageloͤhner und Beutel,
und der Gott der Kaufleute und Diebe,
verbirgt den Raub und den hurtigen Raͤu-
ber in den Finſterniſſen des Waldes. Nun
erfuͤllt’ eine lange unharmoniſche Klage des
armen Magiſters die Luft: ”O du treu-

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[52/0056] ”Trinkgeld an!” Hier zog er — gleich einer alchymiſtiſchen Phiole, einen langen Beutel heraus, der in der Farbe der Hoff- nung kuͤnſtlich geſtrickt war. Ein billiger Zwiſchenraum ſcheidete dreyßig Ephraimi- ten von einer guͤldenen Madona. Jhres innern Werthes gewiß, erwartete ſie ruhig ihr verzoͤgerndes Schickſal, da ſich indeß der juͤdiſche Haufe mit Geraͤuſche bis an die Muͤndung des Beutels draͤngte, um bald erloͤſet zu werden, und in einem un- gewiſſen Courſe betruͤgeriſch zu wuchern. Doch — indem noch der Paſtor die groß- muͤthige Belohnung und das Verdienſt ei- nes Wegweiſers berechnet, ſo verſchwindet Baarſchaft — Tageloͤhner und Beutel, und der Gott der Kaufleute und Diebe, verbirgt den Raub und den hurtigen Raͤu- ber in den Finſterniſſen des Waldes. Nun erfuͤllt’ eine lange unharmoniſche Klage des armen Magiſters die Luft: ”O du treu- ”loſer

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Zitationshilfe: [Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/56>, abgerufen am 29.04.2024.