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[Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764.

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kan das Schrecken beschreiben, das die-
se zwo weiblichen Seelen ergriff, als der
gekrümmte Zeigefinger des verspäteten Pa-
stors an die Stubenthüre donnerte. Sie
glaubten gewiß, ein prophetischer Verdacht
habe die zänkische Gouvernanntinn erweckt,
die wie ein Policeyverwalter alles Unrecht
entdeckte, und dem alten Grafen verrieth.
Mit angenommener Freymüthigkeit, geboth
die betroffene Comtesse ihrer Zofe, die ver-
schlossene Kammerthüre hurtig zu öffnen:
doch ihr furchtsamer Wink widersprach ih-
rem geschwinden Befehle -- Die kluge Si-
bylle verstund ihn, gieng langsam zu Wer-
ke, klapperte scheinbar an der Thüre, und
schmählte entsetzlich auf das strenge ver-
rostete Schloß, da indeß ihre Gebietherinn
die nöthige Zeit gewann, mit Eau de
Levante
ihre Hände zu waschen, die hier
und da von der verrätherischen Dinte noch
glänzten, und auch den anklagenden Brief

aus
D 4

kan das Schrecken beſchreiben, das die-
ſe zwo weiblichen Seelen ergriff, als der
gekruͤmmte Zeigefinger des verſpaͤteten Pa-
ſtors an die Stubenthuͤre donnerte. Sie
glaubten gewiß, ein prophetiſcher Verdacht
habe die zaͤnkiſche Gouvernanntinn erweckt,
die wie ein Policeyverwalter alles Unrecht
entdeckte, und dem alten Grafen verrieth.
Mit angenommener Freymuͤthigkeit, geboth
die betroffene Comteſſe ihrer Zofe, die ver-
ſchloſſene Kammerthuͤre hurtig zu oͤffnen:
doch ihr furchtſamer Wink widerſprach ih-
rem geſchwinden Befehle — Die kluge Si-
bylle verſtund ihn, gieng langſam zu Wer-
ke, klapperte ſcheinbar an der Thuͤre, und
ſchmaͤhlte entſetzlich auf das ſtrenge ver-
roſtete Schloß, da indeß ihre Gebietherinn
die noͤthige Zeit gewann, mit Eau de
Levante
ihre Haͤnde zu waſchen, die hier
und da von der verraͤtheriſchen Dinte noch
glaͤnzten, und auch den anklagenden Brief

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[55/0059] kan das Schrecken beſchreiben, das die- ſe zwo weiblichen Seelen ergriff, als der gekruͤmmte Zeigefinger des verſpaͤteten Pa- ſtors an die Stubenthuͤre donnerte. Sie glaubten gewiß, ein prophetiſcher Verdacht habe die zaͤnkiſche Gouvernanntinn erweckt, die wie ein Policeyverwalter alles Unrecht entdeckte, und dem alten Grafen verrieth. Mit angenommener Freymuͤthigkeit, geboth die betroffene Comteſſe ihrer Zofe, die ver- ſchloſſene Kammerthuͤre hurtig zu oͤffnen: doch ihr furchtſamer Wink widerſprach ih- rem geſchwinden Befehle — Die kluge Si- bylle verſtund ihn, gieng langſam zu Wer- ke, klapperte ſcheinbar an der Thuͤre, und ſchmaͤhlte entſetzlich auf das ſtrenge ver- roſtete Schloß, da indeß ihre Gebietherinn die noͤthige Zeit gewann, mit Eau de Levante ihre Haͤnde zu waſchen, die hier und da von der verraͤtheriſchen Dinte noch glaͤnzten, und auch den anklagenden Brief aus D 4

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Zitationshilfe: [Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/59>, abgerufen am 29.04.2024.