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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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haßt die Begeisterung, mit der ich zuweilen von
den Heroen des Alterthums, oder der Göttlich-
keit eines Künstlers sprach, er sieht mit Verach-
tung auf diese kindischen Aufwallungen des
Bluts hinab, wie er jeden Enthusiasmus nennt,
daher hat ihm auch stets mein Umgang mit Dir
mißfallen. Er liebt Menschen, die sich nie aus
den Gegenständen von denen sie umgeben wer-
den, verlieren können, er spottet über alles, was
man Erhabenheit der Gedanken und Gefühle
nennt. Es giebt vielleicht wenig Menschen, die
Vorurtheile und Begriffe der Konvention so tief
in ihr ganzes Daseyn haben verwachsen lassen,
-- auch ich mißfalle ihm sehr, er nennt mich
zuweilen einen jugendlichen Schwärmer, der die
Welt nicht kennt und sie aus armseligen Bü-
chern beurtheilen will. Ist dies Menschenkennt-
niß, die aus ihm spricht, o so beneide ich sie
ihm nicht, aber er muß sie theuer erkauft ha-
ben, da er sie für so richtig hält. -- Kann es
nicht aber auch das enge egoistische Gefühl sei-
nes eigenen Herzens seyn? Ist dieser Glaube
nicht auch vielleicht bloß aus Studium seiner
selbst entstanden? -- Wir glauben so oft einen
Blick in die Seele andrer gethan zu haben,

haßt die Begeiſterung, mit der ich zuweilen von
den Heroen des Alterthums, oder der Goͤttlich-
keit eines Kuͤnſtlers ſprach, er ſieht mit Verach-
tung auf dieſe kindiſchen Aufwallungen des
Bluts hinab, wie er jeden Enthuſiasmus nennt,
daher hat ihm auch ſtets mein Umgang mit Dir
mißfallen. Er liebt Menſchen, die ſich nie aus
den Gegenſtaͤnden von denen ſie umgeben wer-
den, verlieren koͤnnen, er ſpottet uͤber alles, was
man Erhabenheit der Gedanken und Gefuͤhle
nennt. Es giebt vielleicht wenig Menſchen, die
Vorurtheile und Begriffe der Konvention ſo tief
in ihr ganzes Daſeyn haben verwachſen laſſen,
— auch ich mißfalle ihm ſehr, er nennt mich
zuweilen einen jugendlichen Schwaͤrmer, der die
Welt nicht kennt und ſie aus armſeligen Buͤ-
chern beurtheilen will. Iſt dies Menſchenkennt-
niß, die aus ihm ſpricht, o ſo beneide ich ſie
ihm nicht, aber er muß ſie theuer erkauft ha-
ben, da er ſie fuͤr ſo richtig haͤlt. — Kann es
nicht aber auch das enge egoiſtiſche Gefuͤhl ſei-
nes eigenen Herzens ſeyn? Iſt dieſer Glaube
nicht auch vielleicht bloß aus Studium ſeiner
ſelbſt entſtanden? — Wir glauben ſo oft einen
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[40[38]/0048] haßt die Begeiſterung, mit der ich zuweilen von den Heroen des Alterthums, oder der Goͤttlich- keit eines Kuͤnſtlers ſprach, er ſieht mit Verach- tung auf dieſe kindiſchen Aufwallungen des Bluts hinab, wie er jeden Enthuſiasmus nennt, daher hat ihm auch ſtets mein Umgang mit Dir mißfallen. Er liebt Menſchen, die ſich nie aus den Gegenſtaͤnden von denen ſie umgeben wer- den, verlieren koͤnnen, er ſpottet uͤber alles, was man Erhabenheit der Gedanken und Gefuͤhle nennt. Es giebt vielleicht wenig Menſchen, die Vorurtheile und Begriffe der Konvention ſo tief in ihr ganzes Daſeyn haben verwachſen laſſen, — auch ich mißfalle ihm ſehr, er nennt mich zuweilen einen jugendlichen Schwaͤrmer, der die Welt nicht kennt und ſie aus armſeligen Buͤ- chern beurtheilen will. Iſt dies Menſchenkennt- niß, die aus ihm ſpricht, o ſo beneide ich ſie ihm nicht, aber er muß ſie theuer erkauft ha- ben, da er ſie fuͤr ſo richtig haͤlt. — Kann es nicht aber auch das enge egoiſtiſche Gefuͤhl ſei- nes eigenen Herzens ſeyn? Iſt dieſer Glaube nicht auch vielleicht bloß aus Studium ſeiner ſelbſt entſtanden? — Wir glauben ſo oft einen Blick in die Seele andrer gethan zu haben,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 40[38]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/48>, abgerufen am 26.04.2024.