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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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weise, wie Sperlinge, von der Bahn des Bö-
sen zurückzuschrecken, -- und mir dann einfällt,
daß irgend ein eingebildeter Dummkopf sich hin-
setzen könnte, um meine Geschichte, die er
Stückweise durch die dritte oder vierte Hand
erfahren hat, bedächtig aufzuschreiben, so möchte
ich lachen und selbst die Feder nehmen, nicht
zu meiner Rechtfertigung, denn diese brauche
ich nicht, sondern bloß um zu zeigen, wie ich
bin und wie ich denke. Meilenweit stehn jene
Armseeligen, die in drey Büchern die Men-
schen studirt haben und die sie nun selbst
schildern wollen, von der Menschheit zu-
rück. Sie haben nichts erfahren und nichts
geduldet, sie sind nur von den kleinlich-
sten Leidenschaften gestreift, kein Sturm ist an
ihrem Herzen vorübergefahren, und voll Ver-
trauen setzen sie sich nieder und maßen sich an,
die Herzen der Menschen zu richten und ihre
Gefühle darzustellen. Wie jämmerlich würde
ich mich in einem solchen Buche ausnehmen!
Wie würde der Verfasser unaufhörlich meine
guten Anlagen bedauern und über die Verderbt-
heit meiner Natur jammern, und gar nicht
ahnden, daß alles ein und eben dasselbe ist,

weiſe, wie Sperlinge, von der Bahn des Boͤ-
ſen zuruͤckzuſchrecken, — und mir dann einfaͤllt,
daß irgend ein eingebildeter Dummkopf ſich hin-
ſetzen koͤnnte, um meine Geſchichte, die er
Stuͤckweiſe durch die dritte oder vierte Hand
erfahren hat, bedaͤchtig aufzuſchreiben, ſo moͤchte
ich lachen und ſelbſt die Feder nehmen, nicht
zu meiner Rechtfertigung, denn dieſe brauche
ich nicht, ſondern bloß um zu zeigen, wie ich
bin und wie ich denke. Meilenweit ſtehn jene
Armſeeligen, die in drey Buͤchern die Men-
ſchen ſtudirt haben und die ſie nun ſelbſt
ſchildern wollen, von der Menſchheit zu-
ruͤck. Sie haben nichts erfahren und nichts
geduldet, ſie ſind nur von den kleinlich-
ſten Leidenſchaften geſtreift, kein Sturm iſt an
ihrem Herzen voruͤbergefahren, und voll Ver-
trauen ſetzen ſie ſich nieder und maßen ſich an,
die Herzen der Menſchen zu richten und ihre
Gefuͤhle darzuſtellen. Wie jaͤmmerlich wuͤrde
ich mich in einem ſolchen Buche ausnehmen!
Wie wuͤrde der Verfaſſer unaufhoͤrlich meine
guten Anlagen bedauern und uͤber die Verderbt-
heit meiner Natur jammern, und gar nicht
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[266/0273] weiſe, wie Sperlinge, von der Bahn des Boͤ- ſen zuruͤckzuſchrecken, — und mir dann einfaͤllt, daß irgend ein eingebildeter Dummkopf ſich hin- ſetzen koͤnnte, um meine Geſchichte, die er Stuͤckweiſe durch die dritte oder vierte Hand erfahren hat, bedaͤchtig aufzuſchreiben, ſo moͤchte ich lachen und ſelbſt die Feder nehmen, nicht zu meiner Rechtfertigung, denn dieſe brauche ich nicht, ſondern bloß um zu zeigen, wie ich bin und wie ich denke. Meilenweit ſtehn jene Armſeeligen, die in drey Buͤchern die Men- ſchen ſtudirt haben und die ſie nun ſelbſt ſchildern wollen, von der Menſchheit zu- ruͤck. Sie haben nichts erfahren und nichts geduldet, ſie ſind nur von den kleinlich- ſten Leidenſchaften geſtreift, kein Sturm iſt an ihrem Herzen voruͤbergefahren, und voll Ver- trauen ſetzen ſie ſich nieder und maßen ſich an, die Herzen der Menſchen zu richten und ihre Gefuͤhle darzuſtellen. Wie jaͤmmerlich wuͤrde ich mich in einem ſolchen Buche ausnehmen! Wie wuͤrde der Verfaſſer unaufhoͤrlich meine guten Anlagen bedauern und uͤber die Verderbt- heit meiner Natur jammern, und gar nicht ahnden, daß alles ein und eben daſſelbe iſt,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/273>, abgerufen am 15.05.2024.