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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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nicht, mich zu regen, so vertraut ich auch sonst
mit ihm gewesen war, sondern ich stand in
einer ehrerbietigen Entfernung. Endlich be-
merkte er mich, oder er hörte vielmehr nur auf
zu schreiben. -- O Rosa, mit welchem Blicke
durchbohrte er mich! Es war, als wenn sich
meine Seele in mir furchtsam zusammenkrümmte,
so entsetzlich ward ich von diesem durchschnei-
denden Blicke getroffen. --

Nun, Lovell? fragte er mit einer matten
Stimme.

Ich wußte nichts zu antworten; ich fing
an zu zittern. Alles, was ich je gedacht hatte,
ging in raschen, verwirrten Zügen durch meinen
Kopf. Ich wußte mich selbst nicht zu fassen.

Was willst Du? fragte er mit einer eisigen
Winterkälte, mit einem verdammlichen, schänd-
lichen Tone, als wenn er mich necken und
mit meiner ehemaligen Vertraulichkeit verspot-
ten wollte.

Ich konnte mich nicht länger halten: ich
mußte laut weinen. Andrea! rief ich, aber er
konnte nur mein Schluchzen hören, so sehr er-
stickte der Ton in sich selber.

Du weinst? fragte er lächelnd.

Lovell, 3r Bd. A a

nicht, mich zu regen, ſo vertraut ich auch ſonſt
mit ihm geweſen war, ſondern ich ſtand in
einer ehrerbietigen Entfernung. Endlich be-
merkte er mich, oder er hoͤrte vielmehr nur auf
zu ſchreiben. — O Roſa, mit welchem Blicke
durchbohrte er mich! Es war, als wenn ſich
meine Seele in mir furchtſam zuſammenkruͤmmte,
ſo entſetzlich ward ich von dieſem durchſchnei-
denden Blicke getroffen. —

Nun, Lovell? fragte er mit einer matten
Stimme.

Ich wußte nichts zu antworten; ich fing
an zu zittern. Alles, was ich je gedacht hatte,
ging in raſchen, verwirrten Zuͤgen durch meinen
Kopf. Ich wußte mich ſelbſt nicht zu faſſen.

Was willſt Du? fragte er mit einer eiſigen
Winterkaͤlte, mit einem verdammlichen, ſchaͤnd-
lichen Tone, als wenn er mich necken und
mit meiner ehemaligen Vertraulichkeit verſpot-
ten wollte.

Ich konnte mich nicht laͤnger halten: ich
mußte laut weinen. Andrea! rief ich, aber er
konnte nur mein Schluchzen hoͤren, ſo ſehr er-
ſtickte der Ton in ſich ſelber.

Du weinſt? fragte er laͤchelnd.

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[369/0376] nicht, mich zu regen, ſo vertraut ich auch ſonſt mit ihm geweſen war, ſondern ich ſtand in einer ehrerbietigen Entfernung. Endlich be- merkte er mich, oder er hoͤrte vielmehr nur auf zu ſchreiben. — O Roſa, mit welchem Blicke durchbohrte er mich! Es war, als wenn ſich meine Seele in mir furchtſam zuſammenkruͤmmte, ſo entſetzlich ward ich von dieſem durchſchnei- denden Blicke getroffen. — Nun, Lovell? fragte er mit einer matten Stimme. Ich wußte nichts zu antworten; ich fing an zu zittern. Alles, was ich je gedacht hatte, ging in raſchen, verwirrten Zuͤgen durch meinen Kopf. Ich wußte mich ſelbſt nicht zu faſſen. Was willſt Du? fragte er mit einer eiſigen Winterkaͤlte, mit einem verdammlichen, ſchaͤnd- lichen Tone, als wenn er mich necken und mit meiner ehemaligen Vertraulichkeit verſpot- ten wollte. Ich konnte mich nicht laͤnger halten: ich mußte laut weinen. Andrea! rief ich, aber er konnte nur mein Schluchzen hoͤren, ſo ſehr er- ſtickte der Ton in ſich ſelber. Du weinſt? fragte er laͤchelnd. Lovell, 3r Bd. A a

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/376>, abgerufen am 28.04.2024.