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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

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Fortunat.
L. Sand.
Vielleicht verkennst Du nur im wilden Sturm
Der Leidenschaft Dein eignes Herz, auch Leiden,
Geliebte, lassen sich erziehn wie Freuden;
Willst Du der Trauer der Erinnrung leben,
Mußt Du in Deiner Klage mäßig seyn,
Zu lauter, heftger Jammer bricht entzwei
Gewaltsam das Organ des tiefen Schmerzes;
Entweder stirbt der Mensch, ein seltner Fall,
Wo nicht, vergißt er um so leichter nur.
L. Oldfield.
Du lästerst, ich verzeih, Du liebtest nie.
L. Sand.
Auch ich ward plötzlich Witwe, so wie Du,
Mein Mann war jung und liebenswerth, wie
hätt' ich
Ihn nicht geliebt? Ich glaubte zu vergehn,
Doch sehnte sich nach ein'ger Zeit mein Geist
Aus jenem finstern Kerker seiner Leiden,
Doch nicht um schönen Schmerzen zu entsagen.
Nur fühlt' ich, wie mich alles bang' entsetzte
Was mich umgab, ich sah nur Todsgestalten
Aus jedem Schrank und Sessel schaurig grinsen:
Da stellt' ich mir im Hause alles um,
Die Zimmer, wo ich ihn zumeist gesehn
Vermied ich, rückte Stuhl und Schrank,
Besonders in ein anderes Gemach
Versezt' ich mir mein Bett, und wie ich nun
Fast wie in einem neuen Hause lebte,
Gedacht ich still so manches Junggesellen
Der sonst mich freundlich angelächelt hatte;
Fortunat.
L. Sand.
Vielleicht verkennſt Du nur im wilden Sturm
Der Leidenſchaft Dein eignes Herz, auch Leiden,
Geliebte, laſſen ſich erziehn wie Freuden;
Willſt Du der Trauer der Erinnrung leben,
Mußt Du in Deiner Klage maͤßig ſeyn,
Zu lauter, heftger Jammer bricht entzwei
Gewaltſam das Organ des tiefen Schmerzes;
Entweder ſtirbt der Menſch, ein ſeltner Fall,
Wo nicht, vergißt er um ſo leichter nur.
L. Oldfield.
Du laͤſterſt, ich verzeih, Du liebteſt nie.
L. Sand.
Auch ich ward ploͤtzlich Witwe, ſo wie Du,
Mein Mann war jung und liebenswerth, wie
haͤtt' ich
Ihn nicht geliebt? Ich glaubte zu vergehn,
Doch ſehnte ſich nach ein'ger Zeit mein Geiſt
Aus jenem finſtern Kerker ſeiner Leiden,
Doch nicht um ſchoͤnen Schmerzen zu entſagen.
Nur fuͤhlt' ich, wie mich alles bang' entſetzte
Was mich umgab, ich ſah nur Todsgeſtalten
Aus jedem Schrank und Seſſel ſchaurig grinſen:
Da ſtellt' ich mir im Hauſe alles um,
Die Zimmer, wo ich ihn zumeiſt geſehn
Vermied ich, ruͤckte Stuhl und Schrank,
Beſonders in ein anderes Gemach
Verſezt' ich mir mein Bett, und wie ich nun
Faſt wie in einem neuen Hauſe lebte,
Gedacht ich ſtill ſo manches Junggeſellen
Der ſonſt mich freundlich angelaͤchelt hatte;
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[99/0109] Fortunat. L. Sand. Vielleicht verkennſt Du nur im wilden Sturm Der Leidenſchaft Dein eignes Herz, auch Leiden, Geliebte, laſſen ſich erziehn wie Freuden; Willſt Du der Trauer der Erinnrung leben, Mußt Du in Deiner Klage maͤßig ſeyn, Zu lauter, heftger Jammer bricht entzwei Gewaltſam das Organ des tiefen Schmerzes; Entweder ſtirbt der Menſch, ein ſeltner Fall, Wo nicht, vergißt er um ſo leichter nur. L. Oldfield. Du laͤſterſt, ich verzeih, Du liebteſt nie. L. Sand. Auch ich ward ploͤtzlich Witwe, ſo wie Du, Mein Mann war jung und liebenswerth, wie haͤtt' ich Ihn nicht geliebt? Ich glaubte zu vergehn, Doch ſehnte ſich nach ein'ger Zeit mein Geiſt Aus jenem finſtern Kerker ſeiner Leiden, Doch nicht um ſchoͤnen Schmerzen zu entſagen. Nur fuͤhlt' ich, wie mich alles bang' entſetzte Was mich umgab, ich ſah nur Todsgeſtalten Aus jedem Schrank und Seſſel ſchaurig grinſen: Da ſtellt' ich mir im Hauſe alles um, Die Zimmer, wo ich ihn zumeiſt geſehn Vermied ich, ruͤckte Stuhl und Schrank, Beſonders in ein anderes Gemach Verſezt' ich mir mein Bett, und wie ich nun Faſt wie in einem neuen Hauſe lebte, Gedacht ich ſtill ſo manches Junggeſellen Der ſonſt mich freundlich angelaͤchelt hatte;

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/109>, abgerufen am 28.04.2024.