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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Befreiung von Westphalen und Ostfriesland.
licher Staat sei. Nur unter dem Adel des Münsterlandes zeigte sich
wieder der alte pfäffische Haß gegen die preußischen Ketzer. Die Jugend
eilte frohlockend zu den Fahnen; am Eifrigsten in den altpreußischen
Gebieten -- wie ja noch bis zum heutigen Tage jene Striche Deutsch-
lands, die durch die harte Schule König Friedrich Wilhelms I. gegangen
sind, die größte Bereitwilligkeit zum Waffendienste zeigen. In den meisten
Kreisen von Cleve und der Grafschaft Mark war eine förmliche Aus-
hebung nicht nöthig, da die Zahl der Freiwilligen den Bedarf über-
reichlich deckte. Selbst die Ostfriesen, denen König Friedrich die Befreiung
von der Cantonspflicht geschenkt hatte, überwanden den Widerwillen des
Seemanns gegen den Landdienst und stellten sich zahlreich. Ein Theil
der also in höchster Eile gebildeten Truppen konnte in der That noch
rechtzeitig zur Einschließung der französischen Festungen abgehen. Den
bibelfesten Markanern predigten die Pfarrer von dem eifrigen Herrn
Zebaoth, der sein Volk aufruft zum heiligen Kampfe; nach dem Kriege
ward auf den grauen Felsen über der Grüne ein Gedächtnißkreuz errichtet
mit der Inschrift: Und im Namen unseres Gottes warfen wir Panier auf!
Selbst der Landsturm kam mehrmals, öfter als im Osten, zur Verwen-
dung. Die ostfriesischen Landstürmer nahmen theil an der Belagerung
von Delfzyl, die clevischen lagen wochenlang vor Wesel; in dem alt-
berühmten clevischen Dorfe Brünen, das schon im siebenjährigen Kriege
seine Treue erprobt hatte, trugen nach dem Frieden alle Männer die
Kriegsdenkmünze.

Merkwürdig aber, wie streng conservativ dies Volk sich zeigte sobald
es wieder sich selber angehörte: man wollte zurück zu der guten alten
Zeit, zu allen ihren Segnungen, auch zu ihrem Ständewesen. Ständische
Ausschüsse besorgten hier wie im Osten die Aushebung der Landwehr
unter der Oberleitung eines königlichen und eines ständischen Commissars.
Was Wunder, daß sich die alten Landstände sofort wieder als die recht-
mäßigen Vertreter des Landes fühlten. Alsbald nach der Befreiung be-
rief der Landesdirector von Romberg den Landtag der Grafschaft Mark
ein: "die wohlthätige ständische Verfassung tritt wieder in Wirkung*)."
Dann wurde der Führer der altständischen Partei, Freiherr von Bodel-
schwingh-Plettenberg, zum Könige nach Frankfurt geschickt, um die Freude
der Grafschaft über die Wiedervereinigung auszusprechen, aber auch die
Bitte, daß keine Veränderung der alten Landesverfassung erfolge, es sei
denn nach Anhörung des Landtags. In gleichem Sinne schrieb der Vor-
sitzende von Ritterschaft und Ständen Ostfrieslands, Freiherr zu Inn-
und Knyphausen zum nächsten Geburtstage des Königs, betheuerte mit
warmen Worten, wie sehr das Land sich freue "seinen alten herrlichen

*) Rombergs Rundschreiben an die Stände der Grafschaft Mark vom 22. No-
vember 1813.

Befreiung von Weſtphalen und Oſtfriesland.
licher Staat ſei. Nur unter dem Adel des Münſterlandes zeigte ſich
wieder der alte pfäffiſche Haß gegen die preußiſchen Ketzer. Die Jugend
eilte frohlockend zu den Fahnen; am Eifrigſten in den altpreußiſchen
Gebieten — wie ja noch bis zum heutigen Tage jene Striche Deutſch-
lands, die durch die harte Schule König Friedrich Wilhelms I. gegangen
ſind, die größte Bereitwilligkeit zum Waffendienſte zeigen. In den meiſten
Kreiſen von Cleve und der Grafſchaft Mark war eine förmliche Aus-
hebung nicht nöthig, da die Zahl der Freiwilligen den Bedarf über-
reichlich deckte. Selbſt die Oſtfrieſen, denen König Friedrich die Befreiung
von der Cantonspflicht geſchenkt hatte, überwanden den Widerwillen des
Seemanns gegen den Landdienſt und ſtellten ſich zahlreich. Ein Theil
der alſo in höchſter Eile gebildeten Truppen konnte in der That noch
rechtzeitig zur Einſchließung der franzöſiſchen Feſtungen abgehen. Den
bibelfeſten Markanern predigten die Pfarrer von dem eifrigen Herrn
Zebaoth, der ſein Volk aufruft zum heiligen Kampfe; nach dem Kriege
ward auf den grauen Felſen über der Grüne ein Gedächtnißkreuz errichtet
mit der Inſchrift: Und im Namen unſeres Gottes warfen wir Panier auf!
Selbſt der Landſturm kam mehrmals, öfter als im Oſten, zur Verwen-
dung. Die oſtfrieſiſchen Landſtürmer nahmen theil an der Belagerung
von Delfzyl, die cleviſchen lagen wochenlang vor Weſel; in dem alt-
berühmten cleviſchen Dorfe Brünen, das ſchon im ſiebenjährigen Kriege
ſeine Treue erprobt hatte, trugen nach dem Frieden alle Männer die
Kriegsdenkmünze.

Merkwürdig aber, wie ſtreng conſervativ dies Volk ſich zeigte ſobald
es wieder ſich ſelber angehörte: man wollte zurück zu der guten alten
Zeit, zu allen ihren Segnungen, auch zu ihrem Ständeweſen. Ständiſche
Ausſchüſſe beſorgten hier wie im Oſten die Aushebung der Landwehr
unter der Oberleitung eines königlichen und eines ſtändiſchen Commiſſars.
Was Wunder, daß ſich die alten Landſtände ſofort wieder als die recht-
mäßigen Vertreter des Landes fühlten. Alsbald nach der Befreiung be-
rief der Landesdirector von Romberg den Landtag der Grafſchaft Mark
ein: „die wohlthätige ſtändiſche Verfaſſung tritt wieder in Wirkung*).“
Dann wurde der Führer der altſtändiſchen Partei, Freiherr von Bodel-
ſchwingh-Plettenberg, zum Könige nach Frankfurt geſchickt, um die Freude
der Grafſchaft über die Wiedervereinigung auszuſprechen, aber auch die
Bitte, daß keine Veränderung der alten Landesverfaſſung erfolge, es ſei
denn nach Anhörung des Landtags. In gleichem Sinne ſchrieb der Vor-
ſitzende von Ritterſchaft und Ständen Oſtfrieslands, Freiherr zu Inn-
und Knyphauſen zum nächſten Geburtstage des Königs, betheuerte mit
warmen Worten, wie ſehr das Land ſich freue „ſeinen alten herrlichen

*) Rombergs Rundſchreiben an die Stände der Grafſchaft Mark vom 22. No-
vember 1813.
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[509/0525] Befreiung von Weſtphalen und Oſtfriesland. licher Staat ſei. Nur unter dem Adel des Münſterlandes zeigte ſich wieder der alte pfäffiſche Haß gegen die preußiſchen Ketzer. Die Jugend eilte frohlockend zu den Fahnen; am Eifrigſten in den altpreußiſchen Gebieten — wie ja noch bis zum heutigen Tage jene Striche Deutſch- lands, die durch die harte Schule König Friedrich Wilhelms I. gegangen ſind, die größte Bereitwilligkeit zum Waffendienſte zeigen. In den meiſten Kreiſen von Cleve und der Grafſchaft Mark war eine förmliche Aus- hebung nicht nöthig, da die Zahl der Freiwilligen den Bedarf über- reichlich deckte. Selbſt die Oſtfrieſen, denen König Friedrich die Befreiung von der Cantonspflicht geſchenkt hatte, überwanden den Widerwillen des Seemanns gegen den Landdienſt und ſtellten ſich zahlreich. Ein Theil der alſo in höchſter Eile gebildeten Truppen konnte in der That noch rechtzeitig zur Einſchließung der franzöſiſchen Feſtungen abgehen. Den bibelfeſten Markanern predigten die Pfarrer von dem eifrigen Herrn Zebaoth, der ſein Volk aufruft zum heiligen Kampfe; nach dem Kriege ward auf den grauen Felſen über der Grüne ein Gedächtnißkreuz errichtet mit der Inſchrift: Und im Namen unſeres Gottes warfen wir Panier auf! Selbſt der Landſturm kam mehrmals, öfter als im Oſten, zur Verwen- dung. Die oſtfrieſiſchen Landſtürmer nahmen theil an der Belagerung von Delfzyl, die cleviſchen lagen wochenlang vor Weſel; in dem alt- berühmten cleviſchen Dorfe Brünen, das ſchon im ſiebenjährigen Kriege ſeine Treue erprobt hatte, trugen nach dem Frieden alle Männer die Kriegsdenkmünze. Merkwürdig aber, wie ſtreng conſervativ dies Volk ſich zeigte ſobald es wieder ſich ſelber angehörte: man wollte zurück zu der guten alten Zeit, zu allen ihren Segnungen, auch zu ihrem Ständeweſen. Ständiſche Ausſchüſſe beſorgten hier wie im Oſten die Aushebung der Landwehr unter der Oberleitung eines königlichen und eines ſtändiſchen Commiſſars. Was Wunder, daß ſich die alten Landſtände ſofort wieder als die recht- mäßigen Vertreter des Landes fühlten. Alsbald nach der Befreiung be- rief der Landesdirector von Romberg den Landtag der Grafſchaft Mark ein: „die wohlthätige ſtändiſche Verfaſſung tritt wieder in Wirkung *).“ Dann wurde der Führer der altſtändiſchen Partei, Freiherr von Bodel- ſchwingh-Plettenberg, zum Könige nach Frankfurt geſchickt, um die Freude der Grafſchaft über die Wiedervereinigung auszuſprechen, aber auch die Bitte, daß keine Veränderung der alten Landesverfaſſung erfolge, es ſei denn nach Anhörung des Landtags. In gleichem Sinne ſchrieb der Vor- ſitzende von Ritterſchaft und Ständen Oſtfrieslands, Freiherr zu Inn- und Knyphauſen zum nächſten Geburtstage des Königs, betheuerte mit warmen Worten, wie ſehr das Land ſich freue „ſeinen alten herrlichen *) Rombergs Rundſchreiben an die Stände der Grafſchaft Mark vom 22. No- vember 1813.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/525>, abgerufen am 30.04.2024.