gaben wiederholt: "Unsere Verfassung hat wohlthätig bestanden, ehe der preußische Staat eine Verfassung hatte. Daß der Entwurf dieser noch nicht vollendet ist, kann daher kein Hinderniß sein die unserige in ihren Grenzen zu lassen." Nach wiederholten Beschwichtigungsversuchen verbot endlich Hardenberg dem unermüdlichen Kläger, den ständischen Titel zu führen und stellte später (10. Mai 1820) den allgemeinen Grundsatz auf: wo die alten Stände durch die von Preußen im Tilsiter Frieden aner- kannte Fremdherrschaft aufgehoben sind, da bleiben sie aufgehoben bis zur Einführung der neuen Provinzialstände.*) Der Grundsatz war rechtlich unanfechtbar, da die preußische Regierung für die Gewaltstreiche der Fremd- herrschaft nicht einzustehen hatte, und eine politische Nothwendigkeit, denn in dem Augenblicke, da man das Alte neugestalten wollte, konnte der alte Zustand doch nicht einfach wieder hergestellt werden.
Jene Bestrebungen der markanischen Stände bildeten nur ein Glied in der Kette einer weitverzweigten Adelsbewegung, welche die gesammten westphälisch-niederrheinischen Lande durchzog und zunächst darauf ausging, die alte ständische Union von Jülich, Cleve, Berg und Mark wiederher- zustellen. Leider schloß sich auch Stein diesem Adel an. Der große Staats- mann erkannte zwar, daß die neue Verfassung unmöglich mit den alten Ständen vereinbart werden konnte; er wollte freie Hand für den König "mit Berathung derer, die er zum Berathen beruft", und warnte seine Landsleute vor den ausschweifenden Forderungen des kurmärkischen Adels- hochmuths. Aber voll leidenschaftlichen Hasses gegen Hardenberg, erbittert über den zögernden Gang der Regierung, begünstigte er doch die künst- lichen und rechtswidrigen Wiederbelebungsversuche der rheinisch-westphä- lischen Stände; er sah darin einen heilsamen Stachel für die Regierung, während sie in Wahrheit ein Hemmschuh waren für jede durchgreifende Reform. Sein aristokratischer Sinn ward härter und schroffer, da er alterte; sein Eigenthümerparlament verstand er jetzt als eine Vertretung des Grundeigenthums allein; nicht der große Grundbesitz, sondern der Adel sollte den ersten Stand bilden. Und mit welcher seltsamen Gesell- schaft trat der Freiherr jetzt in Verbindung. Da war im Jülichschen jener Mirbach, der die Ahnenprobe für die adlichen Landstände wünschte. Und im Münsterlande Graf Merveldt, der für jedes der alten Territorien Westphalens eine besondere Ständeversammlung forderte; aus ihnen sollten dann die Abgeordneten zum Provinziallandtage gewählt werden: "Diese Monarchie bildet sich aus Ländern und Staaten, welche Verfassungen hatten, die, dem Himmel sei Dank, durch keine Revolution aufgelöst sind". Nun wandten sich auch die Stände des Fürstenthums Paderborn an den
*) Vorstellung der Huldigungsdeputirten der Grafschaft Mark-an Minister v. d. Reck 20. Oktbr. 1815. Eingaben der Stände an den Staatskanzler 20. März, 2. Juni 1817 u. s. w. Erwiderungen Hardenbergs 18. Mai 1817, 10. Mai 1820.
Beginn der altſtändiſchen Bewegung.
gaben wiederholt: „Unſere Verfaſſung hat wohlthätig beſtanden, ehe der preußiſche Staat eine Verfaſſung hatte. Daß der Entwurf dieſer noch nicht vollendet iſt, kann daher kein Hinderniß ſein die unſerige in ihren Grenzen zu laſſen.“ Nach wiederholten Beſchwichtigungsverſuchen verbot endlich Hardenberg dem unermüdlichen Kläger, den ſtändiſchen Titel zu führen und ſtellte ſpäter (10. Mai 1820) den allgemeinen Grundſatz auf: wo die alten Stände durch die von Preußen im Tilſiter Frieden aner- kannte Fremdherrſchaft aufgehoben ſind, da bleiben ſie aufgehoben bis zur Einführung der neuen Provinzialſtände.*) Der Grundſatz war rechtlich unanfechtbar, da die preußiſche Regierung für die Gewaltſtreiche der Fremd- herrſchaft nicht einzuſtehen hatte, und eine politiſche Nothwendigkeit, denn in dem Augenblicke, da man das Alte neugeſtalten wollte, konnte der alte Zuſtand doch nicht einfach wieder hergeſtellt werden.
Jene Beſtrebungen der markaniſchen Stände bildeten nur ein Glied in der Kette einer weitverzweigten Adelsbewegung, welche die geſammten weſtphäliſch-niederrheiniſchen Lande durchzog und zunächſt darauf ausging, die alte ſtändiſche Union von Jülich, Cleve, Berg und Mark wiederher- zuſtellen. Leider ſchloß ſich auch Stein dieſem Adel an. Der große Staats- mann erkannte zwar, daß die neue Verfaſſung unmöglich mit den alten Ständen vereinbart werden konnte; er wollte freie Hand für den König „mit Berathung derer, die er zum Berathen beruft“, und warnte ſeine Landsleute vor den ausſchweifenden Forderungen des kurmärkiſchen Adels- hochmuths. Aber voll leidenſchaftlichen Haſſes gegen Hardenberg, erbittert über den zögernden Gang der Regierung, begünſtigte er doch die künſt- lichen und rechtswidrigen Wiederbelebungsverſuche der rheiniſch-weſtphä- liſchen Stände; er ſah darin einen heilſamen Stachel für die Regierung, während ſie in Wahrheit ein Hemmſchuh waren für jede durchgreifende Reform. Sein ariſtokratiſcher Sinn ward härter und ſchroffer, da er alterte; ſein Eigenthümerparlament verſtand er jetzt als eine Vertretung des Grundeigenthums allein; nicht der große Grundbeſitz, ſondern der Adel ſollte den erſten Stand bilden. Und mit welcher ſeltſamen Geſell- ſchaft trat der Freiherr jetzt in Verbindung. Da war im Jülichſchen jener Mirbach, der die Ahnenprobe für die adlichen Landſtände wünſchte. Und im Münſterlande Graf Merveldt, der für jedes der alten Territorien Weſtphalens eine beſondere Ständeverſammlung forderte; aus ihnen ſollten dann die Abgeordneten zum Provinziallandtage gewählt werden: „Dieſe Monarchie bildet ſich aus Ländern und Staaten, welche Verfaſſungen hatten, die, dem Himmel ſei Dank, durch keine Revolution aufgelöſt ſind“. Nun wandten ſich auch die Stände des Fürſtenthums Paderborn an den
*) Vorſtellung der Huldigungsdeputirten der Grafſchaft Mark-an Miniſter v. d. Reck 20. Oktbr. 1815. Eingaben der Stände an den Staatskanzler 20. März, 2. Juni 1817 u. ſ. w. Erwiderungen Hardenbergs 18. Mai 1817, 10. Mai 1820.
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Beginn der altſtändiſchen Bewegung.
gaben wiederholt: „Unſere Verfaſſung hat wohlthätig beſtanden, ehe der
preußiſche Staat eine Verfaſſung hatte. Daß der Entwurf dieſer noch
nicht vollendet iſt, kann daher kein Hinderniß ſein die unſerige in ihren
Grenzen zu laſſen.“ Nach wiederholten Beſchwichtigungsverſuchen verbot
endlich Hardenberg dem unermüdlichen Kläger, den ſtändiſchen Titel zu
führen und ſtellte ſpäter (10. Mai 1820) den allgemeinen Grundſatz auf:
wo die alten Stände durch die von Preußen im Tilſiter Frieden aner-
kannte Fremdherrſchaft aufgehoben ſind, da bleiben ſie aufgehoben bis zur
Einführung der neuen Provinzialſtände. *) Der Grundſatz war rechtlich
unanfechtbar, da die preußiſche Regierung für die Gewaltſtreiche der Fremd-
herrſchaft nicht einzuſtehen hatte, und eine politiſche Nothwendigkeit, denn
in dem Augenblicke, da man das Alte neugeſtalten wollte, konnte der alte
Zuſtand doch nicht einfach wieder hergeſtellt werden.
Jene Beſtrebungen der markaniſchen Stände bildeten nur ein Glied
in der Kette einer weitverzweigten Adelsbewegung, welche die geſammten
weſtphäliſch-niederrheiniſchen Lande durchzog und zunächſt darauf ausging,
die alte ſtändiſche Union von Jülich, Cleve, Berg und Mark wiederher-
zuſtellen. Leider ſchloß ſich auch Stein dieſem Adel an. Der große Staats-
mann erkannte zwar, daß die neue Verfaſſung unmöglich mit den alten
Ständen vereinbart werden konnte; er wollte freie Hand für den König
„mit Berathung derer, die er zum Berathen beruft“, und warnte ſeine
Landsleute vor den ausſchweifenden Forderungen des kurmärkiſchen Adels-
hochmuths. Aber voll leidenſchaftlichen Haſſes gegen Hardenberg, erbittert
über den zögernden Gang der Regierung, begünſtigte er doch die künſt-
lichen und rechtswidrigen Wiederbelebungsverſuche der rheiniſch-weſtphä-
liſchen Stände; er ſah darin einen heilſamen Stachel für die Regierung,
während ſie in Wahrheit ein Hemmſchuh waren für jede durchgreifende
Reform. Sein ariſtokratiſcher Sinn ward härter und ſchroffer, da er
alterte; ſein Eigenthümerparlament verſtand er jetzt als eine Vertretung
des Grundeigenthums allein; nicht der große Grundbeſitz, ſondern der
Adel ſollte den erſten Stand bilden. Und mit welcher ſeltſamen Geſell-
ſchaft trat der Freiherr jetzt in Verbindung. Da war im Jülichſchen jener
Mirbach, der die Ahnenprobe für die adlichen Landſtände wünſchte. Und
im Münſterlande Graf Merveldt, der für jedes der alten Territorien
Weſtphalens eine beſondere Ständeverſammlung forderte; aus ihnen ſollten
dann die Abgeordneten zum Provinziallandtage gewählt werden: „Dieſe
Monarchie bildet ſich aus Ländern und Staaten, welche Verfaſſungen
hatten, die, dem Himmel ſei Dank, durch keine Revolution aufgelöſt ſind“.
Nun wandten ſich auch die Stände des Fürſtenthums Paderborn an den
*) Vorſtellung der Huldigungsdeputirten der Grafſchaft Mark-an Miniſter v. d. Reck
20. Oktbr. 1815. Eingaben der Stände an den Staatskanzler 20. März, 2. Juni 1817
u. ſ. w. Erwiderungen Hardenbergs 18. Mai 1817, 10. Mai 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/299>, abgerufen am 16.06.2024.
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