II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
König, baten um ihre Wiederherstellung. Noch weiter gingen die Land- räthe v. d. Horst und v. Borries als Deputirte der Mindener Stände; sie verlangten Wiederaufrichtung der alten Verfassung, mindestens insoweit, daß die Mindener Nation ihre Steuern selbst bewillige und die Landes- bewaffnung von ihren Ständen geleitet werde.*) Die altständische Be- wegung griff täglich weiter um sich. Selbst im Herzogthum Magdeburg, dessen Stände schon lange vor den Tagen des Königs Jerome gar nichts mehr gegolten hatten, auch in der Grafschaft Hohenstein und im Eichs- felde wurden Stimmen laut, welche die alten Landtage zurückverlangten.
Solchen Ansprüchen gegenüber konnte die Staatseinheit nur dann gewahrt werden, wenn das Verfassungswerk allein von der Krone ausging. Die Nachrichten aus Württemberg, wo der König soeben mit einer alt- ständischen Versammlung sich vergeblich über eine neue Verfassung zu ver- ständigen versuchte, hinterließen in Berlin tiefen Eindruck. Wer durfte nach diesen Erfahrungen auch nur daran denken, die preußische Verfassung mit zwanzig oder mehr altständischen Landtagen zu vereinbaren? Man bedurfte eines Neubaues. Die neuen Provinzialstände mußten sich an- schließen an die modernen Provinzen, nicht an die alten Territorien, und neben dem Adel auch den Städten und dem kleinen Grundbesitze eine an- gemessene Vertretung bieten. Zugleich lehrte das Wiedererwachen des stän- dischen Particularismus, wie stark die centrifugalen Kräfte noch waren; darum schien unerläßlich, den Provinzialständen den Reichstag auf dem Fuße folgen zu lassen.
Dies Alles hatte Hardenberg klar erkannt. Unter den Ministern aber herrschte vollständige Rathlosigkeit. Sie standen einem durchaus neuen Probleme gegenüber und betrachteten den zähen Widerstand der neuen Provinzen, den Lärm der alten Stände mit schwerer Besorgniß. Wäh- rend Ancillon in vertraulichen Gesprächen sich schon der Wünsche der Alt- ständischen annahm, war Klewiz der Erste, der ihnen offen entgegenkam. Ein ehrlicher Gegner der feudalen Partei, hatte der wackere Mann doch von jeher die Berechtigung der particularistischen Kräfte des Staats über- schätzt und daher schon in jener Denkschrift, welche die Wiederherstellung der Provinzialminister empfahl, dem Staatskanzler vorgeschlagen: man möge vorläufig nur Provinzialstände bilden, dann werde die Nation die Reichsverfassung ruhig abwarten. Ein halbes Jahr darauf, im Frühjahr 1817, that er noch einen Schritt weiter nach der altständischen Seite hinüber. Er schrieb eine neue Denkschrift "Was erwarten die preußischen Länder von ihrem König und was kann der König ihnen gewähren?" und be- antwortete seine Frage dahin: "Mehr nicht erwarten diese Länder, alte
*) Graf Merveldt, Eingabe an Minister Altenstein 20. August 1817. Bittschrift der Paderborner Stände an den König 31. August 1816. Eingabe der Stände des Fürsten- thums Minden an Hardenberg, 10. April 1815.
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
König, baten um ihre Wiederherſtellung. Noch weiter gingen die Land- räthe v. d. Horſt und v. Borries als Deputirte der Mindener Stände; ſie verlangten Wiederaufrichtung der alten Verfaſſung, mindeſtens inſoweit, daß die Mindener Nation ihre Steuern ſelbſt bewillige und die Landes- bewaffnung von ihren Ständen geleitet werde.*) Die altſtändiſche Be- wegung griff täglich weiter um ſich. Selbſt im Herzogthum Magdeburg, deſſen Stände ſchon lange vor den Tagen des Königs Jerome gar nichts mehr gegolten hatten, auch in der Grafſchaft Hohenſtein und im Eichs- felde wurden Stimmen laut, welche die alten Landtage zurückverlangten.
Solchen Anſprüchen gegenüber konnte die Staatseinheit nur dann gewahrt werden, wenn das Verfaſſungswerk allein von der Krone ausging. Die Nachrichten aus Württemberg, wo der König ſoeben mit einer alt- ſtändiſchen Verſammlung ſich vergeblich über eine neue Verfaſſung zu ver- ſtändigen verſuchte, hinterließen in Berlin tiefen Eindruck. Wer durfte nach dieſen Erfahrungen auch nur daran denken, die preußiſche Verfaſſung mit zwanzig oder mehr altſtändiſchen Landtagen zu vereinbaren? Man bedurfte eines Neubaues. Die neuen Provinzialſtände mußten ſich an- ſchließen an die modernen Provinzen, nicht an die alten Territorien, und neben dem Adel auch den Städten und dem kleinen Grundbeſitze eine an- gemeſſene Vertretung bieten. Zugleich lehrte das Wiedererwachen des ſtän- diſchen Particularismus, wie ſtark die centrifugalen Kräfte noch waren; darum ſchien unerläßlich, den Provinzialſtänden den Reichstag auf dem Fuße folgen zu laſſen.
Dies Alles hatte Hardenberg klar erkannt. Unter den Miniſtern aber herrſchte vollſtändige Rathloſigkeit. Sie ſtanden einem durchaus neuen Probleme gegenüber und betrachteten den zähen Widerſtand der neuen Provinzen, den Lärm der alten Stände mit ſchwerer Beſorgniß. Wäh- rend Ancillon in vertraulichen Geſprächen ſich ſchon der Wünſche der Alt- ſtändiſchen annahm, war Klewiz der Erſte, der ihnen offen entgegenkam. Ein ehrlicher Gegner der feudalen Partei, hatte der wackere Mann doch von jeher die Berechtigung der particulariſtiſchen Kräfte des Staats über- ſchätzt und daher ſchon in jener Denkſchrift, welche die Wiederherſtellung der Provinzialminiſter empfahl, dem Staatskanzler vorgeſchlagen: man möge vorläufig nur Provinzialſtände bilden, dann werde die Nation die Reichsverfaſſung ruhig abwarten. Ein halbes Jahr darauf, im Frühjahr 1817, that er noch einen Schritt weiter nach der altſtändiſchen Seite hinüber. Er ſchrieb eine neue Denkſchrift „Was erwarten die preußiſchen Länder von ihrem König und was kann der König ihnen gewähren?“ und be- antwortete ſeine Frage dahin: „Mehr nicht erwarten dieſe Länder, alte
*) Graf Merveldt, Eingabe an Miniſter Altenſtein 20. Auguſt 1817. Bittſchrift der Paderborner Stände an den König 31. Auguſt 1816. Eingabe der Stände des Fürſten- thums Minden an Hardenberg, 10. April 1815.
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König, baten um ihre Wiederherſtellung. Noch weiter gingen die Land-
räthe v. d. Horſt und v. Borries als Deputirte der Mindener Stände;
ſie verlangten Wiederaufrichtung der alten Verfaſſung, mindeſtens inſoweit,
daß die Mindener Nation ihre Steuern ſelbſt bewillige und die Landes-
bewaffnung von ihren Ständen geleitet werde. *) Die altſtändiſche Be-
wegung griff täglich weiter um ſich. Selbſt im Herzogthum Magdeburg,
deſſen Stände ſchon lange vor den Tagen des Königs Jerome gar nichts
mehr gegolten hatten, auch in der Grafſchaft Hohenſtein und im Eichs-
felde wurden Stimmen laut, welche die alten Landtage zurückverlangten.
Solchen Anſprüchen gegenüber konnte die Staatseinheit nur dann
gewahrt werden, wenn das Verfaſſungswerk allein von der Krone ausging.
Die Nachrichten aus Württemberg, wo der König ſoeben mit einer alt-
ſtändiſchen Verſammlung ſich vergeblich über eine neue Verfaſſung zu ver-
ſtändigen verſuchte, hinterließen in Berlin tiefen Eindruck. Wer durfte
nach dieſen Erfahrungen auch nur daran denken, die preußiſche Verfaſſung
mit zwanzig oder mehr altſtändiſchen Landtagen zu vereinbaren? Man
bedurfte eines Neubaues. Die neuen Provinzialſtände mußten ſich an-
ſchließen an die modernen Provinzen, nicht an die alten Territorien, und
neben dem Adel auch den Städten und dem kleinen Grundbeſitze eine an-
gemeſſene Vertretung bieten. Zugleich lehrte das Wiedererwachen des ſtän-
diſchen Particularismus, wie ſtark die centrifugalen Kräfte noch waren;
darum ſchien unerläßlich, den Provinzialſtänden den Reichstag auf dem
Fuße folgen zu laſſen.
Dies Alles hatte Hardenberg klar erkannt. Unter den Miniſtern aber
herrſchte vollſtändige Rathloſigkeit. Sie ſtanden einem durchaus neuen
Probleme gegenüber und betrachteten den zähen Widerſtand der neuen
Provinzen, den Lärm der alten Stände mit ſchwerer Beſorgniß. Wäh-
rend Ancillon in vertraulichen Geſprächen ſich ſchon der Wünſche der Alt-
ſtändiſchen annahm, war Klewiz der Erſte, der ihnen offen entgegenkam.
Ein ehrlicher Gegner der feudalen Partei, hatte der wackere Mann doch
von jeher die Berechtigung der particulariſtiſchen Kräfte des Staats über-
ſchätzt und daher ſchon in jener Denkſchrift, welche die Wiederherſtellung
der Provinzialminiſter empfahl, dem Staatskanzler vorgeſchlagen: man
möge vorläufig nur Provinzialſtände bilden, dann werde die Nation die
Reichsverfaſſung ruhig abwarten. Ein halbes Jahr darauf, im Frühjahr
1817, that er noch einen Schritt weiter nach der altſtändiſchen Seite hinüber.
Er ſchrieb eine neue Denkſchrift „Was erwarten die preußiſchen Länder
von ihrem König und was kann der König ihnen gewähren?“ und be-
antwortete ſeine Frage dahin: „Mehr nicht erwarten dieſe Länder, alte
*) Graf Merveldt, Eingabe an Miniſter Altenſtein 20. Auguſt 1817. Bittſchrift der
Paderborner Stände an den König 31. Auguſt 1816. Eingabe der Stände des Fürſten-
thums Minden an Hardenberg, 10. April 1815.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/300>, abgerufen am 17.06.2024.
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