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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 3. Troppau und Laibach.
abzubrechen. Darum brachte auch die philhellenische Zeitdichtung, die
bald ins Kraut schoß, neben vielen tauben Blüthen doch einige reife Früchte
hervor: die schwungvollen Oden des Schwaben Waiblinger und vor allen
die feurigen Griechenlieder des Dessauers Wilhelm Müller. Dem liebens-
würdigen jungen Dichter war schon manches tief empfundene Liebeslied,
manch frischer Sang von Wein- und Wanderlust gelungen; nun ließ er
am Abend seines kurzen glücklichen Künstlerlebens die schöne Jünglings-
begeisterung des deutschen Befreiungskrieges, den er einst selber als preu-
ßischer Freiwilliger mitgeschlagen hatte, noch einmal in kräftigen, melodi-
schen Klängen hinaustönen, jenen weitherzigen, gläubigen Enthusiasmus,
der mit der Freiheit des Vaterlandes zugleich die Freiheit aller Völker zu
erringen hoffte. Es war deutsche Empfindung, die sich hier in fremd-
ländischer Hülle barg; Müller's Lied vom kleinen Hydrioten klang wie der
Widerhall von Arndt's "Knaben Robert". Vernehmlicher als in den Zei-
tungen durfte sich der Haß der liberalen Welt wider die Wiener Staats-
kunst hier im Liede äußern. "Auch des Türkenkaisers Polster nennt Europa
einen Thron!" -- rief der Dichter zornig; dem Oesterreichischen Beob-
achter erwiderte er: "Beobacht' aus dem Staube die Welt dein Leben
lang", und für den gährenden Thatendrang des jungen Geschlechts fand
er Töne, die späterhin in Becker's Rheinlied und in der Wacht am Rhein
unverkennbar nachklangen:

Wer für die Freiheit kämpft und fällt, deß Ruhm wird blühend stehn,
So lange frei die Winde noch durch freie Lüfte wehn,
So lange frei der Bäume Laub noch rauscht im grünen Wald,
So lang des Stromes Woge noch frei nach dem Meere wallt,
So lang des Adlers Fittich frei noch durch die Wolken fleucht,
So lang ein freier Odem noch aus freiem Herzen steigt.

Trotz der mitwirkenden kirchlichen Begeisterung blieb der Philhellenis-
mus wesentlich oppositionell und fand daher unter den liberalen Süd-
deutschen mehr Anklang als in dem ruhigen Norden. Auch in der Schweiz
zeigten sich die liberalen Kantone am eifrigsten. Den protestantischen Appen-
zellern rief der Eidgenosse Frei ins Gedächtniß: ihre freien Väter hätten
einst einen eigenen Bettag gehalten, daß Gott die Sache Friedrich's und
seiner Preußen schützen möge; wie dürften die Söhne lau bleiben gegen
den neuen Freiheitskampf im Osten? Von Genf aus kam der große Bank-
herr Eynard den Griechen mit reichen Geldmitteln zu Hilfe und verbreitete
zugleich die philhellenischen Vereine über Frankreich. Auch dort im Westen
trug die Bewegung einen entschieden liberalen Charakter, obgleich einzelne
Ultras sich ihr anschlossen, und sogar Bonald, seit de Maistre's Tode der
namhafteste Schriftsteller der Clericalen, im Journal des Debats erklärte,
die heiligste Legitimität sei die der Vernunft und der Wahrheit. Casimir
Delavigne, der soeben in seinen Messeniennes das Unglück Frankreichs be-
klagt hatte, schilderte jetzt in neuen messenischen Oden, wie die Freiheit,

III. 3. Troppau und Laibach.
abzubrechen. Darum brachte auch die philhelleniſche Zeitdichtung, die
bald ins Kraut ſchoß, neben vielen tauben Blüthen doch einige reife Früchte
hervor: die ſchwungvollen Oden des Schwaben Waiblinger und vor allen
die feurigen Griechenlieder des Deſſauers Wilhelm Müller. Dem liebens-
würdigen jungen Dichter war ſchon manches tief empfundene Liebeslied,
manch friſcher Sang von Wein- und Wanderluſt gelungen; nun ließ er
am Abend ſeines kurzen glücklichen Künſtlerlebens die ſchöne Jünglings-
begeiſterung des deutſchen Befreiungskrieges, den er einſt ſelber als preu-
ßiſcher Freiwilliger mitgeſchlagen hatte, noch einmal in kräftigen, melodi-
ſchen Klängen hinaustönen, jenen weitherzigen, gläubigen Enthuſiasmus,
der mit der Freiheit des Vaterlandes zugleich die Freiheit aller Völker zu
erringen hoffte. Es war deutſche Empfindung, die ſich hier in fremd-
ländiſcher Hülle barg; Müller’s Lied vom kleinen Hydrioten klang wie der
Widerhall von Arndt’s „Knaben Robert“. Vernehmlicher als in den Zei-
tungen durfte ſich der Haß der liberalen Welt wider die Wiener Staats-
kunſt hier im Liede äußern. „Auch des Türkenkaiſers Polſter nennt Europa
einen Thron!“ — rief der Dichter zornig; dem Oeſterreichiſchen Beob-
achter erwiderte er: „Beobacht’ aus dem Staube die Welt dein Leben
lang“, und für den gährenden Thatendrang des jungen Geſchlechts fand
er Töne, die ſpäterhin in Becker’s Rheinlied und in der Wacht am Rhein
unverkennbar nachklangen:

Wer für die Freiheit kämpft und fällt, deß Ruhm wird blühend ſtehn,
So lange frei die Winde noch durch freie Lüfte wehn,
So lange frei der Bäume Laub noch rauſcht im grünen Wald,
So lang des Stromes Woge noch frei nach dem Meere wallt,
So lang des Adlers Fittich frei noch durch die Wolken fleucht,
So lang ein freier Odem noch aus freiem Herzen ſteigt.

Trotz der mitwirkenden kirchlichen Begeiſterung blieb der Philhellenis-
mus weſentlich oppoſitionell und fand daher unter den liberalen Süd-
deutſchen mehr Anklang als in dem ruhigen Norden. Auch in der Schweiz
zeigten ſich die liberalen Kantone am eifrigſten. Den proteſtantiſchen Appen-
zellern rief der Eidgenoſſe Frei ins Gedächtniß: ihre freien Väter hätten
einſt einen eigenen Bettag gehalten, daß Gott die Sache Friedrich’s und
ſeiner Preußen ſchützen möge; wie dürften die Söhne lau bleiben gegen
den neuen Freiheitskampf im Oſten? Von Genf aus kam der große Bank-
herr Eynard den Griechen mit reichen Geldmitteln zu Hilfe und verbreitete
zugleich die philhelleniſchen Vereine über Frankreich. Auch dort im Weſten
trug die Bewegung einen entſchieden liberalen Charakter, obgleich einzelne
Ultras ſich ihr anſchloſſen, und ſogar Bonald, ſeit de Maiſtre’s Tode der
namhafteſte Schriftſteller der Clericalen, im Journal des Debats erklärte,
die heiligſte Legitimität ſei die der Vernunft und der Wahrheit. Caſimir
Delavigne, der ſoeben in ſeinen Meſſeniennes das Unglück Frankreichs be-
klagt hatte, ſchilderte jetzt in neuen meſſeniſchen Oden, wie die Freiheit,

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[196/0212] III. 3. Troppau und Laibach. abzubrechen. Darum brachte auch die philhelleniſche Zeitdichtung, die bald ins Kraut ſchoß, neben vielen tauben Blüthen doch einige reife Früchte hervor: die ſchwungvollen Oden des Schwaben Waiblinger und vor allen die feurigen Griechenlieder des Deſſauers Wilhelm Müller. Dem liebens- würdigen jungen Dichter war ſchon manches tief empfundene Liebeslied, manch friſcher Sang von Wein- und Wanderluſt gelungen; nun ließ er am Abend ſeines kurzen glücklichen Künſtlerlebens die ſchöne Jünglings- begeiſterung des deutſchen Befreiungskrieges, den er einſt ſelber als preu- ßiſcher Freiwilliger mitgeſchlagen hatte, noch einmal in kräftigen, melodi- ſchen Klängen hinaustönen, jenen weitherzigen, gläubigen Enthuſiasmus, der mit der Freiheit des Vaterlandes zugleich die Freiheit aller Völker zu erringen hoffte. Es war deutſche Empfindung, die ſich hier in fremd- ländiſcher Hülle barg; Müller’s Lied vom kleinen Hydrioten klang wie der Widerhall von Arndt’s „Knaben Robert“. Vernehmlicher als in den Zei- tungen durfte ſich der Haß der liberalen Welt wider die Wiener Staats- kunſt hier im Liede äußern. „Auch des Türkenkaiſers Polſter nennt Europa einen Thron!“ — rief der Dichter zornig; dem Oeſterreichiſchen Beob- achter erwiderte er: „Beobacht’ aus dem Staube die Welt dein Leben lang“, und für den gährenden Thatendrang des jungen Geſchlechts fand er Töne, die ſpäterhin in Becker’s Rheinlied und in der Wacht am Rhein unverkennbar nachklangen: Wer für die Freiheit kämpft und fällt, deß Ruhm wird blühend ſtehn, So lange frei die Winde noch durch freie Lüfte wehn, So lange frei der Bäume Laub noch rauſcht im grünen Wald, So lang des Stromes Woge noch frei nach dem Meere wallt, So lang des Adlers Fittich frei noch durch die Wolken fleucht, So lang ein freier Odem noch aus freiem Herzen ſteigt. Trotz der mitwirkenden kirchlichen Begeiſterung blieb der Philhellenis- mus weſentlich oppoſitionell und fand daher unter den liberalen Süd- deutſchen mehr Anklang als in dem ruhigen Norden. Auch in der Schweiz zeigten ſich die liberalen Kantone am eifrigſten. Den proteſtantiſchen Appen- zellern rief der Eidgenoſſe Frei ins Gedächtniß: ihre freien Väter hätten einſt einen eigenen Bettag gehalten, daß Gott die Sache Friedrich’s und ſeiner Preußen ſchützen möge; wie dürften die Söhne lau bleiben gegen den neuen Freiheitskampf im Oſten? Von Genf aus kam der große Bank- herr Eynard den Griechen mit reichen Geldmitteln zu Hilfe und verbreitete zugleich die philhelleniſchen Vereine über Frankreich. Auch dort im Weſten trug die Bewegung einen entſchieden liberalen Charakter, obgleich einzelne Ultras ſich ihr anſchloſſen, und ſogar Bonald, ſeit de Maiſtre’s Tode der namhafteſte Schriftſteller der Clericalen, im Journal des Debats erklärte, die heiligſte Legitimität ſei die der Vernunft und der Wahrheit. Caſimir Delavigne, der ſoeben in ſeinen Meſſeniennes das Unglück Frankreichs be- klagt hatte, ſchilderte jetzt in neuen meſſeniſchen Oden, wie die Freiheit,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/212>, abgerufen am 30.04.2024.