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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
besuchte er Thorwaldsen in der Werkstatt und schmiedete neue Pläne für
die bairische Kunst, die ihn zuweilen so hoch begeisterten, daß er auf der
Straße Luftsprünge machte. Wer ihn so in seiner poetischen Glückseligkeit
sah, mußte den Eindruck gewinnen, daß dieser Fürst ein ganz unpoliti-
scher Kopf war. Er selber hätte das freilich nie zugegeben. Er meinte
auch zu großer That berufen zu sein, und ganz wie einst die Medi-
cäer verfolgte er bei seinen Kunstschöpfungen zugleich dynastische Zwecke:
durch den ästhetischen Ruhm dachte er dem Hause Wittelsbach eine glän-
zende Stellung in Europa zu erringen. Wohl liebte er sein Deutsch-
land mit Inbrunst, er hegte und pflegte die Erinnerungen an den Be-
freiungskrieg und taufte seine neuen Straßen nach den Schlachten bei
Arcis, Bar, Brienne, zum Befremden des französischen Gesandten, der
noch immer nicht begreifen wollte, daß die bairischen Rheinbundszeiten
zu Ende waren. Aber das deutsche Vaterland mußte auch der europäi-
schen Politik der Krone Baiern freien Spielraum lassen. Darum war
dem Könige die lockere Bundesverfassung willkommen; ich will keinen Bun-
desstaat, sagte er nachdrücklich, sondern einen einträchtigen Staatenbund.
Ganz gegen seine sparsamen Gewohnheiten berief er sofort mehrere Diplo-
maten ab; er sendete Lerchenfeld nach Frankfurt, Cetto nach London, ar-
beitete viel mit dem ehrgeizigen Grafen Bray zusammen, und die frem-
den Gesandten erzählten Wunderdinge von den großen europäischen Plänen
des Münchener Hofes.

Außerhalb Deutschlands bot sich dem bairischen Thatendrange zu-
nächst nur ein Ziel: das wiedererstehende heißgeliebte Griechenland. Bald
nach der Thronbesteigung brachten die bairischen Zeitungen einen philhel-
lenischen Aufruf: "Wie auch verschiedene Gesinnung im Uebrigen obwalten
möge, in werkthätiger Theilnahme werde übereingestimmt!" Diesen Satz
konnte nur Einer geschrieben haben. In Wien wurde der erlauchte Ver-
fasser denn auch alsbald errathen, und mit wachsendem Unwillen erfuhr
Metternich, daß Oberst Heideck mit mehreren anderen bairischen Offizieren
den Aufständischen zu Hilfe zog und große Summen vom Münchener Hofe
nach Griechenland abgingen.*) Dann kam Thiersch im Rausche seiner phil-
hellenischen Begeisterung auf den Einfall, die Griechen durch Baiern für
die Gesittung zu erziehen, des Königs Sohn, den jungen Prinzen Otto, an
die Spitze des werdenden hellenischen Staates zu stellen. Wohl niemals
war eine seltsamere Schrulle im Haupte eines braven Gelehrten aufge-
stiegen; denn in ganz Europa gab es kaum zwei Stämme, die einander
so fremd waren, wie die schlauen, genügsamen Hellenen und die ehrlichen
sinnlich kräftigen Bavaresi. König Ludwig aber ergriff den Gedanken
mit Leidenschaft; er eröffnete in München ein Panhellenion, wo die Söhne
der griechischen Helden, die Botzaris, Miaulis, Kanaris erzogen wurden,

*) Bericht von Blittersdorff 4. Sept., von Küster 19. Mai 1826 ff.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
beſuchte er Thorwaldſen in der Werkſtatt und ſchmiedete neue Pläne für
die bairiſche Kunſt, die ihn zuweilen ſo hoch begeiſterten, daß er auf der
Straße Luftſprünge machte. Wer ihn ſo in ſeiner poetiſchen Glückſeligkeit
ſah, mußte den Eindruck gewinnen, daß dieſer Fürſt ein ganz unpoliti-
ſcher Kopf war. Er ſelber hätte das freilich nie zugegeben. Er meinte
auch zu großer That berufen zu ſein, und ganz wie einſt die Medi-
cäer verfolgte er bei ſeinen Kunſtſchöpfungen zugleich dynaſtiſche Zwecke:
durch den äſthetiſchen Ruhm dachte er dem Hauſe Wittelsbach eine glän-
zende Stellung in Europa zu erringen. Wohl liebte er ſein Deutſch-
land mit Inbrunſt, er hegte und pflegte die Erinnerungen an den Be-
freiungskrieg und taufte ſeine neuen Straßen nach den Schlachten bei
Arcis, Bar, Brienne, zum Befremden des franzöſiſchen Geſandten, der
noch immer nicht begreifen wollte, daß die bairiſchen Rheinbundszeiten
zu Ende waren. Aber das deutſche Vaterland mußte auch der europäi-
ſchen Politik der Krone Baiern freien Spielraum laſſen. Darum war
dem Könige die lockere Bundesverfaſſung willkommen; ich will keinen Bun-
desſtaat, ſagte er nachdrücklich, ſondern einen einträchtigen Staatenbund.
Ganz gegen ſeine ſparſamen Gewohnheiten berief er ſofort mehrere Diplo-
maten ab; er ſendete Lerchenfeld nach Frankfurt, Cetto nach London, ar-
beitete viel mit dem ehrgeizigen Grafen Bray zuſammen, und die frem-
den Geſandten erzählten Wunderdinge von den großen europäiſchen Plänen
des Münchener Hofes.

Außerhalb Deutſchlands bot ſich dem bairiſchen Thatendrange zu-
nächſt nur ein Ziel: das wiedererſtehende heißgeliebte Griechenland. Bald
nach der Thronbeſteigung brachten die bairiſchen Zeitungen einen philhel-
leniſchen Aufruf: „Wie auch verſchiedene Geſinnung im Uebrigen obwalten
möge, in werkthätiger Theilnahme werde übereingeſtimmt!“ Dieſen Satz
konnte nur Einer geſchrieben haben. In Wien wurde der erlauchte Ver-
faſſer denn auch alsbald errathen, und mit wachſendem Unwillen erfuhr
Metternich, daß Oberſt Heideck mit mehreren anderen bairiſchen Offizieren
den Aufſtändiſchen zu Hilfe zog und große Summen vom Münchener Hofe
nach Griechenland abgingen.*) Dann kam Thierſch im Rauſche ſeiner phil-
helleniſchen Begeiſterung auf den Einfall, die Griechen durch Baiern für
die Geſittung zu erziehen, des Königs Sohn, den jungen Prinzen Otto, an
die Spitze des werdenden helleniſchen Staates zu ſtellen. Wohl niemals
war eine ſeltſamere Schrulle im Haupte eines braven Gelehrten aufge-
ſtiegen; denn in ganz Europa gab es kaum zwei Stämme, die einander
ſo fremd waren, wie die ſchlauen, genügſamen Hellenen und die ehrlichen
ſinnlich kräftigen Bavareſi. König Ludwig aber ergriff den Gedanken
mit Leidenſchaft; er eröffnete in München ein Panhellenion, wo die Söhne
der griechiſchen Helden, die Botzaris, Miaulis, Kanaris erzogen wurden,

*) Bericht von Blittersdorff 4. Sept., von Küſter 19. Mai 1826 ff.
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[618/0634] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. beſuchte er Thorwaldſen in der Werkſtatt und ſchmiedete neue Pläne für die bairiſche Kunſt, die ihn zuweilen ſo hoch begeiſterten, daß er auf der Straße Luftſprünge machte. Wer ihn ſo in ſeiner poetiſchen Glückſeligkeit ſah, mußte den Eindruck gewinnen, daß dieſer Fürſt ein ganz unpoliti- ſcher Kopf war. Er ſelber hätte das freilich nie zugegeben. Er meinte auch zu großer That berufen zu ſein, und ganz wie einſt die Medi- cäer verfolgte er bei ſeinen Kunſtſchöpfungen zugleich dynaſtiſche Zwecke: durch den äſthetiſchen Ruhm dachte er dem Hauſe Wittelsbach eine glän- zende Stellung in Europa zu erringen. Wohl liebte er ſein Deutſch- land mit Inbrunſt, er hegte und pflegte die Erinnerungen an den Be- freiungskrieg und taufte ſeine neuen Straßen nach den Schlachten bei Arcis, Bar, Brienne, zum Befremden des franzöſiſchen Geſandten, der noch immer nicht begreifen wollte, daß die bairiſchen Rheinbundszeiten zu Ende waren. Aber das deutſche Vaterland mußte auch der europäi- ſchen Politik der Krone Baiern freien Spielraum laſſen. Darum war dem Könige die lockere Bundesverfaſſung willkommen; ich will keinen Bun- desſtaat, ſagte er nachdrücklich, ſondern einen einträchtigen Staatenbund. Ganz gegen ſeine ſparſamen Gewohnheiten berief er ſofort mehrere Diplo- maten ab; er ſendete Lerchenfeld nach Frankfurt, Cetto nach London, ar- beitete viel mit dem ehrgeizigen Grafen Bray zuſammen, und die frem- den Geſandten erzählten Wunderdinge von den großen europäiſchen Plänen des Münchener Hofes. Außerhalb Deutſchlands bot ſich dem bairiſchen Thatendrange zu- nächſt nur ein Ziel: das wiedererſtehende heißgeliebte Griechenland. Bald nach der Thronbeſteigung brachten die bairiſchen Zeitungen einen philhel- leniſchen Aufruf: „Wie auch verſchiedene Geſinnung im Uebrigen obwalten möge, in werkthätiger Theilnahme werde übereingeſtimmt!“ Dieſen Satz konnte nur Einer geſchrieben haben. In Wien wurde der erlauchte Ver- faſſer denn auch alsbald errathen, und mit wachſendem Unwillen erfuhr Metternich, daß Oberſt Heideck mit mehreren anderen bairiſchen Offizieren den Aufſtändiſchen zu Hilfe zog und große Summen vom Münchener Hofe nach Griechenland abgingen. *) Dann kam Thierſch im Rauſche ſeiner phil- helleniſchen Begeiſterung auf den Einfall, die Griechen durch Baiern für die Geſittung zu erziehen, des Königs Sohn, den jungen Prinzen Otto, an die Spitze des werdenden helleniſchen Staates zu ſtellen. Wohl niemals war eine ſeltſamere Schrulle im Haupte eines braven Gelehrten aufge- ſtiegen; denn in ganz Europa gab es kaum zwei Stämme, die einander ſo fremd waren, wie die ſchlauen, genügſamen Hellenen und die ehrlichen ſinnlich kräftigen Bavareſi. König Ludwig aber ergriff den Gedanken mit Leidenſchaft; er eröffnete in München ein Panhellenion, wo die Söhne der griechiſchen Helden, die Botzaris, Miaulis, Kanaris erzogen wurden, *) Bericht von Blittersdorff 4. Sept., von Küſter 19. Mai 1826 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/634>, abgerufen am 14.05.2024.