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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Drohende Revolution in Frankreich.
einem neunjährigen treulosen Ränkespiele mit kurzsichtiger Schlauheit ge-
säet hatte: die Donaumündung war in Rußlands Händen, in Bukarest
und Jassy entschied der Czar, in Griechenland triumphirte die Revolution
und der geliebte türkische Freund schien seinem letzten Stündlein nahe.
Zur Zeit des Laibacher Congresses hatte ganz Europa bewundernd zu
dem großen österreichischen Staatsmanne aufgeblickt; jetzt war in Berlin,
Petersburg, Paris, Konstantinopel, selbst in London nur eine Stimme der
Verachtung über die unbegreiflichen Mißgriffe und die vollendete Verlogen-
heit der Wiener Politik. Kaiser Franz empfand die Niederlage sehr leb-
haft, obwohl auch er an König Friedrich Wilhelm ein Glückwunschschreiben
sendete. Gentz wehklagte über den allgemeinen politischen Bankrott, der
uns Alle erwarte, nachdem er vor Kurzem noch über die preußische Frie-
densvermittlung unverschämte Witze gerissen hatte. Metternich aber ge-
stand in einer wehmüthigen Denkschrift dem Kaiser ein (Oct. 1829): der
Grund des Mißerfolges liege in Oesterreichs inneren Zuständen. Er em-
pfahl auch Reformen in der Verwaltung, im Finanz- und Heerwesen;
da er aber von alledem nichts verstand, so begnügte er sich mit einigen
allgemeinen Redensarten. Franz malte wie gewöhnlich sein Placet dar-
unter, und wie gewöhnlich in diesem glücklichen Staate, blieb Alles beim
Alten. --

Die Augen der Welt wurden aber bald von den orientalischen Dingen
abgelenkt, da sich in Frankreich eine gewaltige Erschütterung vorbereitete.
Im April 1829 war das Ministerium Martignac zurückgetreken. Die
gemäßigten Parteien besaßen nicht den Einmuth und nicht die Selbst-
beherrschung, um den letzten ehrlichen Versuch der Versöhnung zwischen
dem alten und dem neuen Frankreich rückhaltslos zu unterstützen. Ein
geringfügiger, fast zufälliger Streit über die Einzelheiten der neuen Ge-
meinde- und Departemental-Ordnung brachte das Cabinet zu Falle; mit
Schadenfreude sahen die Ultras, wie die Linke, die Doktrinäre, die Or-
leanisten ihnen in blinder Leidenschaft folgten. Kaum war der Schlag
gefallen, so griffen sich die besonnenen Männer erschrocken an die Stirn:
seit der Rückkehr Napoleon's aus Elba war Frankreichs friedliche Ent-
wicklung nicht mehr so furchtbar gestört worden. Nun kam was kommen
mußte. König Karl bildete sich eine Regierung nach seinem Herzen. Im
August übernahm Fürst Polignac die Leitung der Geschäfte, der Führer
der Ultras, ein fanatischer Schwärmer, der in seinen Träumen die
Rathschläge der Mutter Gottes zu hören glaubte. Nur eine Krone, die
über den Parteien stand, konnte diesem zerrissenen Lande eine friedliche
Zukunft sichern, und jetzt warf sich das Königthum selber in die Arme
einer rasenden Partei. Nach wenigen Wochen schon befürchteten alle Höfe,
daß diese thörichte Regierung auf einen Verfassungsbruch lossteuere. Metter-
nich hatte die Bildung des neuen Cabinets durch seine Bevollmächtigten
Apponyi und Binder unter der Hand begünstigt; auch Wellington be-

Drohende Revolution in Frankreich.
einem neunjährigen treuloſen Ränkeſpiele mit kurzſichtiger Schlauheit ge-
ſäet hatte: die Donaumündung war in Rußlands Händen, in Bukareſt
und Jaſſy entſchied der Czar, in Griechenland triumphirte die Revolution
und der geliebte türkiſche Freund ſchien ſeinem letzten Stündlein nahe.
Zur Zeit des Laibacher Congreſſes hatte ganz Europa bewundernd zu
dem großen öſterreichiſchen Staatsmanne aufgeblickt; jetzt war in Berlin,
Petersburg, Paris, Konſtantinopel, ſelbſt in London nur eine Stimme der
Verachtung über die unbegreiflichen Mißgriffe und die vollendete Verlogen-
heit der Wiener Politik. Kaiſer Franz empfand die Niederlage ſehr leb-
haft, obwohl auch er an König Friedrich Wilhelm ein Glückwunſchſchreiben
ſendete. Gentz wehklagte über den allgemeinen politiſchen Bankrott, der
uns Alle erwarte, nachdem er vor Kurzem noch über die preußiſche Frie-
densvermittlung unverſchämte Witze geriſſen hatte. Metternich aber ge-
ſtand in einer wehmüthigen Denkſchrift dem Kaiſer ein (Oct. 1829): der
Grund des Mißerfolges liege in Oeſterreichs inneren Zuſtänden. Er em-
pfahl auch Reformen in der Verwaltung, im Finanz- und Heerweſen;
da er aber von alledem nichts verſtand, ſo begnügte er ſich mit einigen
allgemeinen Redensarten. Franz malte wie gewöhnlich ſein Placet dar-
unter, und wie gewöhnlich in dieſem glücklichen Staate, blieb Alles beim
Alten. —

Die Augen der Welt wurden aber bald von den orientaliſchen Dingen
abgelenkt, da ſich in Frankreich eine gewaltige Erſchütterung vorbereitete.
Im April 1829 war das Miniſterium Martignac zurückgetreken. Die
gemäßigten Parteien beſaßen nicht den Einmuth und nicht die Selbſt-
beherrſchung, um den letzten ehrlichen Verſuch der Verſöhnung zwiſchen
dem alten und dem neuen Frankreich rückhaltslos zu unterſtützen. Ein
geringfügiger, faſt zufälliger Streit über die Einzelheiten der neuen Ge-
meinde- und Departemental-Ordnung brachte das Cabinet zu Falle; mit
Schadenfreude ſahen die Ultras, wie die Linke, die Doktrinäre, die Or-
leaniſten ihnen in blinder Leidenſchaft folgten. Kaum war der Schlag
gefallen, ſo griffen ſich die beſonnenen Männer erſchrocken an die Stirn:
ſeit der Rückkehr Napoleon’s aus Elba war Frankreichs friedliche Ent-
wicklung nicht mehr ſo furchtbar geſtört worden. Nun kam was kommen
mußte. König Karl bildete ſich eine Regierung nach ſeinem Herzen. Im
Auguſt übernahm Fürſt Polignac die Leitung der Geſchäfte, der Führer
der Ultras, ein fanatiſcher Schwärmer, der in ſeinen Träumen die
Rathſchläge der Mutter Gottes zu hören glaubte. Nur eine Krone, die
über den Parteien ſtand, konnte dieſem zerriſſenen Lande eine friedliche
Zukunft ſichern, und jetzt warf ſich das Königthum ſelber in die Arme
einer raſenden Partei. Nach wenigen Wochen ſchon befürchteten alle Höfe,
daß dieſe thörichte Regierung auf einen Verfaſſungsbruch losſteuere. Metter-
nich hatte die Bildung des neuen Cabinets durch ſeine Bevollmächtigten
Apponyi und Binder unter der Hand begünſtigt; auch Wellington be-

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[747/0763] Drohende Revolution in Frankreich. einem neunjährigen treuloſen Ränkeſpiele mit kurzſichtiger Schlauheit ge- ſäet hatte: die Donaumündung war in Rußlands Händen, in Bukareſt und Jaſſy entſchied der Czar, in Griechenland triumphirte die Revolution und der geliebte türkiſche Freund ſchien ſeinem letzten Stündlein nahe. Zur Zeit des Laibacher Congreſſes hatte ganz Europa bewundernd zu dem großen öſterreichiſchen Staatsmanne aufgeblickt; jetzt war in Berlin, Petersburg, Paris, Konſtantinopel, ſelbſt in London nur eine Stimme der Verachtung über die unbegreiflichen Mißgriffe und die vollendete Verlogen- heit der Wiener Politik. Kaiſer Franz empfand die Niederlage ſehr leb- haft, obwohl auch er an König Friedrich Wilhelm ein Glückwunſchſchreiben ſendete. Gentz wehklagte über den allgemeinen politiſchen Bankrott, der uns Alle erwarte, nachdem er vor Kurzem noch über die preußiſche Frie- densvermittlung unverſchämte Witze geriſſen hatte. Metternich aber ge- ſtand in einer wehmüthigen Denkſchrift dem Kaiſer ein (Oct. 1829): der Grund des Mißerfolges liege in Oeſterreichs inneren Zuſtänden. Er em- pfahl auch Reformen in der Verwaltung, im Finanz- und Heerweſen; da er aber von alledem nichts verſtand, ſo begnügte er ſich mit einigen allgemeinen Redensarten. Franz malte wie gewöhnlich ſein Placet dar- unter, und wie gewöhnlich in dieſem glücklichen Staate, blieb Alles beim Alten. — Die Augen der Welt wurden aber bald von den orientaliſchen Dingen abgelenkt, da ſich in Frankreich eine gewaltige Erſchütterung vorbereitete. Im April 1829 war das Miniſterium Martignac zurückgetreken. Die gemäßigten Parteien beſaßen nicht den Einmuth und nicht die Selbſt- beherrſchung, um den letzten ehrlichen Verſuch der Verſöhnung zwiſchen dem alten und dem neuen Frankreich rückhaltslos zu unterſtützen. Ein geringfügiger, faſt zufälliger Streit über die Einzelheiten der neuen Ge- meinde- und Departemental-Ordnung brachte das Cabinet zu Falle; mit Schadenfreude ſahen die Ultras, wie die Linke, die Doktrinäre, die Or- leaniſten ihnen in blinder Leidenſchaft folgten. Kaum war der Schlag gefallen, ſo griffen ſich die beſonnenen Männer erſchrocken an die Stirn: ſeit der Rückkehr Napoleon’s aus Elba war Frankreichs friedliche Ent- wicklung nicht mehr ſo furchtbar geſtört worden. Nun kam was kommen mußte. König Karl bildete ſich eine Regierung nach ſeinem Herzen. Im Auguſt übernahm Fürſt Polignac die Leitung der Geſchäfte, der Führer der Ultras, ein fanatiſcher Schwärmer, der in ſeinen Träumen die Rathſchläge der Mutter Gottes zu hören glaubte. Nur eine Krone, die über den Parteien ſtand, konnte dieſem zerriſſenen Lande eine friedliche Zukunft ſichern, und jetzt warf ſich das Königthum ſelber in die Arme einer raſenden Partei. Nach wenigen Wochen ſchon befürchteten alle Höfe, daß dieſe thörichte Regierung auf einen Verfaſſungsbruch losſteuere. Metter- nich hatte die Bildung des neuen Cabinets durch ſeine Bevollmächtigten Apponyi und Binder unter der Hand begünſtigt; auch Wellington be-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 747. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/763>, abgerufen am 29.04.2024.