anfragte. Hier zuerst in Deutschland tauchte das Schreckwort "Camarilla" auf, das nachher in den Zeiten der Revolution eine so große Rolle spielen sollte. Die Schwarzwälder Bauern dachten sich darunter irgend ein bös- artiges Frauenzimmer. Was diese verrufene Camarilla eigentlich trieb, das ließ sich aus der Masse der umlaufenden Klatschereien allerdings nicht erkennen; gewiß war nur, daß die Großherzogin Sophie und der com- mandirende General Markgraf Wilhelm einander bekämpften, desgleichen daß auch ultramontane Ränke sich zuweilen an diesen protestantischen Hof heranwagten. Mehrere der hohen Hofbeamten waren alte Emigranten. Als die beiden ältesten, noch sehr jugendlichen Söhne des Großherzogs 1843 den Wiener Hof besuchten, da sollte Jarcke als politischer Lehrer für sie angeworben werden; so hatte Blittersdorff gerathen. Ihr Begleiter, Oberst Roggenbach aber erkundigte sich zunächst bei dem preußischen Gesandten Canitz; der Preuße schenkte ihm reinen Wein ein und erklärte es für durch- aus unziemlich, die Erziehung protestantischer Prinzen diesem fanatischen Convertiten anzuvertrauen, der schon den jungen Herzog von Nassau ganz in österreichisch-clericalem Geiste unterrichtet hatte. So unterblieb der Versuch.*)
Die Kammern zeigten, nachdem sie über Blittersdorff triumphirt, ein unermeßliches Selbstgefühl, sie glaubten an der Spitze der deutschen Nation zu stehen und nährten die Ueberhebung im Volke dermaßen, daß bald nachher die badischen Demagogen alles Ernstes hoffen konnten, die deutsche Republik von dieser Ecke des Vaterlandes her dem übrigen Volke auf- zuerlegen. Radowitz meinte: "Baden wird von der gesammten subversiven Partei Deutschlands als das Terrain betrachtet, auf welchem die Haupt- schläge geschehen."**) In diesen Tagen wurde das geheime Schlußpro- tokoll der Wiener Conferenzen von 1834 zuerst in einer deutsch-ameri- kanischen Zeitung veröffentlicht und, obgleich jene Beschlüsse fast ganz wirkungslos geblieben waren, doch von der gesammten liberalen Welt mit Abscheu begrüßt. Welcker druckte sodann das unheimliche Aktenstück noch- mals ab und dazu die vollständigen Protokolle der Karlsbader Conferenzen, die er aus Klüber's Nachlaß erhalten hatte. Diese "Wichtigen Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation" (1844) blieben jahrelang die große Fundgrube für die liberale Zeitungspolemik und halfen vollends zerstören was von dem Ansehen des Bundestags noch übrig war. In einer donnernden Kammerrede übergab Welcker die Wiener Conferenz- beschlüsse feierlich "dem Gottesgerichte der öffentlichen Meinung". Auch über die Mißhandlung Weidig's und Jordan's, über die Censur, über die geheimen Bundesprotokolle, über Alles was sonst noch faul war im Deutschen Bunde erging er sich strafend in Schrift und Rede; es schien zuweilen,
*) Canitz's Bericht, 15. Jan. 1843.
**) Radowitz's Bericht, 19. April 1844.
V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
anfragte. Hier zuerſt in Deutſchland tauchte das Schreckwort „Camarilla“ auf, das nachher in den Zeiten der Revolution eine ſo große Rolle ſpielen ſollte. Die Schwarzwälder Bauern dachten ſich darunter irgend ein bös- artiges Frauenzimmer. Was dieſe verrufene Camarilla eigentlich trieb, das ließ ſich aus der Maſſe der umlaufenden Klatſchereien allerdings nicht erkennen; gewiß war nur, daß die Großherzogin Sophie und der com- mandirende General Markgraf Wilhelm einander bekämpften, desgleichen daß auch ultramontane Ränke ſich zuweilen an dieſen proteſtantiſchen Hof heranwagten. Mehrere der hohen Hofbeamten waren alte Emigranten. Als die beiden älteſten, noch ſehr jugendlichen Söhne des Großherzogs 1843 den Wiener Hof beſuchten, da ſollte Jarcke als politiſcher Lehrer für ſie angeworben werden; ſo hatte Blittersdorff gerathen. Ihr Begleiter, Oberſt Roggenbach aber erkundigte ſich zunächſt bei dem preußiſchen Geſandten Canitz; der Preuße ſchenkte ihm reinen Wein ein und erklärte es für durch- aus unziemlich, die Erziehung proteſtantiſcher Prinzen dieſem fanatiſchen Convertiten anzuvertrauen, der ſchon den jungen Herzog von Naſſau ganz in öſterreichiſch-clericalem Geiſte unterrichtet hatte. So unterblieb der Verſuch.*)
Die Kammern zeigten, nachdem ſie über Blittersdorff triumphirt, ein unermeßliches Selbſtgefühl, ſie glaubten an der Spitze der deutſchen Nation zu ſtehen und nährten die Ueberhebung im Volke dermaßen, daß bald nachher die badiſchen Demagogen alles Ernſtes hoffen konnten, die deutſche Republik von dieſer Ecke des Vaterlandes her dem übrigen Volke auf- zuerlegen. Radowitz meinte: „Baden wird von der geſammten ſubverſiven Partei Deutſchlands als das Terrain betrachtet, auf welchem die Haupt- ſchläge geſchehen.“**) In dieſen Tagen wurde das geheime Schlußpro- tokoll der Wiener Conferenzen von 1834 zuerſt in einer deutſch-ameri- kaniſchen Zeitung veröffentlicht und, obgleich jene Beſchlüſſe faſt ganz wirkungslos geblieben waren, doch von der geſammten liberalen Welt mit Abſcheu begrüßt. Welcker druckte ſodann das unheimliche Aktenſtück noch- mals ab und dazu die vollſtändigen Protokolle der Karlsbader Conferenzen, die er aus Klüber’s Nachlaß erhalten hatte. Dieſe „Wichtigen Urkunden für den Rechtszuſtand der deutſchen Nation“ (1844) blieben jahrelang die große Fundgrube für die liberale Zeitungspolemik und halfen vollends zerſtören was von dem Anſehen des Bundestags noch übrig war. In einer donnernden Kammerrede übergab Welcker die Wiener Conferenz- beſchlüſſe feierlich „dem Gottesgerichte der öffentlichen Meinung“. Auch über die Mißhandlung Weidig’s und Jordan’s, über die Cenſur, über die geheimen Bundesprotokolle, über Alles was ſonſt noch faul war im Deutſchen Bunde erging er ſich ſtrafend in Schrift und Rede; es ſchien zuweilen,
*) Canitz’s Bericht, 15. Jan. 1843.
**) Radowitz’s Bericht, 19. April 1844.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0690"n="676"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.</fw><lb/>
anfragte. Hier zuerſt in Deutſchland tauchte das Schreckwort „Camarilla“<lb/>
auf, das nachher in den Zeiten der Revolution eine ſo große Rolle ſpielen<lb/>ſollte. Die Schwarzwälder Bauern dachten ſich darunter irgend ein bös-<lb/>
artiges Frauenzimmer. Was dieſe verrufene Camarilla eigentlich trieb,<lb/>
das ließ ſich aus der Maſſe der umlaufenden Klatſchereien allerdings nicht<lb/>
erkennen; gewiß war nur, daß die Großherzogin Sophie und der com-<lb/>
mandirende General Markgraf Wilhelm einander bekämpften, desgleichen<lb/>
daß auch ultramontane Ränke ſich zuweilen an dieſen proteſtantiſchen Hof<lb/>
heranwagten. Mehrere der hohen Hofbeamten waren alte Emigranten.<lb/>
Als die beiden älteſten, noch ſehr jugendlichen Söhne des Großherzogs 1843<lb/>
den Wiener Hof beſuchten, da ſollte Jarcke als politiſcher Lehrer für ſie<lb/>
angeworben werden; ſo hatte Blittersdorff gerathen. Ihr Begleiter, Oberſt<lb/>
Roggenbach aber erkundigte ſich zunächſt bei dem preußiſchen Geſandten<lb/>
Canitz; der Preuße ſchenkte ihm reinen Wein ein und erklärte es für durch-<lb/>
aus unziemlich, die Erziehung proteſtantiſcher Prinzen dieſem fanatiſchen<lb/>
Convertiten anzuvertrauen, der ſchon den jungen Herzog von Naſſau ganz<lb/>
in öſterreichiſch-clericalem Geiſte unterrichtet hatte. So unterblieb der<lb/>
Verſuch.<noteplace="foot"n="*)">Canitz’s Bericht, 15. Jan. 1843.</note></p><lb/><p>Die Kammern zeigten, nachdem ſie über Blittersdorff triumphirt, ein<lb/>
unermeßliches Selbſtgefühl, ſie glaubten an der Spitze der deutſchen Nation<lb/>
zu ſtehen und nährten die Ueberhebung im Volke dermaßen, daß bald<lb/>
nachher die badiſchen Demagogen alles Ernſtes hoffen konnten, die deutſche<lb/>
Republik von dieſer Ecke des Vaterlandes her dem übrigen Volke auf-<lb/>
zuerlegen. Radowitz meinte: „Baden wird von der geſammten ſubverſiven<lb/>
Partei Deutſchlands als das Terrain betrachtet, auf welchem die Haupt-<lb/>ſchläge geſchehen.“<noteplace="foot"n="**)">Radowitz’s Bericht, 19. April 1844.</note> In dieſen Tagen wurde das geheime Schlußpro-<lb/>
tokoll der Wiener Conferenzen von 1834 zuerſt in einer deutſch-ameri-<lb/>
kaniſchen Zeitung veröffentlicht und, obgleich jene Beſchlüſſe faſt ganz<lb/>
wirkungslos geblieben waren, doch von der geſammten liberalen Welt mit<lb/>
Abſcheu begrüßt. Welcker druckte ſodann das unheimliche Aktenſtück noch-<lb/>
mals ab und dazu die vollſtändigen Protokolle der Karlsbader Conferenzen,<lb/>
die er aus Klüber’s Nachlaß erhalten hatte. Dieſe „Wichtigen Urkunden<lb/>
für den Rechtszuſtand der deutſchen Nation“ (1844) blieben jahrelang<lb/>
die große Fundgrube für die liberale Zeitungspolemik und halfen vollends<lb/>
zerſtören was von dem Anſehen des Bundestags noch übrig war. In<lb/>
einer donnernden Kammerrede übergab Welcker die Wiener Conferenz-<lb/>
beſchlüſſe feierlich „dem Gottesgerichte der öffentlichen Meinung“. Auch<lb/>
über die Mißhandlung Weidig’s und Jordan’s, über die Cenſur, über die<lb/>
geheimen Bundesprotokolle, über Alles was ſonſt noch faul war im Deutſchen<lb/>
Bunde erging er ſich ſtrafend in Schrift und Rede; es ſchien zuweilen,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[676/0690]
V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
anfragte. Hier zuerſt in Deutſchland tauchte das Schreckwort „Camarilla“
auf, das nachher in den Zeiten der Revolution eine ſo große Rolle ſpielen
ſollte. Die Schwarzwälder Bauern dachten ſich darunter irgend ein bös-
artiges Frauenzimmer. Was dieſe verrufene Camarilla eigentlich trieb,
das ließ ſich aus der Maſſe der umlaufenden Klatſchereien allerdings nicht
erkennen; gewiß war nur, daß die Großherzogin Sophie und der com-
mandirende General Markgraf Wilhelm einander bekämpften, desgleichen
daß auch ultramontane Ränke ſich zuweilen an dieſen proteſtantiſchen Hof
heranwagten. Mehrere der hohen Hofbeamten waren alte Emigranten.
Als die beiden älteſten, noch ſehr jugendlichen Söhne des Großherzogs 1843
den Wiener Hof beſuchten, da ſollte Jarcke als politiſcher Lehrer für ſie
angeworben werden; ſo hatte Blittersdorff gerathen. Ihr Begleiter, Oberſt
Roggenbach aber erkundigte ſich zunächſt bei dem preußiſchen Geſandten
Canitz; der Preuße ſchenkte ihm reinen Wein ein und erklärte es für durch-
aus unziemlich, die Erziehung proteſtantiſcher Prinzen dieſem fanatiſchen
Convertiten anzuvertrauen, der ſchon den jungen Herzog von Naſſau ganz
in öſterreichiſch-clericalem Geiſte unterrichtet hatte. So unterblieb der
Verſuch. *)
Die Kammern zeigten, nachdem ſie über Blittersdorff triumphirt, ein
unermeßliches Selbſtgefühl, ſie glaubten an der Spitze der deutſchen Nation
zu ſtehen und nährten die Ueberhebung im Volke dermaßen, daß bald
nachher die badiſchen Demagogen alles Ernſtes hoffen konnten, die deutſche
Republik von dieſer Ecke des Vaterlandes her dem übrigen Volke auf-
zuerlegen. Radowitz meinte: „Baden wird von der geſammten ſubverſiven
Partei Deutſchlands als das Terrain betrachtet, auf welchem die Haupt-
ſchläge geſchehen.“ **) In dieſen Tagen wurde das geheime Schlußpro-
tokoll der Wiener Conferenzen von 1834 zuerſt in einer deutſch-ameri-
kaniſchen Zeitung veröffentlicht und, obgleich jene Beſchlüſſe faſt ganz
wirkungslos geblieben waren, doch von der geſammten liberalen Welt mit
Abſcheu begrüßt. Welcker druckte ſodann das unheimliche Aktenſtück noch-
mals ab und dazu die vollſtändigen Protokolle der Karlsbader Conferenzen,
die er aus Klüber’s Nachlaß erhalten hatte. Dieſe „Wichtigen Urkunden
für den Rechtszuſtand der deutſchen Nation“ (1844) blieben jahrelang
die große Fundgrube für die liberale Zeitungspolemik und halfen vollends
zerſtören was von dem Anſehen des Bundestags noch übrig war. In
einer donnernden Kammerrede übergab Welcker die Wiener Conferenz-
beſchlüſſe feierlich „dem Gottesgerichte der öffentlichen Meinung“. Auch
über die Mißhandlung Weidig’s und Jordan’s, über die Cenſur, über die
geheimen Bundesprotokolle, über Alles was ſonſt noch faul war im Deutſchen
Bunde erging er ſich ſtrafend in Schrift und Rede; es ſchien zuweilen,
*) Canitz’s Bericht, 15. Jan. 1843.
**) Radowitz’s Bericht, 19. April 1844.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/690>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.