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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Der junge Mann wollte den ihm zugewiesenen Platz nicht einnehmen. Sie sind krank, theure Freundin, sagte er in einer Sprache, die der Reiter nicht verstand, Ihre Kräfte verlassen Sie; ich muß das Schlimmste fürchten, wenn Sie so nah dem Ziele nicht die Hülfe annehmen, die uns der Himmel sendet. Besteigen Sie das Pferd; ich beschwöre Sie, ich bitte auf meinen Knieen darum.

Halten Sie ein, Emil, sagte die Dame mit wankender Stimme. Sie wissen, daß das Gelübde mich bindet, daß ich einen Eid geschworen, zu Fuß, als Büßende, den Weg in meine Heimat zurückzulegen. Soll ich jetzt, so nahe dem Hafen, treubrüchig werden?

Wohlan; ich weiche nicht von Ihnen! rief der junge Mann. Er gab dem Reiter einen Wink, der diesem anzeigte, daß er sich entfernen könne und daß man sein Anerbieten nicht annehme. Der Kosak -- denn der Leser wird schon erkannt haben, wer dieser einsame Reiter war -- hatte sich bei den Worten der Dame im Sattel aufgerichtet, wie aufmerksam lauschend; jetzt schüttelte die alte Nonne den Kopf, sprang vom Pferde ab und lief auf die Reisende zu. Sie ergriff, ohne sich Erlaubniß zu erbitten, die Hand, brachte sie dicht ans Auge und suchte ein Muttermaal; als sie es fand, schrie sie, wie in Wahnsinn ausbrechend und hohe Sprünge machend: Sie ist's! -- Beim heiligen Alexander Newsky! Es ist Schwester Scholastika. Keine Andere, als sie, kann es sein! Ach, mein goldnes Kätzchen, kommst du endlich nach Hause!

Der junge Mann wollte den ihm zugewiesenen Platz nicht einnehmen. Sie sind krank, theure Freundin, sagte er in einer Sprache, die der Reiter nicht verstand, Ihre Kräfte verlassen Sie; ich muß das Schlimmste fürchten, wenn Sie so nah dem Ziele nicht die Hülfe annehmen, die uns der Himmel sendet. Besteigen Sie das Pferd; ich beschwöre Sie, ich bitte auf meinen Knieen darum.

Halten Sie ein, Emil, sagte die Dame mit wankender Stimme. Sie wissen, daß das Gelübde mich bindet, daß ich einen Eid geschworen, zu Fuß, als Büßende, den Weg in meine Heimat zurückzulegen. Soll ich jetzt, so nahe dem Hafen, treubrüchig werden?

Wohlan; ich weiche nicht von Ihnen! rief der junge Mann. Er gab dem Reiter einen Wink, der diesem anzeigte, daß er sich entfernen könne und daß man sein Anerbieten nicht annehme. Der Kosak — denn der Leser wird schon erkannt haben, wer dieser einsame Reiter war — hatte sich bei den Worten der Dame im Sattel aufgerichtet, wie aufmerksam lauschend; jetzt schüttelte die alte Nonne den Kopf, sprang vom Pferde ab und lief auf die Reisende zu. Sie ergriff, ohne sich Erlaubniß zu erbitten, die Hand, brachte sie dicht ans Auge und suchte ein Muttermaal; als sie es fand, schrie sie, wie in Wahnsinn ausbrechend und hohe Sprünge machend: Sie ist's! — Beim heiligen Alexander Newsky! Es ist Schwester Scholastika. Keine Andere, als sie, kann es sein! Ach, mein goldnes Kätzchen, kommst du endlich nach Hause!

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[0101] Der junge Mann wollte den ihm zugewiesenen Platz nicht einnehmen. Sie sind krank, theure Freundin, sagte er in einer Sprache, die der Reiter nicht verstand, Ihre Kräfte verlassen Sie; ich muß das Schlimmste fürchten, wenn Sie so nah dem Ziele nicht die Hülfe annehmen, die uns der Himmel sendet. Besteigen Sie das Pferd; ich beschwöre Sie, ich bitte auf meinen Knieen darum. Halten Sie ein, Emil, sagte die Dame mit wankender Stimme. Sie wissen, daß das Gelübde mich bindet, daß ich einen Eid geschworen, zu Fuß, als Büßende, den Weg in meine Heimat zurückzulegen. Soll ich jetzt, so nahe dem Hafen, treubrüchig werden? Wohlan; ich weiche nicht von Ihnen! rief der junge Mann. Er gab dem Reiter einen Wink, der diesem anzeigte, daß er sich entfernen könne und daß man sein Anerbieten nicht annehme. Der Kosak — denn der Leser wird schon erkannt haben, wer dieser einsame Reiter war — hatte sich bei den Worten der Dame im Sattel aufgerichtet, wie aufmerksam lauschend; jetzt schüttelte die alte Nonne den Kopf, sprang vom Pferde ab und lief auf die Reisende zu. Sie ergriff, ohne sich Erlaubniß zu erbitten, die Hand, brachte sie dicht ans Auge und suchte ein Muttermaal; als sie es fand, schrie sie, wie in Wahnsinn ausbrechend und hohe Sprünge machend: Sie ist's! — Beim heiligen Alexander Newsky! Es ist Schwester Scholastika. Keine Andere, als sie, kann es sein! Ach, mein goldnes Kätzchen, kommst du endlich nach Hause!

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/101>, abgerufen am 12.05.2024.