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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Kommst du, weil die alte Annuschka die Heiligen bat, daß sie dich zurückführen möchten, oder kommst du, weil du eben weiter keine Lust hast, in der Welt umherzuschwärmen? Gleichviel; tritt ein in deine Kammer; du findest sie noch, wie du sie verlassen, und ich bringe dir grade das schönste Blau, das du nur wünschen kannst, in meinem Sacke mit. Gleich setze dich hin und male, wie du früher maltest. Feodora und Marfa, die beide unterdessen etwas älter und klüger geworden sind, werden sich nicht genug freuen können, dich wiederzusehen. Wir haben auch sechs neue Nonnen bekommen, die eine ist sogar mit mir verwandt, aber ich habe ihr die Geschichte mit Jermack nicht erzählt. Der arme Jermack, er hat sich zu Tode getrunken. Noch bis auf die letzte Stunde hat er behauptet, daß ich seine Braut sei; er ist auch mit diesem Glauben aus der Welt gegangen. Aber du siehst blaß und abgefallen aus, Schwesterchen. Du schließest die Augen. Willst du einen Schluck aus meiner Flasche thun? Bei meiner Seele, das arme Ding sieht zum Erbarmen aus.

Der Kosak schwatzte und lärmte noch, als Emil in der lebhaftesten Sorge um die schwer Erkrankte sich anschickte, das Pferd zu besteigen und seine Gefährtin, wenn nicht anders, so mit Gewalt auf den Sattel zu heben. Aber die arme Unglückliche widersetzte sich diesem Ansinnen mit dem Rest ihrer Kräfte; es blieb demnach nichts anders übrig, als daß sich die Drei zu Fuß auf den Weg machten, Annuschka und Emil die Kranke

Kommst du, weil die alte Annuschka die Heiligen bat, daß sie dich zurückführen möchten, oder kommst du, weil du eben weiter keine Lust hast, in der Welt umherzuschwärmen? Gleichviel; tritt ein in deine Kammer; du findest sie noch, wie du sie verlassen, und ich bringe dir grade das schönste Blau, das du nur wünschen kannst, in meinem Sacke mit. Gleich setze dich hin und male, wie du früher maltest. Feodora und Marfa, die beide unterdessen etwas älter und klüger geworden sind, werden sich nicht genug freuen können, dich wiederzusehen. Wir haben auch sechs neue Nonnen bekommen, die eine ist sogar mit mir verwandt, aber ich habe ihr die Geschichte mit Jermack nicht erzählt. Der arme Jermack, er hat sich zu Tode getrunken. Noch bis auf die letzte Stunde hat er behauptet, daß ich seine Braut sei; er ist auch mit diesem Glauben aus der Welt gegangen. Aber du siehst blaß und abgefallen aus, Schwesterchen. Du schließest die Augen. Willst du einen Schluck aus meiner Flasche thun? Bei meiner Seele, das arme Ding sieht zum Erbarmen aus.

Der Kosak schwatzte und lärmte noch, als Emil in der lebhaftesten Sorge um die schwer Erkrankte sich anschickte, das Pferd zu besteigen und seine Gefährtin, wenn nicht anders, so mit Gewalt auf den Sattel zu heben. Aber die arme Unglückliche widersetzte sich diesem Ansinnen mit dem Rest ihrer Kräfte; es blieb demnach nichts anders übrig, als daß sich die Drei zu Fuß auf den Weg machten, Annuschka und Emil die Kranke

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[0102] Kommst du, weil die alte Annuschka die Heiligen bat, daß sie dich zurückführen möchten, oder kommst du, weil du eben weiter keine Lust hast, in der Welt umherzuschwärmen? Gleichviel; tritt ein in deine Kammer; du findest sie noch, wie du sie verlassen, und ich bringe dir grade das schönste Blau, das du nur wünschen kannst, in meinem Sacke mit. Gleich setze dich hin und male, wie du früher maltest. Feodora und Marfa, die beide unterdessen etwas älter und klüger geworden sind, werden sich nicht genug freuen können, dich wiederzusehen. Wir haben auch sechs neue Nonnen bekommen, die eine ist sogar mit mir verwandt, aber ich habe ihr die Geschichte mit Jermack nicht erzählt. Der arme Jermack, er hat sich zu Tode getrunken. Noch bis auf die letzte Stunde hat er behauptet, daß ich seine Braut sei; er ist auch mit diesem Glauben aus der Welt gegangen. Aber du siehst blaß und abgefallen aus, Schwesterchen. Du schließest die Augen. Willst du einen Schluck aus meiner Flasche thun? Bei meiner Seele, das arme Ding sieht zum Erbarmen aus. Der Kosak schwatzte und lärmte noch, als Emil in der lebhaftesten Sorge um die schwer Erkrankte sich anschickte, das Pferd zu besteigen und seine Gefährtin, wenn nicht anders, so mit Gewalt auf den Sattel zu heben. Aber die arme Unglückliche widersetzte sich diesem Ansinnen mit dem Rest ihrer Kräfte; es blieb demnach nichts anders übrig, als daß sich die Drei zu Fuß auf den Weg machten, Annuschka und Emil die Kranke

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/102>, abgerufen am 12.05.2024.