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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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führend und die Erstere zugleich ihr Pferd hintennach ziehend. So kämpften sie gegen die Gewalt des Schneesturmes, der von Minute zu Minute stärker und tobender wurde. Erde und Himmel waren in eine einzige Wolke Schnees gehüllt, der Weg völlig unsichtbar, und immer von Neuem bildeten sich Hügel und Abgründe zu den Füßen der langsam Vordringenden. Wäre Annuschka nicht gewesen, das Unternehmen hätte durchaus mißglücken müssen; durch ihren Rath und ihre Ortskenntniß geleitet, erreichte jedoch die mühselige Karavane endlich nach stundenlangem Umherirren das Ziel. Schon hallte die Klosterglocke über die Fläche herüber, schon bemerkte der alten Nonne scharfes Auge Licht in der untern Halle, da -- verließen die arme Wallerin Besinnung und Kraft. Sie sank zwischen ihren zwei Führern zusammen, und Todesnacht lagerte sich auf ihre Augen. Sobald diese bedrohlichen Zeichen sich kundgaben, machte Annuschka sich sofort von der Gruppe frei und stürzte, eilig sich auf ihr Pferd schwingend, ins nahe Kloster, um Hülfe herbeizurufen. Während sie fort war, kam die Sterbende von neuem zum Bewußtsein. Sie sah das in Kummer und Verzweiflung über sie gebeugte Antlitz ihres jungen Gefährten, sie fühlte dessen heiße Thränen auf ihren erstorbenen Wangen. Dank, Dank für so viel Liebe und Treue! flüsterte sie. Kehre heim, mein edler Freund! Ich habe, was ich wollte, ein Grab bei den Meinen, in der Heimat! Der Himmel sei gelobt! -- Sie hatte diese Worte noch nicht geendet, als man Lichter vom

führend und die Erstere zugleich ihr Pferd hintennach ziehend. So kämpften sie gegen die Gewalt des Schneesturmes, der von Minute zu Minute stärker und tobender wurde. Erde und Himmel waren in eine einzige Wolke Schnees gehüllt, der Weg völlig unsichtbar, und immer von Neuem bildeten sich Hügel und Abgründe zu den Füßen der langsam Vordringenden. Wäre Annuschka nicht gewesen, das Unternehmen hätte durchaus mißglücken müssen; durch ihren Rath und ihre Ortskenntniß geleitet, erreichte jedoch die mühselige Karavane endlich nach stundenlangem Umherirren das Ziel. Schon hallte die Klosterglocke über die Fläche herüber, schon bemerkte der alten Nonne scharfes Auge Licht in der untern Halle, da — verließen die arme Wallerin Besinnung und Kraft. Sie sank zwischen ihren zwei Führern zusammen, und Todesnacht lagerte sich auf ihre Augen. Sobald diese bedrohlichen Zeichen sich kundgaben, machte Annuschka sich sofort von der Gruppe frei und stürzte, eilig sich auf ihr Pferd schwingend, ins nahe Kloster, um Hülfe herbeizurufen. Während sie fort war, kam die Sterbende von neuem zum Bewußtsein. Sie sah das in Kummer und Verzweiflung über sie gebeugte Antlitz ihres jungen Gefährten, sie fühlte dessen heiße Thränen auf ihren erstorbenen Wangen. Dank, Dank für so viel Liebe und Treue! flüsterte sie. Kehre heim, mein edler Freund! Ich habe, was ich wollte, ein Grab bei den Meinen, in der Heimat! Der Himmel sei gelobt! — Sie hatte diese Worte noch nicht geendet, als man Lichter vom

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/103>, abgerufen am 13.05.2024.