Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

Körpers glauben. Jch will hiervon meine
Meinung gantz offenhertzig sagen. Diese Leh-
re hat der grosse und berühmte Herr Hofrath
Stahl
zuerst behauptet, und seine Nachfolger
haben dieselbe folgends erst recht ausgearbeitet,
und so zu sagen, ins reine gebracht. Jch kan
wol sagen, daß ich in der erst selber zweifelhaft
gewesen bin, ob diese Lehre auch überall die
Probe halte. Hierzu kamen noch die Schmä-
hungen, welche man dawieder ausstieß, und
welche verursachten, daß ich mich in Wahrheit
recht fürchtete, ein Jnfluxionist; ich geschweige
gar ein Stahlianer zu werden. Jch erinnre
mich hiervon einmal gelesen zu haben, die Sele
eines solchen Menschen sey nichts anders als
ein leres Behältniß oder eine wächserne Tafel.
Der Körper sey ein Gehäuse der Sele, welches
sie überall mit sich herum trüge. Die Sele
stelle einen Schmied vor und der Körper den
Hammer desselbigen. Wahrhaftig! eine aller-
liebste Sele! und ein Gleichniß, welches eben
so genau paßt, als ein Schmiedehammer in die
Psychologie! Man ging in diesen Vergleichun-
gen noch weiter. Der Körper war ein Schne-
ckenhaus, vermuthlich also die Sele selbst die
Schnecke. Er war ein gedrechselt Kinderspiel,
damit die Sele tändelte, ein Gewebe von Stri-
cken, daran die Sele zöge. Endlich ward die
Sele gar ein Reuter und der Körper ein Pferd.
Alle diese Jrrthümer rühreten ohnfehlbar von
demienigen Mißverständniß her, davon ich

oben

Koͤrpers glauben. Jch will hiervon meine
Meinung gantz offenhertzig ſagen. Dieſe Leh-
re hat der groſſe und beruͤhmte Herr Hofrath
Stahl
zuerſt behauptet, und ſeine Nachfolger
haben dieſelbe folgends erſt recht ausgearbeitet,
und ſo zu ſagen, ins reine gebracht. Jch kan
wol ſagen, daß ich in der erſt ſelber zweifelhaft
geweſen bin, ob dieſe Lehre auch uͤberall die
Probe halte. Hierzu kamen noch die Schmaͤ-
hungen, welche man dawieder ausſtieß, und
welche verurſachten, daß ich mich in Wahrheit
recht fuͤrchtete, ein Jnfluxioniſt; ich geſchweige
gar ein Stahlianer zu werden. Jch erinnre
mich hiervon einmal geleſen zu haben, die Sele
eines ſolchen Menſchen ſey nichts anders als
ein leres Behaͤltniß oder eine waͤchſerne Tafel.
Der Koͤrper ſey ein Gehaͤuſe der Sele, welches
ſie uͤberall mit ſich herum truͤge. Die Sele
ſtelle einen Schmied vor und der Koͤrper den
Hammer deſſelbigen. Wahrhaftig! eine aller-
liebſte Sele! und ein Gleichniß, welches eben
ſo genau paßt, als ein Schmiedehammer in die
Pſychologie! Man ging in dieſen Vergleichun-
gen noch weiter. Der Koͤrper war ein Schne-
ckenhaus, vermuthlich alſo die Sele ſelbſt die
Schnecke. Er war ein gedrechſelt Kinderſpiel,
damit die Sele taͤndelte, ein Gewebe von Stri-
cken, daran die Sele zoͤge. Endlich ward die
Sele gar ein Reuter und der Koͤrper ein Pferd.
Alle dieſe Jrrthuͤmer ruͤhreten ohnfehlbar von
demienigen Mißverſtaͤndniß her, davon ich

oben
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0154" n="124"/>
Ko&#x0364;rpers glauben. Jch will hiervon meine<lb/>
Meinung gantz offenhertzig &#x017F;agen. Die&#x017F;e Leh-<lb/>
re hat der gro&#x017F;&#x017F;e und beru&#x0364;hmte <hi rendition="#fr">Herr Hofrath<lb/>
Stahl</hi> zuer&#x017F;t behauptet, und &#x017F;eine Nachfolger<lb/>
haben die&#x017F;elbe folgends er&#x017F;t recht ausgearbeitet,<lb/>
und &#x017F;o zu &#x017F;agen, ins reine gebracht. Jch kan<lb/>
wol &#x017F;agen, daß ich in der er&#x017F;t &#x017F;elber zweifelhaft<lb/>
gewe&#x017F;en bin, ob die&#x017F;e Lehre auch u&#x0364;berall die<lb/>
Probe halte. Hierzu kamen noch die Schma&#x0364;-<lb/>
hungen, welche man dawieder aus&#x017F;tieß, und<lb/>
welche verur&#x017F;achten, daß ich mich in Wahrheit<lb/>
recht fu&#x0364;rchtete, ein Jnfluxioni&#x017F;t; ich ge&#x017F;chweige<lb/>
gar ein Stahlianer zu werden. Jch erinnre<lb/>
mich hiervon einmal gele&#x017F;en zu haben, die Sele<lb/>
eines &#x017F;olchen Men&#x017F;chen &#x017F;ey nichts anders als<lb/>
ein leres Beha&#x0364;ltniß oder eine wa&#x0364;ch&#x017F;erne Tafel.<lb/>
Der Ko&#x0364;rper &#x017F;ey ein Geha&#x0364;u&#x017F;e der Sele, welches<lb/>
&#x017F;ie u&#x0364;berall mit &#x017F;ich herum tru&#x0364;ge. Die Sele<lb/>
&#x017F;telle einen Schmied vor und der Ko&#x0364;rper den<lb/>
Hammer de&#x017F;&#x017F;elbigen. Wahrhaftig! eine aller-<lb/>
lieb&#x017F;te Sele! und ein Gleichniß, welches eben<lb/>
&#x017F;o genau paßt, als ein Schmiedehammer in die<lb/>
P&#x017F;ychologie! Man ging in die&#x017F;en Vergleichun-<lb/>
gen noch weiter. Der Ko&#x0364;rper war ein Schne-<lb/>
ckenhaus, vermuthlich al&#x017F;o die Sele &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Schnecke. Er war ein gedrech&#x017F;elt Kinder&#x017F;piel,<lb/>
damit die Sele ta&#x0364;ndelte, ein Gewebe von Stri-<lb/>
cken, daran die Sele zo&#x0364;ge. Endlich ward die<lb/>
Sele gar ein Reuter und der Ko&#x0364;rper ein Pferd.<lb/>
Alle die&#x017F;e Jrrthu&#x0364;mer ru&#x0364;hreten ohnfehlbar von<lb/>
demienigen Mißver&#x017F;ta&#x0364;ndniß her, davon ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">oben</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0154] Koͤrpers glauben. Jch will hiervon meine Meinung gantz offenhertzig ſagen. Dieſe Leh- re hat der groſſe und beruͤhmte Herr Hofrath Stahl zuerſt behauptet, und ſeine Nachfolger haben dieſelbe folgends erſt recht ausgearbeitet, und ſo zu ſagen, ins reine gebracht. Jch kan wol ſagen, daß ich in der erſt ſelber zweifelhaft geweſen bin, ob dieſe Lehre auch uͤberall die Probe halte. Hierzu kamen noch die Schmaͤ- hungen, welche man dawieder ausſtieß, und welche verurſachten, daß ich mich in Wahrheit recht fuͤrchtete, ein Jnfluxioniſt; ich geſchweige gar ein Stahlianer zu werden. Jch erinnre mich hiervon einmal geleſen zu haben, die Sele eines ſolchen Menſchen ſey nichts anders als ein leres Behaͤltniß oder eine waͤchſerne Tafel. Der Koͤrper ſey ein Gehaͤuſe der Sele, welches ſie uͤberall mit ſich herum truͤge. Die Sele ſtelle einen Schmied vor und der Koͤrper den Hammer deſſelbigen. Wahrhaftig! eine aller- liebſte Sele! und ein Gleichniß, welches eben ſo genau paßt, als ein Schmiedehammer in die Pſychologie! Man ging in dieſen Vergleichun- gen noch weiter. Der Koͤrper war ein Schne- ckenhaus, vermuthlich alſo die Sele ſelbſt die Schnecke. Er war ein gedrechſelt Kinderſpiel, damit die Sele taͤndelte, ein Gewebe von Stri- cken, daran die Sele zoͤge. Endlich ward die Sele gar ein Reuter und der Koͤrper ein Pferd. Alle dieſe Jrrthuͤmer ruͤhreten ohnfehlbar von demienigen Mißverſtaͤndniß her, davon ich oben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/154
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/154>, abgerufen am 01.05.2024.