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Urbanitzky, Alfred von: Die Elektricität im Dienste der Menschheit. Wien; Leipzig, 1885.

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constante Ablenkung übergeht. Entfernt man den Muskel und schließt hierauf
den Stromkreis durch Auflegen eines dritten Bausches, so schlägt die Nadel
nach der entgegengesetzten Seite aus. Dieser Ausschlag rührt von der durch den
Muskelstrom bewirkten Polarisation der Platinbleche her.

Die Richtung des Muskelstromes hängt von der Art ab, in welcher der
Muskel mit den Bäuschchen in Berührung gebracht wird. Wird der Muskel so
aufgelegt, daß ein Bäuschchen von dem sehnigen Ende, das andere von der
Außenseite des rothen Muskelfleisches berührt wird, so geht der Strom in der
Richtung vom Ende zur Außenfläche. Stellt man durch einen scharfen Quer-
schnitt eine künstliche Endfläche dar und legt dann den Muskel so auf, daß die
Querfläche den einen, die Oberfläche den andern Bausch berührt, so ist der bei
dieser Anordnung stets auftretende Strom vom Querschnitte zur Oberfläche gerichtet.
Auch eine künstlich hergestellte Längsfläche durch Zerreißen des Muskels in der
Faserrichtung verhält sich wie eine natürliche Oberfläche. Es verhält sich also
der natürliche oder künstliche Längsschnitt eines Muskels positiv gegen den natür-
lichen oder künstlichen Querschnitt. Dieses Gesetz hat nach Du Bois-Reymond
für das ganze Thierreich Giltigkeit.

[Abbildung] Fig. 216.

Secundäre Zuckungen.

In Bezug auf die Dauer und den Verlauf des Muskelstromes haben
Matteucci's Untersuchungen ergeben, daß in den ersten 10 Minuten nach der
Abtrennung des Muskels vom Thierleibe (oder der Tödtung des Thieres) der
Strom bedeutend abnimmt, sich dann aber 5 bis 6 Stunden erhält; bewahrt
man den Muskel in Wasser auf, so kann man mitunter selbst noch nach Ablauf
eines Tages schwache Ströme nachweisen. Mit Eintritt der Todesstarre ist auch
der Muskelstrom zu Ende. Ueberhaupt verläuft nach Du Bois-Reymond die
elektromotorische Kraft des Muskels parallel mit seiner Erregbarkeit.

Eine sehr interessante Erscheinung, welche zuerst von Matteucci beobachtet,
aber nicht richtig erklärt wurde, ist die der secundären Zuckungen. Du Bois-
Reymond zeigte, daß letztere auf der Eigenschaft des im ruhenden Muskel oder
Nerv circulirenden Stromes beruhen, nach welcher dessen Intensität immer dann
einen raschen Abfall zeigt, wenn Nerv oder Muskel erregt werden. Man kann
dies experimentell in nachstehender Weise zeigen. Der eine Schenkel eines Frosches
wird so präparirt, daß der Nerv N1 (Figur 216) von seiner Austrittsstelle aus
der Wirbelsäule an bloßliegt, bis zu dem ebenfalls freipräparirten großen Waden-
muskel, mit welchem er im Zusammenhange erhalten wird. Am Präparat II ist
der Nerv N2 gleichfalls bloßgelegt, aber der Unterschenkel U und die Pfote Pf

conſtante Ablenkung übergeht. Entfernt man den Muskel und ſchließt hierauf
den Stromkreis durch Auflegen eines dritten Bauſches, ſo ſchlägt die Nadel
nach der entgegengeſetzten Seite aus. Dieſer Ausſchlag rührt von der durch den
Muskelſtrom bewirkten Polariſation der Platinbleche her.

Die Richtung des Muskelſtromes hängt von der Art ab, in welcher der
Muskel mit den Bäuſchchen in Berührung gebracht wird. Wird der Muskel ſo
aufgelegt, daß ein Bäuſchchen von dem ſehnigen Ende, das andere von der
Außenſeite des rothen Muskelfleiſches berührt wird, ſo geht der Strom in der
Richtung vom Ende zur Außenfläche. Stellt man durch einen ſcharfen Quer-
ſchnitt eine künſtliche Endfläche dar und legt dann den Muskel ſo auf, daß die
Querfläche den einen, die Oberfläche den andern Bauſch berührt, ſo iſt der bei
dieſer Anordnung ſtets auftretende Strom vom Querſchnitte zur Oberfläche gerichtet.
Auch eine künſtlich hergeſtellte Längsfläche durch Zerreißen des Muskels in der
Faſerrichtung verhält ſich wie eine natürliche Oberfläche. Es verhält ſich alſo
der natürliche oder künſtliche Längsſchnitt eines Muskels poſitiv gegen den natür-
lichen oder künſtlichen Querſchnitt. Dieſes Geſetz hat nach Du Bois-Reymond
für das ganze Thierreich Giltigkeit.

[Abbildung] Fig. 216.

Secundäre Zuckungen.

In Bezug auf die Dauer und den Verlauf des Muskelſtromes haben
Matteucci’s Unterſuchungen ergeben, daß in den erſten 10 Minuten nach der
Abtrennung des Muskels vom Thierleibe (oder der Tödtung des Thieres) der
Strom bedeutend abnimmt, ſich dann aber 5 bis 6 Stunden erhält; bewahrt
man den Muskel in Waſſer auf, ſo kann man mitunter ſelbſt noch nach Ablauf
eines Tages ſchwache Ströme nachweiſen. Mit Eintritt der Todesſtarre iſt auch
der Muskelſtrom zu Ende. Ueberhaupt verläuft nach Du Bois-Reymond die
elektromotoriſche Kraft des Muskels parallel mit ſeiner Erregbarkeit.

Eine ſehr intereſſante Erſcheinung, welche zuerſt von Matteucci beobachtet,
aber nicht richtig erklärt wurde, iſt die der ſecundären Zuckungen. Du Bois-
Reymond zeigte, daß letztere auf der Eigenſchaft des im ruhenden Muskel oder
Nerv circulirenden Stromes beruhen, nach welcher deſſen Intenſität immer dann
einen raſchen Abfall zeigt, wenn Nerv oder Muskel erregt werden. Man kann
dies experimentell in nachſtehender Weiſe zeigen. Der eine Schenkel eines Froſches
wird ſo präparirt, daß der Nerv N1 (Figur 216) von ſeiner Austrittsſtelle aus
der Wirbelſäule an bloßliegt, bis zu dem ebenfalls freipräparirten großen Waden-
muskel, mit welchem er im Zuſammenhange erhalten wird. Am Präparat II iſt
der Nerv N2 gleichfalls bloßgelegt, aber der Unterſchenkel U und die Pfote Pf

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[333/0347] conſtante Ablenkung übergeht. Entfernt man den Muskel und ſchließt hierauf den Stromkreis durch Auflegen eines dritten Bauſches, ſo ſchlägt die Nadel nach der entgegengeſetzten Seite aus. Dieſer Ausſchlag rührt von der durch den Muskelſtrom bewirkten Polariſation der Platinbleche her. Die Richtung des Muskelſtromes hängt von der Art ab, in welcher der Muskel mit den Bäuſchchen in Berührung gebracht wird. Wird der Muskel ſo aufgelegt, daß ein Bäuſchchen von dem ſehnigen Ende, das andere von der Außenſeite des rothen Muskelfleiſches berührt wird, ſo geht der Strom in der Richtung vom Ende zur Außenfläche. Stellt man durch einen ſcharfen Quer- ſchnitt eine künſtliche Endfläche dar und legt dann den Muskel ſo auf, daß die Querfläche den einen, die Oberfläche den andern Bauſch berührt, ſo iſt der bei dieſer Anordnung ſtets auftretende Strom vom Querſchnitte zur Oberfläche gerichtet. Auch eine künſtlich hergeſtellte Längsfläche durch Zerreißen des Muskels in der Faſerrichtung verhält ſich wie eine natürliche Oberfläche. Es verhält ſich alſo der natürliche oder künſtliche Längsſchnitt eines Muskels poſitiv gegen den natür- lichen oder künſtlichen Querſchnitt. Dieſes Geſetz hat nach Du Bois-Reymond für das ganze Thierreich Giltigkeit. [Abbildung Fig. 216. Secundäre Zuckungen.] In Bezug auf die Dauer und den Verlauf des Muskelſtromes haben Matteucci’s Unterſuchungen ergeben, daß in den erſten 10 Minuten nach der Abtrennung des Muskels vom Thierleibe (oder der Tödtung des Thieres) der Strom bedeutend abnimmt, ſich dann aber 5 bis 6 Stunden erhält; bewahrt man den Muskel in Waſſer auf, ſo kann man mitunter ſelbſt noch nach Ablauf eines Tages ſchwache Ströme nachweiſen. Mit Eintritt der Todesſtarre iſt auch der Muskelſtrom zu Ende. Ueberhaupt verläuft nach Du Bois-Reymond die elektromotoriſche Kraft des Muskels parallel mit ſeiner Erregbarkeit. Eine ſehr intereſſante Erſcheinung, welche zuerſt von Matteucci beobachtet, aber nicht richtig erklärt wurde, iſt die der ſecundären Zuckungen. Du Bois- Reymond zeigte, daß letztere auf der Eigenſchaft des im ruhenden Muskel oder Nerv circulirenden Stromes beruhen, nach welcher deſſen Intenſität immer dann einen raſchen Abfall zeigt, wenn Nerv oder Muskel erregt werden. Man kann dies experimentell in nachſtehender Weiſe zeigen. Der eine Schenkel eines Froſches wird ſo präparirt, daß der Nerv N1 (Figur 216) von ſeiner Austrittsſtelle aus der Wirbelſäule an bloßliegt, bis zu dem ebenfalls freipräparirten großen Waden- muskel, mit welchem er im Zuſammenhange erhalten wird. Am Präparat II iſt der Nerv N2 gleichfalls bloßgelegt, aber der Unterſchenkel U und die Pfote Pf

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Zitationshilfe: Urbanitzky, Alfred von: Die Elektricität im Dienste der Menschheit. Wien; Leipzig, 1885, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/urbanitzky_electricitaet_1885/347>, abgerufen am 15.05.2024.