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Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

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in der stolzen Einbildung, daß nunmehr al-
les vollkommen sey, zurückgezogen worden.

Da übrigens der deutsche Parnaß mit sich
selbst uneinig und in gewisse Secten getren-
net ist: so kann kein heutiger Dichter sich ei-
nen gewissen und allgemeinen Beyfall verspre-
chen. Er wird allezeit von einigen getadelt
werden, bloß weil er von andern gelobet
wird. Es könnte leicht kommen, daß diese
Gedichte noch ein härteres Schicksal zu ge-
warten hätten, und vielleicht dem Dichter aus
dem Petronius zugeruffen würde:
Adolescens, sermonem habes non publici
saporis.

Sollte er aber bloß deswegen mit seinen
Meinungen, in Sachen, die den guten Ge-
schmack betreffen, geheuchelt haben, weil sie
von den Grundsätzen anderer angesehenen
Kunstrichter abgehen?

Wie er sich selbst der im Reiche der Wis-
senschaften hergebrachten Freyheit, seine Ge-
danken offenherzig herauszusagen, mit Be-
scheidenheit bedienet hat: so wird es ihm
auch nicht znwider seyn, wenn andere sich ei-
ner gleichen Freyheit gegen ihn selbst gebrau-
chen. Er wird sich zu belehren suchen, wo
er Unterricht findet; und wo er diesen nicht
findet, wenigstens zu schweigen wissen.

Jnn-



in der ſtolzen Einbildung, daß nunmehr al-
les vollkommen ſey, zuruͤckgezogen worden.

Da uͤbrigens der deutſche Parnaß mit ſich
ſelbſt uneinig und in gewiſſe Secten getren-
net iſt: ſo kann kein heutiger Dichter ſich ei-
nen gewiſſen und allgemeinen Beyfall verſpre-
chen. Er wird allezeit von einigen getadelt
werden, bloß weil er von andern gelobet
wird. Es koͤnnte leicht kommen, daß dieſe
Gedichte noch ein haͤrteres Schickſal zu ge-
warten haͤtten, und vielleicht dem Dichter aus
dem Petronius zugeruffen wuͤrde:
Adoleſcens, ſermonem habes non publici
ſaporis.

Sollte er aber bloß deswegen mit ſeinen
Meinungen, in Sachen, die den guten Ge-
ſchmack betreffen, geheuchelt haben, weil ſie
von den Grundſaͤtzen anderer angeſehenen
Kunſtrichter abgehen?

Wie er ſich ſelbſt der im Reiche der Wiſ-
ſenſchaften hergebrachten Freyheit, ſeine Ge-
danken offenherzig herauszuſagen, mit Be-
ſcheidenheit bedienet hat: ſo wird es ihm
auch nicht znwider ſeyn, wenn andere ſich ei-
ner gleichen Freyheit gegen ihn ſelbſt gebrau-
chen. Er wird ſich zu belehren ſuchen, wo
er Unterricht findet; und wo er dieſen nicht
findet, wenigſtens zu ſchweigen wiſſen.

Jnn-
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[0010] in der ſtolzen Einbildung, daß nunmehr al- les vollkommen ſey, zuruͤckgezogen worden. Da uͤbrigens der deutſche Parnaß mit ſich ſelbſt uneinig und in gewiſſe Secten getren- net iſt: ſo kann kein heutiger Dichter ſich ei- nen gewiſſen und allgemeinen Beyfall verſpre- chen. Er wird allezeit von einigen getadelt werden, bloß weil er von andern gelobet wird. Es koͤnnte leicht kommen, daß dieſe Gedichte noch ein haͤrteres Schickſal zu ge- warten haͤtten, und vielleicht dem Dichter aus dem Petronius zugeruffen wuͤrde: Adoleſcens, ſermonem habes non publici ſaporis. Sollte er aber bloß deswegen mit ſeinen Meinungen, in Sachen, die den guten Ge- ſchmack betreffen, geheuchelt haben, weil ſie von den Grundſaͤtzen anderer angeſehenen Kunſtrichter abgehen? Wie er ſich ſelbſt der im Reiche der Wiſ- ſenſchaften hergebrachten Freyheit, ſeine Ge- danken offenherzig herauszuſagen, mit Be- ſcheidenheit bedienet hat: ſo wird es ihm auch nicht znwider ſeyn, wenn andere ſich ei- ner gleichen Freyheit gegen ihn ſelbſt gebrau- chen. Er wird ſich zu belehren ſuchen, wo er Unterricht findet; und wo er dieſen nicht findet, wenigſtens zu ſchweigen wiſſen. Jnn-

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Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/10>, abgerufen am 29.04.2024.