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Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

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Ein Gedicht.
Doch ihr zerstreuter Blick gesteht Verdruß und Neid;
Und alles huldigt hier nur deiner Göttlichkeit.
Wenn ein Verehrer-Schwarm dein stolzes Herz beglücket;
Wenn ihrer Lippen Ach! dein lüstern Ohr entzücket,
Und neuer Siege Ruhm, Selinde! dich vergnügt:
So siege, weil du kannst, und werde nie besiegt.

So sprach der schlaue Geist, dem auch Selinde glaubte,
Jhr eigen Herz behielt und andrer Herzen raubte.
Bald matt, bald feurig flog ihr unterwiesner Blick
Auf Sieg begierig aus und siegreich stets zurück.
Der muntre Selimor betäubt sie nicht mit Klagen:
Er hat auch Lesbien und allen was zu sagen;
Und wann er gnug geschwatzt, so trillert iedem Ohr
Sein liederreicher Hals ein Gassenliedchen vor.
Er würzet sein Gespräch mit klugerlerntem Spotte,
Scherzt bald mit seinem Hund und bald mit seinem Gotte.
Denn welcher junger Herr, der nach Paris gereist,
Stellt keinen Witzling vor, spielt keinen starken Geist?
Die Freude lachte laut an diesem schönen Orte;
Ein guter Nahme starb von iedem ihrer Worte:
Man setzte sich zum Spiel, man gähnte, man betrog,
Bis Amor ins Gemach durchs offne Fenster flog.
Er wurde nicht gesehn, er wurde nur empfunden:
O welche Regungen, welch sanft Gezisch entstunden!
Man sah, wohin man sah, verstohlner Blicke Lauf,
Und schnelle Röthe gieng in iedem Antlitz auf.
Selinde schien bewegt; ihr sichres Herz erbebte
Von Amors Gegenwart, der ihr so nahe schwebte.
Jhr
M 2

Ein Gedicht.
Doch ihr zerſtreuter Blick geſteht Verdruß und Neid;
Und alles huldigt hier nur deiner Goͤttlichkeit.
Wenn ein Verehrer-Schwarm dein ſtolzes Herz begluͤcket;
Wenn ihrer Lippen Ach! dein luͤſtern Ohr entzuͤcket,
Und neuer Siege Ruhm, Selinde! dich vergnuͤgt:
So ſiege, weil du kannſt, und werde nie beſiegt.

So ſprach der ſchlaue Geiſt, dem auch Selinde glaubte,
Jhr eigen Herz behielt und andrer Herzen raubte.
Bald matt, bald feurig flog ihr unterwieſner Blick
Auf Sieg begierig aus und ſiegreich ſtets zuruͤck.
Der muntre Selimor betaͤubt ſie nicht mit Klagen:
Er hat auch Lesbien und allen was zu ſagen;
Und wann er gnug geſchwatzt, ſo trillert iedem Ohr
Sein liederreicher Hals ein Gaſſenliedchen vor.
Er wuͤrzet ſein Geſpraͤch mit klugerlerntem Spotte,
Scherzt bald mit ſeinem Hund und bald mit ſeinem Gotte.
Denn welcher junger Herr, der nach Paris gereiſt,
Stellt keinen Witzling vor, ſpielt keinen ſtarken Geiſt?
Die Freude lachte laut an dieſem ſchoͤnen Orte;
Ein guter Nahme ſtarb von iedem ihrer Worte:
Man ſetzte ſich zum Spiel, man gaͤhnte, man betrog,
Bis Amor ins Gemach durchs offne Fenſter flog.
Er wurde nicht geſehn, er wurde nur empfunden:
O welche Regungen, welch ſanft Geziſch entſtunden!
Man ſah, wohin man ſah, verſtohlner Blicke Lauf,
Und ſchnelle Roͤthe gieng in iedem Antlitz auf.
Selinde ſchien bewegt; ihr ſichres Herz erbebte
Von Amors Gegenwart, der ihr ſo nahe ſchwebte.
Jhr
M 2
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[179/0193] Ein Gedicht. Doch ihr zerſtreuter Blick geſteht Verdruß und Neid; Und alles huldigt hier nur deiner Goͤttlichkeit. Wenn ein Verehrer-Schwarm dein ſtolzes Herz begluͤcket; Wenn ihrer Lippen Ach! dein luͤſtern Ohr entzuͤcket, Und neuer Siege Ruhm, Selinde! dich vergnuͤgt: So ſiege, weil du kannſt, und werde nie beſiegt. So ſprach der ſchlaue Geiſt, dem auch Selinde glaubte, Jhr eigen Herz behielt und andrer Herzen raubte. Bald matt, bald feurig flog ihr unterwieſner Blick Auf Sieg begierig aus und ſiegreich ſtets zuruͤck. Der muntre Selimor betaͤubt ſie nicht mit Klagen: Er hat auch Lesbien und allen was zu ſagen; Und wann er gnug geſchwatzt, ſo trillert iedem Ohr Sein liederreicher Hals ein Gaſſenliedchen vor. Er wuͤrzet ſein Geſpraͤch mit klugerlerntem Spotte, Scherzt bald mit ſeinem Hund und bald mit ſeinem Gotte. Denn welcher junger Herr, der nach Paris gereiſt, Stellt keinen Witzling vor, ſpielt keinen ſtarken Geiſt? Die Freude lachte laut an dieſem ſchoͤnen Orte; Ein guter Nahme ſtarb von iedem ihrer Worte: Man ſetzte ſich zum Spiel, man gaͤhnte, man betrog, Bis Amor ins Gemach durchs offne Fenſter flog. Er wurde nicht geſehn, er wurde nur empfunden: O welche Regungen, welch ſanft Geziſch entſtunden! Man ſah, wohin man ſah, verſtohlner Blicke Lauf, Und ſchnelle Roͤthe gieng in iedem Antlitz auf. Selinde ſchien bewegt; ihr ſichres Herz erbebte Von Amors Gegenwart, der ihr ſo nahe ſchwebte. Jhr M 2

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Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/193>, abgerufen am 16.05.2024.