Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein Gedicht.
Denn meine Muse zürnt auf Deutschlands blöde Musen:
Ein stürmisch Feuer keicht in ihrem Götterbusen:
Von weicher Anmuth fern, auf unbeflogner Spur,
Entzieht ihr kühner Schwung sich kriechender Natur.
Mit allem, was mir fehlt, wird Milton mich versorgen;
Nur will ich einen Sturm vom schwachen Maro borgen.
Doch welcher Held bey mir die krause See durchstreicht,
Beym Zevs! das weis ich nicht: ein Patriarch vielleicht!
Nimm, rief Dorante laut, o Deutschland! nimms zu Ohren!
Aus deutschem Hirne wird ein undeutsch Werk gebohren:
Ein Werk, das wenigstens Homers berauchte Schrift
Und alle Kunst Virgils beschämend übertrift.
Dem Franzmann zum Verdruß, zu Deutschlands Ruhm
und Freude
Baut unsers Freundes Witz ein episches Gebäude:
Fast wie der Muselmann Moscheen künstlich baut,
Der Trümmer Griechenlands aus altem Schutte haut:
Alsdann sich Mühe giebt, mit frischgebrannten Steinen
Manch altes Marmorstück willkührlich zu vereinen;
Und Säulen Joniens mit rauher Dorer Art,
Nicht nach geschickter Wahl, bloß nach der Größe paart.
Jch seh, ich sehe schon mit grünen Lorbeerkranzen
Die breite Stirn Cleanths, des Heldendichters, glänzen.
Der Zeitungschreiber Lob lärmt vom erstaunten Belt
Bis an der Alpen Eis und in der halben Welt.



Vier-

Ein Gedicht.
Denn meine Muſe zuͤrnt auf Deutſchlands bloͤde Muſen:
Ein ſtuͤrmiſch Feuer keicht in ihrem Goͤtterbuſen:
Von weicher Anmuth fern, auf unbeflogner Spur,
Entzieht ihr kuͤhner Schwung ſich kriechender Natur.
Mit allem, was mir fehlt, wird Milton mich verſorgen;
Nur will ich einen Sturm vom ſchwachen Maro borgen.
Doch welcher Held bey mir die krauſe See durchſtreicht,
Beym Zevs! das weis ich nicht: ein Patriarch vielleicht!
Nimm, rief Dorante laut, o Deutſchland! nimms zu Ohren!
Aus deutſchem Hirne wird ein undeutſch Werk gebohren:
Ein Werk, das wenigſtens Homers berauchte Schrift
Und alle Kunſt Virgils beſchaͤmend uͤbertrift.
Dem Franzmann zum Verdruß, zu Deutſchlands Ruhm
und Freude
Baut unſers Freundes Witz ein epiſches Gebaͤude:
Faſt wie der Muſelmann Moſcheen kuͤnſtlich baut,
Der Truͤmmer Griechenlands aus altem Schutte haut:
Alsdann ſich Muͤhe giebt, mit friſchgebrannten Steinen
Manch altes Marmorſtuͤck willkuͤhrlich zu vereinen;
Und Saͤulen Joniens mit rauher Dorer Art,
Nicht nach geſchickter Wahl, bloß nach der Groͤße paart.
Jch ſeh, ich ſehe ſchon mit gruͤnen Lorbeerkranzen
Die breite Stirn Cleanths, des Heldendichters, glaͤnzen.
Der Zeitungſchreiber Lob laͤrmt vom erſtaunten Belt
Bis an der Alpen Eis und in der halben Welt.



Vier-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="5">
            <pb facs="#f0203" n="189"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ein Gedicht.</hi> </fw><lb/>
            <l>Denn meine Mu&#x017F;e zu&#x0364;rnt auf Deut&#x017F;chlands blo&#x0364;de Mu&#x017F;en:</l><lb/>
            <l>Ein &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;ch Feuer keicht in ihrem Go&#x0364;tterbu&#x017F;en:</l><lb/>
            <l>Von weicher Anmuth fern, auf unbeflogner Spur,</l><lb/>
            <l>Entzieht ihr ku&#x0364;hner Schwung &#x017F;ich kriechender Natur.</l><lb/>
            <l>Mit allem, was mir fehlt, wird Milton mich ver&#x017F;orgen;</l><lb/>
            <l>Nur will ich einen Sturm vom &#x017F;chwachen Maro borgen.</l><lb/>
            <l>Doch welcher Held bey mir die krau&#x017F;e See durch&#x017F;treicht,</l><lb/>
            <l>Beym Zevs! das weis ich nicht: ein Patriarch vielleicht!</l><lb/>
            <l>Nimm, rief Dorante laut, o Deut&#x017F;chland! nimms zu Ohren!</l><lb/>
            <l>Aus deut&#x017F;chem Hirne wird ein undeut&#x017F;ch Werk gebohren:</l><lb/>
            <l>Ein Werk, das wenig&#x017F;tens Homers berauchte Schrift</l><lb/>
            <l>Und alle Kun&#x017F;t Virgils be&#x017F;cha&#x0364;mend u&#x0364;bertrift.</l><lb/>
            <l>Dem Franzmann zum Verdruß, zu Deut&#x017F;chlands Ruhm</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">und Freude</hi> </l><lb/>
            <l>Baut un&#x017F;ers Freundes Witz ein epi&#x017F;ches Geba&#x0364;ude:</l><lb/>
            <l>Fa&#x017F;t wie der Mu&#x017F;elmann Mo&#x017F;cheen ku&#x0364;n&#x017F;tlich baut,</l><lb/>
            <l>Der Tru&#x0364;mmer Griechenlands aus altem Schutte haut:</l><lb/>
            <l>Alsdann &#x017F;ich Mu&#x0364;he giebt, mit fri&#x017F;chgebrannten Steinen</l><lb/>
            <l>Manch altes Marmor&#x017F;tu&#x0364;ck willku&#x0364;hrlich zu vereinen;</l><lb/>
            <l>Und Sa&#x0364;ulen Joniens mit rauher Dorer Art,</l><lb/>
            <l>Nicht nach ge&#x017F;chickter Wahl, bloß nach der Gro&#x0364;ße paart.</l><lb/>
            <l>Jch &#x017F;eh, ich &#x017F;ehe &#x017F;chon mit gru&#x0364;nen Lorbeerkranzen</l><lb/>
            <l>Die breite Stirn Cleanths, des Heldendichters, gla&#x0364;nzen.</l><lb/>
            <l>Der Zeitung&#x017F;chreiber Lob la&#x0364;rmt vom er&#x017F;taunten Belt</l><lb/>
            <l>Bis an der Alpen Eis und in der halben Welt.</l>
          </lg>
        </lg><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Vier-</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0203] Ein Gedicht. Denn meine Muſe zuͤrnt auf Deutſchlands bloͤde Muſen: Ein ſtuͤrmiſch Feuer keicht in ihrem Goͤtterbuſen: Von weicher Anmuth fern, auf unbeflogner Spur, Entzieht ihr kuͤhner Schwung ſich kriechender Natur. Mit allem, was mir fehlt, wird Milton mich verſorgen; Nur will ich einen Sturm vom ſchwachen Maro borgen. Doch welcher Held bey mir die krauſe See durchſtreicht, Beym Zevs! das weis ich nicht: ein Patriarch vielleicht! Nimm, rief Dorante laut, o Deutſchland! nimms zu Ohren! Aus deutſchem Hirne wird ein undeutſch Werk gebohren: Ein Werk, das wenigſtens Homers berauchte Schrift Und alle Kunſt Virgils beſchaͤmend uͤbertrift. Dem Franzmann zum Verdruß, zu Deutſchlands Ruhm und Freude Baut unſers Freundes Witz ein epiſches Gebaͤude: Faſt wie der Muſelmann Moſcheen kuͤnſtlich baut, Der Truͤmmer Griechenlands aus altem Schutte haut: Alsdann ſich Muͤhe giebt, mit friſchgebrannten Steinen Manch altes Marmorſtuͤck willkuͤhrlich zu vereinen; Und Saͤulen Joniens mit rauher Dorer Art, Nicht nach geſchickter Wahl, bloß nach der Groͤße paart. Jch ſeh, ich ſehe ſchon mit gruͤnen Lorbeerkranzen Die breite Stirn Cleanths, des Heldendichters, glaͤnzen. Der Zeitungſchreiber Lob laͤrmt vom erſtaunten Belt Bis an der Alpen Eis und in der halben Welt. Vier-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/203
Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/203>, abgerufen am 16.05.2024.