Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefe.
Bis auf den Gürtel ab, wo schwere Schlüssel hangen:
Sein blendendes Gewand schleppt auf dem Boden hin:
Er geht; ich folg ihm nach; ich weis nicht, wo ich bin.
Ein zweifelhaftes Licht stielt sich durch seltne Ritzen,
Wie in den Wäldern herrscht, wann die Gestirne bli-
tzen,
Noch ehe Cynthia mit vollem Angesicht
Aus neidischem Gewölke bricht.
Jch sehe tief hinein viel grosser Fässer liegen:
Huy! denk ich, hier giebts Wein! Für Sehnsucht und
Vergnügen
Leckt meine dürre Zunge schon
Die Lippen, die dem Faß mit ihrem Durste drohn.
Du siehest, sprach der Geist, den ehrlichsten der Geister!
Jch war in beßrer Zeit hier ehmals Kellermeister:
O Zeiten! euch vergeß ich nie,
Da Weins die Fülle war, und alles trank und spie!
Auf diesen Höhen stund Lyäens liebster Tempel:
Mein Schatten schwebet noch um den geliebten Ort.
Wie ofte taumelt' ich, den Jüngern zum Exempel,
Um jene fruchtbarn Fässer dort!
Doch damals waren auch die güldensten der Zeiten:
Da wuste Römhild nichts von Unruh, Zank und Strei-
ten:
Man zankte nur, wenn Wein gebrach:
Nur seit Lyäus floh, flog ihm der Friede nach.
O Römhild! Römhild! sieh, was dir mit ihm entge-
het!
Die
Briefe.
Bis auf den Guͤrtel ab, wo ſchwere Schluͤſſel hangen:
Sein blendendes Gewand ſchleppt auf dem Boden hin:
Er geht; ich folg ihm nach; ich weis nicht, wo ich bin.
Ein zweifelhaftes Licht ſtielt ſich durch ſeltne Ritzen,
Wie in den Waͤldern herrſcht, wann die Geſtirne bli-
tzen,
Noch ehe Cynthia mit vollem Angeſicht
Aus neidiſchem Gewoͤlke bricht.
Jch ſehe tief hinein viel groſſer Faͤſſer liegen:
Huy! denk ich, hier giebts Wein! Fuͤr Sehnſucht und
Vergnuͤgen
Leckt meine duͤrre Zunge ſchon
Die Lippen, die dem Faß mit ihrem Durſte drohn.
Du ſieheſt, ſprach der Geiſt, den ehrlichſten der Geiſter!
Jch war in beßrer Zeit hier ehmals Kellermeiſter:
O Zeiten! euch vergeß ich nie,
Da Weins die Fuͤlle war, und alles trank und ſpie!
Auf dieſen Hoͤhen ſtund Lyaͤens liebſter Tempel:
Mein Schatten ſchwebet noch um den geliebten Ort.
Wie ofte taumelt’ ich, den Juͤngern zum Exempel,
Um jene fruchtbarn Faͤſſer dort!
Doch damals waren auch die guͤldenſten der Zeiten:
Da wuſte Roͤmhild nichts von Unruh, Zank und Strei-
ten:
Man zankte nur, wenn Wein gebrach:
Nur ſeit Lyaͤus floh, flog ihm der Friede nach.
O Roͤmhild! Roͤmhild! ſieh, was dir mit ihm entge-
het!
Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0221" n="207"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Briefe.</hi> </fw><lb/>
            <l>Bis auf den Gu&#x0364;rtel ab, wo &#x017F;chwere Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el hangen:</l><lb/>
            <l>Sein blendendes Gewand &#x017F;chleppt auf dem Boden hin:</l><lb/>
            <l>Er geht; ich folg ihm nach; ich weis nicht, wo ich bin.</l><lb/>
            <l>Ein zweifelhaftes Licht &#x017F;tielt &#x017F;ich durch &#x017F;eltne Ritzen,</l><lb/>
            <l>Wie in den Wa&#x0364;ldern herr&#x017F;cht, wann die Ge&#x017F;tirne bli-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">tzen,</hi> </l><lb/>
            <l>Noch ehe Cynthia mit vollem Ange&#x017F;icht</l><lb/>
            <l>Aus neidi&#x017F;chem Gewo&#x0364;lke bricht.</l><lb/>
            <l>Jch &#x017F;ehe tief hinein viel gro&#x017F;&#x017F;er Fa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er liegen:</l><lb/>
            <l>Huy! denk ich, hier giebts Wein! Fu&#x0364;r Sehn&#x017F;ucht und</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Vergnu&#x0364;gen</hi> </l><lb/>
            <l>Leckt meine du&#x0364;rre Zunge &#x017F;chon</l><lb/>
            <l>Die Lippen, die dem Faß mit ihrem Dur&#x017F;te drohn.</l><lb/>
            <l>Du &#x017F;iehe&#x017F;t, &#x017F;prach der Gei&#x017F;t, den ehrlich&#x017F;ten der Gei&#x017F;ter!</l><lb/>
            <l>Jch war in beßrer Zeit hier ehmals Kellermei&#x017F;ter:</l><lb/>
            <l>O Zeiten! euch vergeß ich nie,</l><lb/>
            <l>Da Weins die Fu&#x0364;lle war, und alles trank und &#x017F;pie!</l><lb/>
            <l>Auf die&#x017F;en Ho&#x0364;hen &#x017F;tund Lya&#x0364;ens lieb&#x017F;ter Tempel:</l><lb/>
            <l>Mein Schatten &#x017F;chwebet noch um den geliebten Ort.</l><lb/>
            <l>Wie ofte taumelt&#x2019; ich, den Ju&#x0364;ngern zum Exempel,</l><lb/>
            <l>Um jene fruchtbarn Fa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er dort!</l><lb/>
            <l>Doch damals waren auch die gu&#x0364;lden&#x017F;ten der Zeiten:</l><lb/>
            <l>Da wu&#x017F;te Ro&#x0364;mhild nichts von Unruh, Zank und Strei-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">ten:</hi> </l><lb/>
            <l>Man zankte nur, wenn Wein gebrach:</l><lb/>
            <l>Nur &#x017F;eit Lya&#x0364;us floh, flog ihm der Friede nach.</l><lb/>
            <l>O Ro&#x0364;mhild! Ro&#x0364;mhild! &#x017F;ieh, was dir mit ihm entge-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">het!</hi> </l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0221] Briefe. Bis auf den Guͤrtel ab, wo ſchwere Schluͤſſel hangen: Sein blendendes Gewand ſchleppt auf dem Boden hin: Er geht; ich folg ihm nach; ich weis nicht, wo ich bin. Ein zweifelhaftes Licht ſtielt ſich durch ſeltne Ritzen, Wie in den Waͤldern herrſcht, wann die Geſtirne bli- tzen, Noch ehe Cynthia mit vollem Angeſicht Aus neidiſchem Gewoͤlke bricht. Jch ſehe tief hinein viel groſſer Faͤſſer liegen: Huy! denk ich, hier giebts Wein! Fuͤr Sehnſucht und Vergnuͤgen Leckt meine duͤrre Zunge ſchon Die Lippen, die dem Faß mit ihrem Durſte drohn. Du ſieheſt, ſprach der Geiſt, den ehrlichſten der Geiſter! Jch war in beßrer Zeit hier ehmals Kellermeiſter: O Zeiten! euch vergeß ich nie, Da Weins die Fuͤlle war, und alles trank und ſpie! Auf dieſen Hoͤhen ſtund Lyaͤens liebſter Tempel: Mein Schatten ſchwebet noch um den geliebten Ort. Wie ofte taumelt’ ich, den Juͤngern zum Exempel, Um jene fruchtbarn Faͤſſer dort! Doch damals waren auch die guͤldenſten der Zeiten: Da wuſte Roͤmhild nichts von Unruh, Zank und Strei- ten: Man zankte nur, wenn Wein gebrach: Nur ſeit Lyaͤus floh, flog ihm der Friede nach. O Roͤmhild! Roͤmhild! ſieh, was dir mit ihm entge- het! Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/221
Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/221>, abgerufen am 15.05.2024.