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Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

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Briefe.
Die Zwietracht raste stets, die stille Ruhe wich,
Seit Hartenburg verheeret stehet:
Ein Gott hat hier gewohnt, ein Gott verfolget dich.
* Du büssest unverdient der Väter Missethaten,
Bis du den Tempel wieder baust,
Das Haus des Rebengotts, das in Verfall gerathen,
Auf dessen Trümmern du nur Gras und Moder schaust:
Bis du die Fässer füllst, wo sonst Lyäus brauste;
Nun, leider! sind sie leer!
Der Alte seufzt' und sprach nicht mehr:
Die schreckenvolle Höhle sauste
Und seufzte kläglich: sie sind leer!
Auch ich, der schon in Hoffnung schmauste,
Schrie kläglich: sie sind leer!

Jch wünschte nunmehr von ganzem Herzen, aus diesen
nnterirdischen Wohnungen je eher, je besser loszukommen:
denn mit leeren Fässern und mit leeren Gläsern ist mir
niemals viel gedient gewesen. Aber meine Bestürzung
stieg aufs höchste, als mein Kellermeister mich wieder
anredete. Der Sturm, sprach er, welcher dich in diesen
Keller genöthiget, o Sterblicher! ist nicht von ungefehr
entstanden. Ein Gnome, der in diesem Berge sich auf-
hält, hat ihn veranstaltet, weil er dich zu sprechen ver-
langet. Er hat mit Vergnügen bemerket, daß du die
schöne Hartenburg besonders liebst, und beym Spatzie-

ren
* Parodie der Worte Horatii in der 6. Ode des 3ten
Buchs: Delicta Majorum immeritus luis &c. nach
Herrn von Hagedorn Uebersetzung in Oden und Liedern
S. 8.
Briefe.
Die Zwietracht raſte ſtets, die ſtille Ruhe wich,
Seit Hartenburg verheeret ſtehet:
Ein Gott hat hier gewohnt, ein Gott verfolget dich.
* Du buͤſſeſt unverdient der Vaͤter Miſſethaten,
Bis du den Tempel wieder bauſt,
Das Haus des Rebengotts, das in Verfall gerathen,
Auf deſſen Truͤmmern du nur Gras und Moder ſchauſt:
Bis du die Faͤſſer fuͤllſt, wo ſonſt Lyaͤus brauſte;
Nun, leider! ſind ſie leer!
Der Alte ſeufzt’ und ſprach nicht mehr:
Die ſchreckenvolle Hoͤhle ſauſte
Und ſeufzte klaͤglich: ſie ſind leer!
Auch ich, der ſchon in Hoffnung ſchmauſte,
Schrie klaͤglich: ſie ſind leer!

Jch wuͤnſchte nunmehr von ganzem Herzen, aus dieſen
nnterirdiſchen Wohnungen je eher, je beſſer loszukommen:
denn mit leeren Faͤſſern und mit leeren Glaͤſern iſt mir
niemals viel gedient geweſen. Aber meine Beſtuͤrzung
ſtieg aufs hoͤchſte, als mein Kellermeiſter mich wieder
anredete. Der Sturm, ſprach er, welcher dich in dieſen
Keller genoͤthiget, o Sterblicher! iſt nicht von ungefehr
entſtanden. Ein Gnome, der in dieſem Berge ſich auf-
haͤlt, hat ihn veranſtaltet, weil er dich zu ſprechen ver-
langet. Er hat mit Vergnuͤgen bemerket, daß du die
ſchoͤne Hartenburg beſonders liebſt, und beym Spatzie-

ren
* Parodie der Worte Horatii in der 6. Ode des 3ten
Buchs: Delicta Majorum immeritus luis &c. nach
Herrn von Hagedorn Ueberſetzung in Oden und Liedern
S. 8.
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[208/0222] Briefe. Die Zwietracht raſte ſtets, die ſtille Ruhe wich, Seit Hartenburg verheeret ſtehet: Ein Gott hat hier gewohnt, ein Gott verfolget dich. * Du buͤſſeſt unverdient der Vaͤter Miſſethaten, Bis du den Tempel wieder bauſt, Das Haus des Rebengotts, das in Verfall gerathen, Auf deſſen Truͤmmern du nur Gras und Moder ſchauſt: Bis du die Faͤſſer fuͤllſt, wo ſonſt Lyaͤus brauſte; Nun, leider! ſind ſie leer! Der Alte ſeufzt’ und ſprach nicht mehr: Die ſchreckenvolle Hoͤhle ſauſte Und ſeufzte klaͤglich: ſie ſind leer! Auch ich, der ſchon in Hoffnung ſchmauſte, Schrie klaͤglich: ſie ſind leer! Jch wuͤnſchte nunmehr von ganzem Herzen, aus dieſen nnterirdiſchen Wohnungen je eher, je beſſer loszukommen: denn mit leeren Faͤſſern und mit leeren Glaͤſern iſt mir niemals viel gedient geweſen. Aber meine Beſtuͤrzung ſtieg aufs hoͤchſte, als mein Kellermeiſter mich wieder anredete. Der Sturm, ſprach er, welcher dich in dieſen Keller genoͤthiget, o Sterblicher! iſt nicht von ungefehr entſtanden. Ein Gnome, der in dieſem Berge ſich auf- haͤlt, hat ihn veranſtaltet, weil er dich zu ſprechen ver- langet. Er hat mit Vergnuͤgen bemerket, daß du die ſchoͤne Hartenburg beſonders liebſt, und beym Spatzie- ren * Parodie der Worte Horatii in der 6. Ode des 3ten Buchs: Delicta Majorum immeritus luis &c. nach Herrn von Hagedorn Ueberſetzung in Oden und Liedern S. 8.

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Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/222>, abgerufen am 15.05.2024.