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Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

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Briefe.
Unter Bluhmen hingestreckt?
Hör ich unter Nachtigallen
Deine süssen Lieder schallen?
Lieder, wie mein Chaulieu sang,
Wenn er frey von eklem Zwang
Und bey spätem Weine lachte!
Bacchus, wenn sein Lied erscholl,
Ließ den trunknen Becher voll,
Der ihm in die Augen lachte;
Und, gelehnt auf seinen Stab,
Der vom heilgen Lorbeer rauschte,
Hieng er schweigend hin und lauschte,
Bis der Dichter durstig schwieg, Bacchus ihm
den Becher gab.

Doch meinen Dichtergeist umnebeln leichte Träume!
Du ruhest itzt wohl nicht im Schatten deiner Bäume!
Nun, da sie fast entblättert stehn,
Und rauhe Winde nur im öden Garten wehn:
Da, nach des Herbstes mildem Segen,
Das greise Jahr mit kalten Regen
Die Fluren umgewühlt, wo Raben einsam gehn.
Wenn Zephyr die verjüngten Blätter
Und Floren und die Liebesgötter
Auf düftendem Gefieder bringt;
Und in der Fruhlings-Luft die frühe Lerche singt:
Alsdann wird Amor dich im Grünen wieder finden;
Dich, der sein Sklave schon, ihm nur entwischet war',
An seinen flammenden Altar
Mit
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Briefe.
Unter Bluhmen hingeſtreckt?
Hoͤr ich unter Nachtigallen
Deine ſuͤſſen Lieder ſchallen?
Lieder, wie mein Chaulieu ſang,
Wenn er frey von eklem Zwang
Und bey ſpaͤtem Weine lachte!
Bacchus, wenn ſein Lied erſcholl,
Ließ den trunknen Becher voll,
Der ihm in die Augen lachte;
Und, gelehnt auf ſeinen Stab,
Der vom heilgen Lorbeer rauſchte,
Hieng er ſchweigend hin und lauſchte,
Bis der Dichter durſtig ſchwieg, Bacchus ihm
den Becher gab.

Doch meinen Dichtergeiſt umnebeln leichte Traͤume!
Du ruheſt itzt wohl nicht im Schatten deiner Baͤume!
Nun, da ſie faſt entblaͤttert ſtehn,
Und rauhe Winde nur im oͤden Garten wehn:
Da, nach des Herbſtes mildem Segen,
Das greiſe Jahr mit kalten Regen
Die Fluren umgewuͤhlt, wo Raben einſam gehn.
Wenn Zephyr die verjuͤngten Blaͤtter
Und Floren und die Liebesgoͤtter
Auf duͤftendem Gefieder bringt;
Und in der Fruhlings-Luft die fruͤhe Lerche ſingt:
Alsdann wird Amor dich im Gruͤnen wieder finden;
Dich, der ſein Sklave ſchon, ihm nur entwiſchet war’,
An ſeinen flammenden Altar
Mit
P 5
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[233/0247] Briefe. Unter Bluhmen hingeſtreckt? Hoͤr ich unter Nachtigallen Deine ſuͤſſen Lieder ſchallen? Lieder, wie mein Chaulieu ſang, Wenn er frey von eklem Zwang Und bey ſpaͤtem Weine lachte! Bacchus, wenn ſein Lied erſcholl, Ließ den trunknen Becher voll, Der ihm in die Augen lachte; Und, gelehnt auf ſeinen Stab, Der vom heilgen Lorbeer rauſchte, Hieng er ſchweigend hin und lauſchte, Bis der Dichter durſtig ſchwieg, Bacchus ihm den Becher gab. Doch meinen Dichtergeiſt umnebeln leichte Traͤume! Du ruheſt itzt wohl nicht im Schatten deiner Baͤume! Nun, da ſie faſt entblaͤttert ſtehn, Und rauhe Winde nur im oͤden Garten wehn: Da, nach des Herbſtes mildem Segen, Das greiſe Jahr mit kalten Regen Die Fluren umgewuͤhlt, wo Raben einſam gehn. Wenn Zephyr die verjuͤngten Blaͤtter Und Floren und die Liebesgoͤtter Auf duͤftendem Gefieder bringt; Und in der Fruhlings-Luft die fruͤhe Lerche ſingt: Alsdann wird Amor dich im Gruͤnen wieder finden; Dich, der ſein Sklave ſchon, ihm nur entwiſchet war’, An ſeinen flammenden Altar Mit P 5

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Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/247>, abgerufen am 15.05.2024.