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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

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und sich lange in Griechenland, in Konstantinopel und auf der
Küste von Kleinasien aufgehalten. Ueberall hat er die Völker
studirt und die Natur der Länder erforscht; ich kann nicht sagen,
mit welcher inneren Freude ich ihm zugehört habe, wenn er
Abends mir, seinem jüngeren Freunde, belehrend erzählte, gleich¬
sam durch mein Hören aus seinem Schweigen gerissen, und bald
von Bergwerken, von Brücken, Wäldern und Flüssen, bald von
venezianischen Sitten, von dem Leben der englischen Matrosen
(die er überaus liebt), vom Schiffswesen, von dem Zustande
der Neugriechen und dem des türkischen Reiches, bald von
militärischen Operationen und alten Schlachtfeldern, lebhaft,
ruhig, sicher, geistvoll und treffend erzählte, daß ich oft un¬
willkürlich an den freundlichen Herodotos denken mußte! Die
Kriegskunst versteht er in allen ihren Zweigen; er würde Sol¬
daten nicht nur anzuführen, sondern auch zu bilden wissen.
Alle dahin bezüglichen Gegenstände sind ihm so vertraut, und
geläufig, daß ihm die richtige Kombination von Mensch und
Natur zum Behuf des Kriegs in jedem gegebenen Falle wie von
selbst verstehn müßte, und er gewiß immer das Eine nothwen¬
dige träfe. Der Fürst Ypsilanti wollte einmal durch ihn seine
kleine Kriegsmacht, die größtentheils erst geschaffen werden sollte,
gegen den Paswan Oglu führen lassen; die eingetretenen, fried¬
lichen Verhältnisse nahmen ihm diese Gelegenheit, wirklich zu
zeigen, was er im Felde vermocht hätte. Alles was den Staat
angeht, die Anordnung und Erzeugung allgemeiner Gesellschafts¬
verhältnisse, hat er mit tiefem Sinn durchdacht; die große Be¬
zwingung der Natur zu menschlichen Zwecken, die vielen Bau¬
werke, die gegen ihre Feindseligkeiten der Mensch unternommen,
das Wesen der Landwirthschaft und des Handels, die Kraft der
Finanzen, alles hat er in seinem klaren Geiste bearbeitet, alles
vielfach gesehn, und in Erfahrungen geprüft. Der Geschichte ist

und ſich lange in Griechenland, in Konſtantinopel und auf der
Küſte von Kleinaſien aufgehalten. Ueberall hat er die Völker
ſtudirt und die Natur der Länder erforſcht; ich kann nicht ſagen,
mit welcher inneren Freude ich ihm zugehört habe, wenn er
Abends mir, ſeinem jüngeren Freunde, belehrend erzählte, gleich¬
ſam durch mein Hören aus ſeinem Schweigen geriſſen, und bald
von Bergwerken, von Brücken, Wäldern und Flüſſen, bald von
venezianiſchen Sitten, von dem Leben der engliſchen Matroſen
(die er überaus liebt), vom Schiffsweſen, von dem Zuſtande
der Neugriechen und dem des türkiſchen Reiches, bald von
militäriſchen Operationen und alten Schlachtfeldern, lebhaft,
ruhig, ſicher, geiſtvoll und treffend erzählte, daß ich oft un¬
willkürlich an den freundlichen Herodotos denken mußte! Die
Kriegskunſt verſteht er in allen ihren Zweigen; er würde Sol¬
daten nicht nur anzuführen, ſondern auch zu bilden wiſſen.
Alle dahin bezüglichen Gegenſtände ſind ihm ſo vertraut, und
geläufig, daß ihm die richtige Kombination von Menſch und
Natur zum Behuf des Kriegs in jedem gegebenen Falle wie von
ſelbſt verſtehn müßte, und er gewiß immer das Eine nothwen¬
dige träfe. Der Fürſt Ypſilanti wollte einmal durch ihn ſeine
kleine Kriegsmacht, die größtentheils erſt geſchaffen werden ſollte,
gegen den Paswan Oglu führen laſſen; die eingetretenen, fried¬
lichen Verhältniſſe nahmen ihm dieſe Gelegenheit, wirklich zu
zeigen, was er im Felde vermocht hätte. Alles was den Staat
angeht, die Anordnung und Erzeugung allgemeiner Geſellſchafts¬
verhältniſſe, hat er mit tiefem Sinn durchdacht; die große Be¬
zwingung der Natur zu menſchlichen Zwecken, die vielen Bau¬
werke, die gegen ihre Feindſeligkeiten der Menſch unternommen,
das Weſen der Landwirthſchaft und des Handels, die Kraft der
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[308/0322] und ſich lange in Griechenland, in Konſtantinopel und auf der Küſte von Kleinaſien aufgehalten. Ueberall hat er die Völker ſtudirt und die Natur der Länder erforſcht; ich kann nicht ſagen, mit welcher inneren Freude ich ihm zugehört habe, wenn er Abends mir, ſeinem jüngeren Freunde, belehrend erzählte, gleich¬ ſam durch mein Hören aus ſeinem Schweigen geriſſen, und bald von Bergwerken, von Brücken, Wäldern und Flüſſen, bald von venezianiſchen Sitten, von dem Leben der engliſchen Matroſen (die er überaus liebt), vom Schiffsweſen, von dem Zuſtande der Neugriechen und dem des türkiſchen Reiches, bald von militäriſchen Operationen und alten Schlachtfeldern, lebhaft, ruhig, ſicher, geiſtvoll und treffend erzählte, daß ich oft un¬ willkürlich an den freundlichen Herodotos denken mußte! Die Kriegskunſt verſteht er in allen ihren Zweigen; er würde Sol¬ daten nicht nur anzuführen, ſondern auch zu bilden wiſſen. Alle dahin bezüglichen Gegenſtände ſind ihm ſo vertraut, und geläufig, daß ihm die richtige Kombination von Menſch und Natur zum Behuf des Kriegs in jedem gegebenen Falle wie von ſelbſt verſtehn müßte, und er gewiß immer das Eine nothwen¬ dige träfe. Der Fürſt Ypſilanti wollte einmal durch ihn ſeine kleine Kriegsmacht, die größtentheils erſt geſchaffen werden ſollte, gegen den Paswan Oglu führen laſſen; die eingetretenen, fried¬ lichen Verhältniſſe nahmen ihm dieſe Gelegenheit, wirklich zu zeigen, was er im Felde vermocht hätte. Alles was den Staat angeht, die Anordnung und Erzeugung allgemeiner Geſellſchafts¬ verhältniſſe, hat er mit tiefem Sinn durchdacht; die große Be¬ zwingung der Natur zu menſchlichen Zwecken, die vielen Bau¬ werke, die gegen ihre Feindſeligkeiten der Menſch unternommen, das Weſen der Landwirthſchaft und des Handels, die Kraft der Finanzen, alles hat er in ſeinem klaren Geiſte bearbeitet, alles vielfach geſehn, und in Erfahrungen geprüft. Der Geſchichte iſt

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/322>, abgerufen am 28.04.2024.