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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

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die Mitte des Mai reiste er ab. Als wir nach einiger
Zeit hörten, er sei durch Mähren und Galizien glück¬
lich nach Rußland gelangt, athmeten wir auf, denn
noch immer hatten wir gefürchtet, noch unterweges
möchte ein Unglück ihn anhalten. Seine Abreise machte
einen ungeheuern Eindruck; daß man in Rußland an
ihn gedacht hatte, gab einen hohen Begriff von der
dortigen Einsicht und Umfassung, man sah in der rus¬
sischen Sache nun auch die deutsche, sie war in Stein
gleichsam anerkannt und einverleibt.

Die österreichischen Behörden hatten die Sache ru¬
hig geschehen lassen; als in Dresden das Geschehene
ruchtbar wurde, ließ der französische Kaiser mehr Ver¬
wunderung als Verdruß darüber aus, und that ver¬
ächtlich, als sei im Grunde nichts daran gelegen. Ein
großer und verhängnißvoller Irrthum, der schwer zu
büßen war! Stein's Anwesenheit in St. Petersburg
war ein außerordentliches Gewicht auf der russischen
Seite; sein Ansehn und Einfluß wirkten auf die Be¬
schlüsse des Kaisers, auf die Stimmung der höchsten
Kreise, und überhaupt auf die Maßregeln und Anstal¬
ten des Krieges mit unwiderstehlicher Gewalt. In den
schlimmsten Augenblicken, als die Franzosen in Moskau
eingezogen waren, wankte sein Muth und seine Stärke
nicht. Sein beredter Haß fachte zum Widerstande, zur
Ausdauer an. Unter den Mächten, durch welche Na¬

die Mitte des Mai reiſte er ab. Als wir nach einiger
Zeit hoͤrten, er ſei durch Maͤhren und Galizien gluͤck¬
lich nach Rußland gelangt, athmeten wir auf, denn
noch immer hatten wir gefuͤrchtet, noch unterweges
moͤchte ein Ungluͤck ihn anhalten. Seine Abreiſe machte
einen ungeheuern Eindruck; daß man in Rußland an
ihn gedacht hatte, gab einen hohen Begriff von der
dortigen Einſicht und Umfaſſung, man ſah in der ruſ¬
ſiſchen Sache nun auch die deutſche, ſie war in Stein
gleichſam anerkannt und einverleibt.

Die oͤſterreichiſchen Behoͤrden hatten die Sache ru¬
hig geſchehen laſſen; als in Dresden das Geſchehene
ruchtbar wurde, ließ der franzoͤſiſche Kaiſer mehr Ver¬
wunderung als Verdruß daruͤber aus, und that ver¬
aͤchtlich, als ſei im Grunde nichts daran gelegen. Ein
großer und verhaͤngnißvoller Irrthum, der ſchwer zu
buͤßen war! Stein's Anweſenheit in St. Petersburg
war ein außerordentliches Gewicht auf der ruſſiſchen
Seite; ſein Anſehn und Einfluß wirkten auf die Be¬
ſchluͤſſe des Kaiſers, auf die Stimmung der hoͤchſten
Kreiſe, und uͤberhaupt auf die Maßregeln und Anſtal¬
ten des Krieges mit unwiderſtehlicher Gewalt. In den
ſchlimmſten Augenblicken, als die Franzoſen in Moskau
eingezogen waren, wankte ſein Muth und ſeine Staͤrke
nicht. Sein beredter Haß fachte zum Widerſtande, zur
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[201/0213] die Mitte des Mai reiſte er ab. Als wir nach einiger Zeit hoͤrten, er ſei durch Maͤhren und Galizien gluͤck¬ lich nach Rußland gelangt, athmeten wir auf, denn noch immer hatten wir gefuͤrchtet, noch unterweges moͤchte ein Ungluͤck ihn anhalten. Seine Abreiſe machte einen ungeheuern Eindruck; daß man in Rußland an ihn gedacht hatte, gab einen hohen Begriff von der dortigen Einſicht und Umfaſſung, man ſah in der ruſ¬ ſiſchen Sache nun auch die deutſche, ſie war in Stein gleichſam anerkannt und einverleibt. Die oͤſterreichiſchen Behoͤrden hatten die Sache ru¬ hig geſchehen laſſen; als in Dresden das Geſchehene ruchtbar wurde, ließ der franzoͤſiſche Kaiſer mehr Ver¬ wunderung als Verdruß daruͤber aus, und that ver¬ aͤchtlich, als ſei im Grunde nichts daran gelegen. Ein großer und verhaͤngnißvoller Irrthum, der ſchwer zu buͤßen war! Stein's Anweſenheit in St. Petersburg war ein außerordentliches Gewicht auf der ruſſiſchen Seite; ſein Anſehn und Einfluß wirkten auf die Be¬ ſchluͤſſe des Kaiſers, auf die Stimmung der hoͤchſten Kreiſe, und uͤberhaupt auf die Maßregeln und Anſtal¬ ten des Krieges mit unwiderſtehlicher Gewalt. In den ſchlimmſten Augenblicken, als die Franzoſen in Moskau eingezogen waren, wankte ſein Muth und ſeine Staͤrke nicht. Sein beredter Haß fachte zum Widerſtande, zur Ausdauer an. Unter den Maͤchten, durch welche Na¬

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/213>, abgerufen am 29.04.2024.