Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

auf die Bemerkung, ich sei aber doch schon so groß,
blieb der Knabe dabei, nun ja, ich sei ein großes Christ¬
kindchen, welches Wort den Vater ungemein freute, so
daß es mir erst hiedurch auffiel. In solchen Gesprächen
und Beschäftigungen ging ein guter Theil des Abends
hin, ich fühlte mich ganz beglückt in der Mitte dieser
schönen, reinen Familie, die so herzlich gegen mich war,
und mich schon keine Fremdheit mehr empfinden ließ.

Ich blieb zum Abendessen, gegen meinen Vorsatz,
denn ich hatte Harschern versprochen, nicht spät wieder¬
zukommen, da wir am andern Morgen früh abreisen
wollten. Die Frau war überaus gütig, Jean Paul
so traulich und aufgeweckt, daß ich dem beiderseitigen
Zureden nicht widerstehen konnte. Bei dem artigen
und schon süddeutsch reichlichen Mahle herrschte die beste
Laune. Unter andern gab uns der Vorfall sehr zu
lachen, daß mir Jean Paul eine Empfehlung nach
Stuttgart an einen seiner -- wie er sagte -- herzlichsten
Freunde geben wollte, es aber unterlassen mußte, weil
er sich durchaus nicht auf dessen Namen besinnen konnte!
Von ernsthafter Art hingegen waren die Gespräche über
Tieck, Friedrich und Wilhelm Schlegel, Bernhardi,
Schütz, mit Einem Wort, über die sogenannte roman¬
tische Schule. Jean Paul hatte dieselbe in seiner "Vor¬
schule der Aesthetik" gleichsam anerkannt, allein aus
bloßer Achtung für Talent und Geist; gegen den eigent¬
lichen Kern jenes ganzen Zusammenhangs hegte er

auf die Bemerkung, ich ſei aber doch ſchon ſo groß,
blieb der Knabe dabei, nun ja, ich ſei ein großes Chriſt¬
kindchen, welches Wort den Vater ungemein freute, ſo
daß es mir erſt hiedurch auffiel. In ſolchen Geſpraͤchen
und Beſchaͤftigungen ging ein guter Theil des Abends
hin, ich fuͤhlte mich ganz begluͤckt in der Mitte dieſer
ſchoͤnen, reinen Familie, die ſo herzlich gegen mich war,
und mich ſchon keine Fremdheit mehr empfinden ließ.

Ich blieb zum Abendeſſen, gegen meinen Vorſatz,
denn ich hatte Harſchern verſprochen, nicht ſpaͤt wieder¬
zukommen, da wir am andern Morgen fruͤh abreiſen
wollten. Die Frau war uͤberaus guͤtig, Jean Paul
ſo traulich und aufgeweckt, daß ich dem beiderſeitigen
Zureden nicht widerſtehen konnte. Bei dem artigen
und ſchon ſuͤddeutſch reichlichen Mahle herrſchte die beſte
Laune. Unter andern gab uns der Vorfall ſehr zu
lachen, daß mir Jean Paul eine Empfehlung nach
Stuttgart an einen ſeiner — wie er ſagte — herzlichſten
Freunde geben wollte, es aber unterlaſſen mußte, weil
er ſich durchaus nicht auf deſſen Namen beſinnen konnte!
Von ernſthafter Art hingegen waren die Geſpraͤche uͤber
Tieck, Friedrich und Wilhelm Schlegel, Bernhardi,
Schuͤtz, mit Einem Wort, uͤber die ſogenannte roman¬
tiſche Schule. Jean Paul hatte dieſelbe in ſeiner „Vor¬
ſchule der Aeſthetik“ gleichſam anerkannt, allein aus
bloßer Achtung fuͤr Talent und Geiſt; gegen den eigent¬
lichen Kern jenes ganzen Zuſammenhangs hegte er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0090" n="78"/>
auf die Bemerkung, ich &#x017F;ei aber doch &#x017F;chon &#x017F;o groß,<lb/>
blieb der Knabe dabei, nun ja, ich &#x017F;ei ein großes Chri&#x017F;<lb/>
kindchen, welches Wort den Vater ungemein freute, &#x017F;o<lb/>
daß es mir er&#x017F;t hiedurch auffiel. In &#x017F;olchen Ge&#x017F;pra&#x0364;chen<lb/>
und Be&#x017F;cha&#x0364;ftigungen ging ein guter Theil des Abends<lb/>
hin, ich fu&#x0364;hlte mich ganz beglu&#x0364;ckt in der Mitte die&#x017F;er<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen, reinen Familie, die &#x017F;o herzlich gegen mich war,<lb/>
und mich &#x017F;chon keine Fremdheit mehr empfinden ließ.</p><lb/>
        <p>Ich blieb zum Abende&#x017F;&#x017F;en, gegen meinen Vor&#x017F;atz,<lb/>
denn ich hatte Har&#x017F;chern ver&#x017F;prochen, nicht &#x017F;pa&#x0364;t wieder¬<lb/>
zukommen, da wir am andern Morgen fru&#x0364;h abrei&#x017F;en<lb/>
wollten. Die Frau war u&#x0364;beraus gu&#x0364;tig, Jean Paul<lb/>
&#x017F;o traulich und aufgeweckt, daß ich dem beider&#x017F;eitigen<lb/>
Zureden nicht wider&#x017F;tehen konnte. Bei dem artigen<lb/>
und &#x017F;chon &#x017F;u&#x0364;ddeut&#x017F;ch reichlichen Mahle herr&#x017F;chte die be&#x017F;te<lb/>
Laune. Unter andern gab uns der Vorfall &#x017F;ehr zu<lb/>
lachen, daß mir Jean Paul eine Empfehlung nach<lb/>
Stuttgart an einen &#x017F;einer &#x2014; wie er &#x017F;agte &#x2014; herzlich&#x017F;ten<lb/>
Freunde geben wollte, es aber unterla&#x017F;&#x017F;en mußte, weil<lb/>
er &#x017F;ich durchaus nicht auf de&#x017F;&#x017F;en Namen be&#x017F;innen konnte!<lb/>
Von ern&#x017F;thafter Art hingegen waren die Ge&#x017F;pra&#x0364;che u&#x0364;ber<lb/>
Tieck, Friedrich und Wilhelm Schlegel, Bernhardi,<lb/>
Schu&#x0364;tz, mit Einem Wort, u&#x0364;ber die &#x017F;ogenannte roman¬<lb/>
ti&#x017F;che Schule. Jean Paul hatte die&#x017F;elbe in &#x017F;einer &#x201E;Vor¬<lb/>
&#x017F;chule der Ae&#x017F;thetik&#x201C; gleich&#x017F;am anerkannt, allein aus<lb/>
bloßer Achtung fu&#x0364;r Talent und Gei&#x017F;t; gegen den eigent¬<lb/>
lichen Kern jenes ganzen Zu&#x017F;ammenhangs hegte er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0090] auf die Bemerkung, ich ſei aber doch ſchon ſo groß, blieb der Knabe dabei, nun ja, ich ſei ein großes Chriſt¬ kindchen, welches Wort den Vater ungemein freute, ſo daß es mir erſt hiedurch auffiel. In ſolchen Geſpraͤchen und Beſchaͤftigungen ging ein guter Theil des Abends hin, ich fuͤhlte mich ganz begluͤckt in der Mitte dieſer ſchoͤnen, reinen Familie, die ſo herzlich gegen mich war, und mich ſchon keine Fremdheit mehr empfinden ließ. Ich blieb zum Abendeſſen, gegen meinen Vorſatz, denn ich hatte Harſchern verſprochen, nicht ſpaͤt wieder¬ zukommen, da wir am andern Morgen fruͤh abreiſen wollten. Die Frau war uͤberaus guͤtig, Jean Paul ſo traulich und aufgeweckt, daß ich dem beiderſeitigen Zureden nicht widerſtehen konnte. Bei dem artigen und ſchon ſuͤddeutſch reichlichen Mahle herrſchte die beſte Laune. Unter andern gab uns der Vorfall ſehr zu lachen, daß mir Jean Paul eine Empfehlung nach Stuttgart an einen ſeiner — wie er ſagte — herzlichſten Freunde geben wollte, es aber unterlaſſen mußte, weil er ſich durchaus nicht auf deſſen Namen beſinnen konnte! Von ernſthafter Art hingegen waren die Geſpraͤche uͤber Tieck, Friedrich und Wilhelm Schlegel, Bernhardi, Schuͤtz, mit Einem Wort, uͤber die ſogenannte roman¬ tiſche Schule. Jean Paul hatte dieſelbe in ſeiner „Vor¬ ſchule der Aeſthetik“ gleichſam anerkannt, allein aus bloßer Achtung fuͤr Talent und Geiſt; gegen den eigent¬ lichen Kern jenes ganzen Zuſammenhangs hegte er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/90
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/90>, abgerufen am 30.04.2024.