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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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ten, die uns von einem Vergnügen zum andren und nicht zu
Athem kommen lassen, und wie kann man Unbeschreibliches
beschreiben, höchstens! höchstens erzählen! höchstens? nein gar
nicht, ganz und gar nicht. Aber, so wahr mir Gott helfen
soll, so wahr ich das Glück immer suche, kurz, so wahr ich
existire, daß ich meine alten Polypschmerzen gehabt habe, or-
dentliche Herzschmerzen -- aus wahrem, kochenden, inn-
ren
Verdruß, euch das nicht zu zeigen; euch; es allein sehen
zu müssen! Das verschmerz' ich nie; nie; nie. Also giebt's
kein Glück; wenn ich mir eins bei den Haaren her ziehe,
soll ich's noch ohne euch genießen?! ich verschmerz' es nicht.
Und, glücklich will ich nicht sein, wenn ich nicht jetzt Herz-
schmerzen habe, indem ich's mich nur erinnre, daß ich's allein
gesehen habe! Jetzt ist 8 Uhr Abends. Morgen früh reisen
wir nach Kloster Grüssau; ein sehr berühmtes, in einer wun-
derbar schönen Gegend. Wenn ich zu Hause komme, mach'
ich eine Reisebeschreibung, jetzt kann ich euch aber nichts sagen,
notiren thu' ich aber jeden Schritt, und erzähl' euch auf's
ausführlichste. Lebt wohl, meine einzigen armen Kinder!

Markus, vergiß Professor Meyer nicht. Grüß die Unzel-
mann tausend- und tausendmal; nun weiß ich, daß sie da
ist, und nicht, was sie macht!

In kurzem geh' ich in alle Gesellschaften, sehe Gegend,
Klöster, Kirchen, Städte, logire bei Privatleuten und bin wun-
derbar aufgenommen, wo ich nur den Namen des Onkels
nenne: "und ich selbst bin höflich, und sie ist hübsch." Ihr
wißt, ich prahle nicht, und finde nichts leicht hübsch; hier ist's
groß, und die Aufnahme selten. Gott schütze euch! wer weiß,

ten, die uns von einem Vergnügen zum andren und nicht zu
Athem kommen laſſen, und wie kann man Unbeſchreibliches
beſchreiben, höchſtens! höchſtens erzählen! höchſtens? nein gar
nicht, ganz und gar nicht. Aber, ſo wahr mir Gott helfen
ſoll, ſo wahr ich das Glück immer ſuche, kurz, ſo wahr ich
exiſtire, daß ich meine alten Polypſchmerzen gehabt habe, or-
dentliche Herzſchmerzen — aus wahrem, kochenden, inn-
ren
Verdruß, euch das nicht zu zeigen; euch; es allein ſehen
zu müſſen! Das verſchmerz’ ich nie; nie; nie. Alſo giebt’s
kein Glück; wenn ich mir eins bei den Haaren her ziehe,
ſoll ich’s noch ohne euch genießen?! ich verſchmerz’ es nicht.
Und, glücklich will ich nicht ſein, wenn ich nicht jetzt Herz-
ſchmerzen habe, indem ich’s mich nur erinnre, daß ich’s allein
geſehen habe! Jetzt iſt 8 Uhr Abends. Morgen früh reiſen
wir nach Kloſter Grüſſau; ein ſehr berühmtes, in einer wun-
derbar ſchönen Gegend. Wenn ich zu Hauſe komme, mach’
ich eine Reiſebeſchreibung, jetzt kann ich euch aber nichts ſagen,
notiren thu’ ich aber jeden Schritt, und erzähl’ euch auf’s
ausführlichſte. Lebt wohl, meine einzigen armen Kinder!

Markus, vergiß Profeſſor Meyer nicht. Grüß die Unzel-
mann tauſend- und tauſendmal; nun weiß ich, daß ſie da
iſt, und nicht, was ſie macht!

In kurzem geh’ ich in alle Geſellſchaften, ſehe Gegend,
Klöſter, Kirchen, Städte, logire bei Privatleuten und bin wun-
derbar aufgenommen, wo ich nur den Namen des Onkels
nenne: „und ich ſelbſt bin höflich, und ſie iſt hübſch.“ Ihr
wißt, ich prahle nicht, und finde nichts leicht hübſch; hier iſt’s
groß, und die Aufnahme ſelten. Gott ſchütze euch! wer weiß,

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[92/0106] ten, die uns von einem Vergnügen zum andren und nicht zu Athem kommen laſſen, und wie kann man Unbeſchreibliches beſchreiben, höchſtens! höchſtens erzählen! höchſtens? nein gar nicht, ganz und gar nicht. Aber, ſo wahr mir Gott helfen ſoll, ſo wahr ich das Glück immer ſuche, kurz, ſo wahr ich exiſtire, daß ich meine alten Polypſchmerzen gehabt habe, or- dentliche Herzſchmerzen — aus wahrem, kochenden, inn- ren Verdruß, euch das nicht zu zeigen; euch; es allein ſehen zu müſſen! Das verſchmerz’ ich nie; nie; nie. Alſo giebt’s kein Glück; wenn ich mir eins bei den Haaren her ziehe, ſoll ich’s noch ohne euch genießen?! ich verſchmerz’ es nicht. Und, glücklich will ich nicht ſein, wenn ich nicht jetzt Herz- ſchmerzen habe, indem ich’s mich nur erinnre, daß ich’s allein geſehen habe! Jetzt iſt 8 Uhr Abends. Morgen früh reiſen wir nach Kloſter Grüſſau; ein ſehr berühmtes, in einer wun- derbar ſchönen Gegend. Wenn ich zu Hauſe komme, mach’ ich eine Reiſebeſchreibung, jetzt kann ich euch aber nichts ſagen, notiren thu’ ich aber jeden Schritt, und erzähl’ euch auf’s ausführlichſte. Lebt wohl, meine einzigen armen Kinder! Markus, vergiß Profeſſor Meyer nicht. Grüß die Unzel- mann tauſend- und tauſendmal; nun weiß ich, daß ſie da iſt, und nicht, was ſie macht! In kurzem geh’ ich in alle Geſellſchaften, ſehe Gegend, Klöſter, Kirchen, Städte, logire bei Privatleuten und bin wun- derbar aufgenommen, wo ich nur den Namen des Onkels nenne: „und ich ſelbſt bin höflich, und ſie iſt hübſch.“ Ihr wißt, ich prahle nicht, und finde nichts leicht hübſch; hier iſt’s groß, und die Aufnahme ſelten. Gott ſchütze euch! wer weiß,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/106>, abgerufen am 26.04.2024.