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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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ein Nest gelehrter Wespen stechen," das leiden jetzt die Wes-
pen eher, als mit falschen Fußtritten in alten Bahnen die
Kreuz und Quer spaziren zu gehn, und andern Leuten weis
machen zu wollen, man hätte die Bahn neu gemacht. Nicht
daß Schiller das wollte, das will Schiller gewiß nicht; warum
ist er aber nicht deutlich, und fängt da an, wo Lessing
aufgehört hat, und nimmt es dann ganz anders und wie er
will, und neu, und wie man's jetzt nehmen muß; was schwankt
er herum, und setzt nichts fest. Er hat freilich definirt was
die Dichtkunst ist, aber doch nur Eine Art, und man ist doch
in vielen andern noch immer Dichter. Er sagt einmal, ich
weiß es wohl, man könnte wohl Gemählde vorstellen, aber
man müßte dann auch zeigen, daß man es als das, was man
Mensch nennt, thut, der das Gemählde nur immer als ein
Stück seiner Situation betrachtet, und als Mittel gebraucht,
seine Empfindungen damit zu äußern, und dem Gemählde
selbst durch die Art der Zusammenstellung seine eigene Physio-
nomie aufdrückt -- Sie haben die Rezension gelesen, und
werden mich schon verstehn: Sie sehen, ich habe nur den
Sinn behalten, und auch ist das mehr mein alter eigner; es
wäre Jammerschade, wenn ich nicht besser dächte, als ich mich
ausdrücke --, thäte man das nicht, so wäre man ein mecha-
nischer Kopist, oder Erzähler; nun ja, das dünkt mich ist alt
genug; aber auch bloß Erzählen ist manchmal dichterisch, und
bloß Kopiren das dichterischeste in einem Werk; zu rechter
Zeit nur das zu thun ist groß, und fordert eben so tiefe
Menschenkenntniß, als Empfindungen und Ideen in die Be-
schreibung einer Landschaft zu bringen. Sehen Sie, so giebt's

ein Neſt gelehrter Weſpen ſtechen,“ das leiden jetzt die Weſ-
pen eher, als mit falſchen Fußtritten in alten Bahnen die
Kreuz und Quer ſpaziren zu gehn, und andern Leuten weis
machen zu wollen, man hätte die Bahn neu gemacht. Nicht
daß Schiller das wollte, das will Schiller gewiß nicht; warum
iſt er aber nicht deutlich, und fängt da an, wo Leſſing
aufgehört hat, und nimmt es dann ganz anders und wie er
will, und neu, und wie man’s jetzt nehmen muß; was ſchwankt
er herum, und ſetzt nichts feſt. Er hat freilich definirt was
die Dichtkunſt iſt, aber doch nur Eine Art, und man iſt doch
in vielen andern noch immer Dichter. Er ſagt einmal, ich
weiß es wohl, man könnte wohl Gemählde vorſtellen, aber
man müßte dann auch zeigen, daß man es als das, was man
Menſch nennt, thut, der das Gemählde nur immer als ein
Stück ſeiner Situation betrachtet, und als Mittel gebraucht,
ſeine Empfindungen damit zu äußern, und dem Gemählde
ſelbſt durch die Art der Zuſammenſtellung ſeine eigene Phyſio-
nomie aufdrückt — Sie haben die Rezenſion geleſen, und
werden mich ſchon verſtehn: Sie ſehen, ich habe nur den
Sinn behalten, und auch iſt das mehr mein alter eigner; es
wäre Jammerſchade, wenn ich nicht beſſer dächte, als ich mich
ausdrücke —, thäte man das nicht, ſo wäre man ein mecha-
niſcher Kopiſt, oder Erzähler; nun ja, das dünkt mich iſt alt
genug; aber auch bloß Erzählen iſt manchmal dichteriſch, und
bloß Kopiren das dichteriſcheſte in einem Werk; zu rechter
Zeit nur das zu thun iſt groß, und fordert eben ſo tiefe
Menſchenkenntniß, als Empfindungen und Ideen in die Be-
ſchreibung einer Landſchaft zu bringen. Sehen Sie, ſo giebt’s

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[102/0116] ein Neſt gelehrter Weſpen ſtechen,“ das leiden jetzt die Weſ- pen eher, als mit falſchen Fußtritten in alten Bahnen die Kreuz und Quer ſpaziren zu gehn, und andern Leuten weis machen zu wollen, man hätte die Bahn neu gemacht. Nicht daß Schiller das wollte, das will Schiller gewiß nicht; warum iſt er aber nicht deutlich, und fängt da an, wo Leſſing aufgehört hat, und nimmt es dann ganz anders und wie er will, und neu, und wie man’s jetzt nehmen muß; was ſchwankt er herum, und ſetzt nichts feſt. Er hat freilich definirt was die Dichtkunſt iſt, aber doch nur Eine Art, und man iſt doch in vielen andern noch immer Dichter. Er ſagt einmal, ich weiß es wohl, man könnte wohl Gemählde vorſtellen, aber man müßte dann auch zeigen, daß man es als das, was man Menſch nennt, thut, der das Gemählde nur immer als ein Stück ſeiner Situation betrachtet, und als Mittel gebraucht, ſeine Empfindungen damit zu äußern, und dem Gemählde ſelbſt durch die Art der Zuſammenſtellung ſeine eigene Phyſio- nomie aufdrückt — Sie haben die Rezenſion geleſen, und werden mich ſchon verſtehn: Sie ſehen, ich habe nur den Sinn behalten, und auch iſt das mehr mein alter eigner; es wäre Jammerſchade, wenn ich nicht beſſer dächte, als ich mich ausdrücke —, thäte man das nicht, ſo wäre man ein mecha- niſcher Kopiſt, oder Erzähler; nun ja, das dünkt mich iſt alt genug; aber auch bloß Erzählen iſt manchmal dichteriſch, und bloß Kopiren das dichteriſcheſte in einem Werk; zu rechter Zeit nur das zu thun iſt groß, und fordert eben ſo tiefe Menſchenkenntniß, als Empfindungen und Ideen in die Be- ſchreibung einer Landſchaft zu bringen. Sehen Sie, ſo giebt’s

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/116>, abgerufen am 04.05.2024.