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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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res gemacht haben, thut mir leid; er wird's verstehen. Wenn
Sie etwa meiner Meinung sind, so thun Sie mir den Ge-
fallen und sagen es ihm selbst; wenn Sie sich auch par hazard
aus Ihrer poetischen Ehre nichts machen. Ich bitte mir auch
ein Wort über diese Meinung von Ihnen aus. Diesen La-
trobe habe ich gesehen. Im Theater. Er geht ohne Puder,
und ist kurzsichtig; sieht melancholisch aus; und trug einen
braunen Rock. Obgleich ich mich seiner Züge schlechterdings
nicht mehr erinnern kann, so weiß ich das noch. Ich hörte
von ihm, durch Jettchen glaub' ich, die durch Zelter; bei
Fasch auf der Akademie war er auch. Man sprach als in-
teressant von ihm; weil sie aber nie wissen, was hübsch und
interessant ist, so war ich schon dickhäutig, und gab gar nicht
Acht auf ihn, und wo sollt' ich ihn auch sehen? ich kannt' ihn
nicht. Geschehen ist geschehen, darüber denk' ich immer wie
ein großer Mann; das heißt, ich bekümmre mich um meinen
Verdruß nicht. Er muß kein Barbar sein, denn Apoll will
ihm wohl, und er wußte sich ihn günstig zu machen; er muß
ein vorzüglicher, gebildeter Engländer sein, weil er (die Schwä-
chen kann man wohl nicht gut sagen) die Stärken seiner
Nation einsieht; er muß ein Mensch sein, weil ihn Goethe
liebt. Meine Etcetera's können Sie sich nun schon denken.

Bis zu der vierten Hore glaubte ich, und glaubte auch
zu finden, daß Goethe die Unterhaltungen schriebe. Diese
letzte Advokatengeschichte hat mich aber dekontenancirt, daß
ich in mir diesen Glauben schlechterdings ausstrich. Sollen
die ganzen Unterhaltungen etwas Ganzes sein, nun so muß
ich mir diese Geschichte als die Rede eines Duinmen in einem

res gemacht haben, thut mir leid; er wird’s verſtehen. Wenn
Sie etwa meiner Meinung ſind, ſo thun Sie mir den Ge-
fallen und ſagen es ihm ſelbſt; wenn Sie ſich auch par hazard
aus Ihrer poetiſchen Ehre nichts machen. Ich bitte mir auch
ein Wort über dieſe Meinung von Ihnen aus. Dieſen La-
trobe habe ich geſehen. Im Theater. Er geht ohne Puder,
und iſt kurzſichtig; ſieht melancholiſch aus; und trug einen
braunen Rock. Obgleich ich mich ſeiner Züge ſchlechterdings
nicht mehr erinnern kann, ſo weiß ich das noch. Ich hörte
von ihm, durch Jettchen glaub’ ich, die durch Zelter; bei
Faſch auf der Akademie war er auch. Man ſprach als in-
tereſſant von ihm; weil ſie aber nie wiſſen, was hübſch und
intereſſant iſt, ſo war ich ſchon dickhäutig, und gab gar nicht
Acht auf ihn, und wo ſollt’ ich ihn auch ſehen? ich kannt’ ihn
nicht. Geſchehen iſt geſchehen, darüber denk’ ich immer wie
ein großer Mann; das heißt, ich bekümmre mich um meinen
Verdruß nicht. Er muß kein Barbar ſein, denn Apoll will
ihm wohl, und er wußte ſich ihn günſtig zu machen; er muß
ein vorzüglicher, gebildeter Engländer ſein, weil er (die Schwä-
chen kann man wohl nicht gut ſagen) die Stärken ſeiner
Nation einſieht; er muß ein Menſch ſein, weil ihn Goethe
liebt. Meine Etcetera’s können Sie ſich nun ſchon denken.

Bis zu der vierten Hore glaubte ich, und glaubte auch
zu finden, daß Goethe die Unterhaltungen ſchriebe. Dieſe
letzte Advokatengeſchichte hat mich aber dekontenancirt, daß
ich in mir dieſen Glauben ſchlechterdings ausſtrich. Sollen
die ganzen Unterhaltungen etwas Ganzes ſein, nun ſo muß
ich mir dieſe Geſchichte als die Rede eines Duinmen in einem

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[138/0152] res gemacht haben, thut mir leid; er wird’s verſtehen. Wenn Sie etwa meiner Meinung ſind, ſo thun Sie mir den Ge- fallen und ſagen es ihm ſelbſt; wenn Sie ſich auch par hazard aus Ihrer poetiſchen Ehre nichts machen. Ich bitte mir auch ein Wort über dieſe Meinung von Ihnen aus. Dieſen La- trobe habe ich geſehen. Im Theater. Er geht ohne Puder, und iſt kurzſichtig; ſieht melancholiſch aus; und trug einen braunen Rock. Obgleich ich mich ſeiner Züge ſchlechterdings nicht mehr erinnern kann, ſo weiß ich das noch. Ich hörte von ihm, durch Jettchen glaub’ ich, die durch Zelter; bei Faſch auf der Akademie war er auch. Man ſprach als in- tereſſant von ihm; weil ſie aber nie wiſſen, was hübſch und intereſſant iſt, ſo war ich ſchon dickhäutig, und gab gar nicht Acht auf ihn, und wo ſollt’ ich ihn auch ſehen? ich kannt’ ihn nicht. Geſchehen iſt geſchehen, darüber denk’ ich immer wie ein großer Mann; das heißt, ich bekümmre mich um meinen Verdruß nicht. Er muß kein Barbar ſein, denn Apoll will ihm wohl, und er wußte ſich ihn günſtig zu machen; er muß ein vorzüglicher, gebildeter Engländer ſein, weil er (die Schwä- chen kann man wohl nicht gut ſagen) die Stärken ſeiner Nation einſieht; er muß ein Menſch ſein, weil ihn Goethe liebt. Meine Etcetera’s können Sie ſich nun ſchon denken. Bis zu der vierten Hore glaubte ich, und glaubte auch zu finden, daß Goethe die Unterhaltungen ſchriebe. Dieſe letzte Advokatengeſchichte hat mich aber dekontenancirt, daß ich in mir dieſen Glauben ſchlechterdings ausſtrich. Sollen die ganzen Unterhaltungen etwas Ganzes ſein, nun ſo muß ich mir dieſe Geſchichte als die Rede eines Duinmen in einem

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/152>, abgerufen am 26.04.2024.