Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wie von Eisen eingegossen, so daß auch der Stärkste gleich
fühlte, an dem von ihr Ausgesprochenen nicht so leicht etwas
umbiegen oder abbrechen zu können. Eine wohlthätige Wärme
menschlicher Güte und Theilnahme ließ hinwieder auch den
Geringsten gern an dieser Gegenwart sich erfreuen. Doch
kam dies alles nur wie schnelle Sonnenblicke hervor, zum völ-
ligen Entfalten und Verweilen war diesmal kein Raum.
Kleine Neckereien mit Graf Lippe, der kürzlich bei ihr nicht
war angenommen worden, und deßhalb böse thun wollte, er-
schöpften sich bald; der ganze Besuch war überhaupt nur kurz-
und ich wüßte mich eigentlich keines bestimmten Wortes zu
erinnern, in welchem etwas ausgeprägt Geistreiches, Paradoxes
oder Schlagendes sich zur Bewahrung dargeboten hätte, aber
die unwiderstehliche Einwirkung des ganzen Wesens empfand
ich tief, und blieb davon so erfüllt, daß ich nach der baldigen
Entfernung des merkwürdigen Besuchs einzig von ihm reden
und ihm nachsinnen mußte, Man scherzte darüber, und weil
der Scherz fast verdrießlich wurde, so trotzt' ich ihm desto eif-
riger durch Niederschreiben eines Gedichts, das den empfange-
nen Eindruck begeistert schildern wollte, und das ich die Drei-
stigkeit hatte, eben weil man sie mir bezweifelte, am andern
Tage vrrsiegelt abzuschicken, ohne daß ich weiterhin etwas
von der Sache gehört, oder ihr nachgefragt hätte, Rahel
Levin selbst wiederzusehen, war mir darauf Jahre lang nicht
beschieden. Ihr Namen aber blieb mir als ein ungeschwäch-
ter Zauber in der Seele, nur ahndete ich auf keine Weise,
daß mit jenem frühen Begegnen und jenen vorlauten Zeilen
ein erster Ring gefügt worden, an welchem viele folgende sich

wie von Eiſen eingegoſſen, ſo daß auch der Stärkſte gleich
fühlte, an dem von ihr Ausgeſprochenen nicht ſo leicht etwas
umbiegen oder abbrechen zu können. Eine wohlthätige Wärme
menſchlicher Güte und Theilnahme ließ hinwieder auch den
Geringſten gern an dieſer Gegenwart ſich erfreuen. Doch
kam dies alles nur wie ſchnelle Sonnenblicke hervor, zum völ-
ligen Entfalten und Verweilen war diesmal kein Raum.
Kleine Neckereien mit Graf Lippe, der kürzlich bei ihr nicht
war angenommen worden, und deßhalb böſe thun wollte, er-
ſchöpften ſich bald; der ganze Beſuch war überhaupt nur kurz-
und ich wüßte mich eigentlich keines beſtimmten Wortes zu
erinnern, in welchem etwas ausgeprägt Geiſtreiches, Paradoxes
oder Schlagendes ſich zur Bewahrung dargeboten hätte, aber
die unwiderſtehliche Einwirkung des ganzen Weſens empfand
ich tief, und blieb davon ſo erfüllt, daß ich nach der baldigen
Entfernung des merkwürdigen Beſuchs einzig von ihm reden
und ihm nachſinnen mußte, Man ſcherzte darüber, und weil
der Scherz faſt verdrießlich wurde, ſo trotzt’ ich ihm deſto eif-
riger durch Niederſchreiben eines Gedichts, das den empfange-
nen Eindruck begeiſtert ſchildern wollte, und das ich die Drei-
ſtigkeit hatte, eben weil man ſie mir bezweifelte, am andern
Tage vrrſiegelt abzuſchicken, ohne daß ich weiterhin etwas
von der Sache gehört, oder ihr nachgefragt hätte, Rahel
Levin ſelbſt wiederzuſehen, war mir darauf Jahre lang nicht
beſchieden. Ihr Namen aber blieb mir als ein ungeſchwäch-
ter Zauber in der Seele, nur ahndete ich auf keine Weiſe,
daß mit jenem frühen Begegnen und jenen vorlauten Zeilen
ein erſter Ring gefügt worden, an welchem viele folgende ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0020" n="6"/>
wie von Ei&#x017F;en eingego&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o daß auch der Stärk&#x017F;te gleich<lb/>
fühlte, an dem von ihr Ausge&#x017F;prochenen nicht &#x017F;o leicht etwas<lb/>
umbiegen oder abbrechen zu können. Eine wohlthätige Wärme<lb/>
men&#x017F;chlicher Güte und Theilnahme ließ hinwieder auch den<lb/>
Gering&#x017F;ten gern an die&#x017F;er Gegenwart &#x017F;ich erfreuen. Doch<lb/>
kam dies alles nur wie &#x017F;chnelle Sonnenblicke hervor, zum völ-<lb/>
ligen Entfalten und Verweilen war diesmal kein Raum.<lb/>
Kleine Neckereien mit Graf Lippe, der kürzlich bei ihr nicht<lb/>
war angenommen worden, und deßhalb bö&#x017F;e thun wollte, er-<lb/>
&#x017F;chöpften &#x017F;ich bald; der ganze Be&#x017F;uch war überhaupt nur kurz-<lb/>
und ich wüßte mich eigentlich keines be&#x017F;timmten Wortes zu<lb/>
erinnern, in welchem etwas ausgeprägt Gei&#x017F;treiches, Paradoxes<lb/>
oder Schlagendes &#x017F;ich zur Bewahrung dargeboten hätte, aber<lb/>
die unwider&#x017F;tehliche Einwirkung des ganzen We&#x017F;ens empfand<lb/>
ich tief, und blieb davon &#x017F;o erfüllt, daß ich nach der baldigen<lb/>
Entfernung des merkwürdigen Be&#x017F;uchs einzig von ihm reden<lb/>
und ihm nach&#x017F;innen mußte, Man &#x017F;cherzte darüber, und weil<lb/>
der Scherz fa&#x017F;t verdrießlich wurde, &#x017F;o trotzt&#x2019; ich ihm de&#x017F;to eif-<lb/>
riger durch Nieder&#x017F;chreiben eines Gedichts, das den empfange-<lb/>
nen Eindruck begei&#x017F;tert &#x017F;childern wollte, und das ich die Drei-<lb/>
&#x017F;tigkeit hatte, eben weil man &#x017F;ie mir bezweifelte, am andern<lb/>
Tage vrr&#x017F;iegelt abzu&#x017F;chicken, ohne daß ich weiterhin etwas<lb/>
von der Sache gehört, oder ihr nachgefragt hätte, Rahel<lb/>
Levin &#x017F;elb&#x017F;t wiederzu&#x017F;ehen, war mir darauf Jahre lang nicht<lb/>
be&#x017F;chieden. Ihr Namen aber blieb mir als ein unge&#x017F;chwäch-<lb/>
ter Zauber in der Seele, nur ahndete ich auf keine Wei&#x017F;e,<lb/>
daß mit jenem frühen Begegnen und jenen vorlauten Zeilen<lb/>
ein er&#x017F;ter Ring gefügt worden, an welchem viele folgende &#x017F;ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0020] wie von Eiſen eingegoſſen, ſo daß auch der Stärkſte gleich fühlte, an dem von ihr Ausgeſprochenen nicht ſo leicht etwas umbiegen oder abbrechen zu können. Eine wohlthätige Wärme menſchlicher Güte und Theilnahme ließ hinwieder auch den Geringſten gern an dieſer Gegenwart ſich erfreuen. Doch kam dies alles nur wie ſchnelle Sonnenblicke hervor, zum völ- ligen Entfalten und Verweilen war diesmal kein Raum. Kleine Neckereien mit Graf Lippe, der kürzlich bei ihr nicht war angenommen worden, und deßhalb böſe thun wollte, er- ſchöpften ſich bald; der ganze Beſuch war überhaupt nur kurz- und ich wüßte mich eigentlich keines beſtimmten Wortes zu erinnern, in welchem etwas ausgeprägt Geiſtreiches, Paradoxes oder Schlagendes ſich zur Bewahrung dargeboten hätte, aber die unwiderſtehliche Einwirkung des ganzen Weſens empfand ich tief, und blieb davon ſo erfüllt, daß ich nach der baldigen Entfernung des merkwürdigen Beſuchs einzig von ihm reden und ihm nachſinnen mußte, Man ſcherzte darüber, und weil der Scherz faſt verdrießlich wurde, ſo trotzt’ ich ihm deſto eif- riger durch Niederſchreiben eines Gedichts, das den empfange- nen Eindruck begeiſtert ſchildern wollte, und das ich die Drei- ſtigkeit hatte, eben weil man ſie mir bezweifelte, am andern Tage vrrſiegelt abzuſchicken, ohne daß ich weiterhin etwas von der Sache gehört, oder ihr nachgefragt hätte, Rahel Levin ſelbſt wiederzuſehen, war mir darauf Jahre lang nicht beſchieden. Ihr Namen aber blieb mir als ein ungeſchwäch- ter Zauber in der Seele, nur ahndete ich auf keine Weiſe, daß mit jenem frühen Begegnen und jenen vorlauten Zeilen ein erſter Ring gefügt worden, an welchem viele folgende ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/20
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/20>, abgerufen am 26.04.2024.