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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Sie sind beide unbedingt die größten Narren, die ich kenne!
Mir aber doch bemerkenswürdig; weil die erstere sogar eine
Anlage, wenn man so sagen dürfte, zur edlen Seele hat; von
überekelhafter Süßigkeit gegen sich selbst aber, in schlaffer,
nicht derber Gemeinheit aufgelöst; kurz, eine offenbare När-
rin, so daß man sich ihrer schämen muß, und nur als ein
Gesellschaftsheld ihre bessern Eigenschaften nennen kann, in
förmlicher Verhandlung, und von den Dümmsten und Klüg-
sten bestritten. Doktor Böhm hatte Anlagen zum Verstand;
bei ihm geht aber die Vertheidigung seiner Behaglichkeit bis
zur gewaltsamsten Härte; womit er die Verkehrtheit verbin-
det, sich auf Ehrlichkeit so viel einzubilden, daß der größte
Sänger z. B. mit diesem Maß von Einbildung auf sein
Talent ein unerträglicher Narr wäre. Er sieht in der ganzen
menschlichen Gesellschaft nichts -- als sich selbst auf einem
Thron von Arzneien, und die übrigen Sterblichen im Staub!
Der ist ordentlich blind. Noch ist es sonderbar, daß beide
aus einer und derselben gebildeten Stadt Deutschlands sind,
dort unter sehr günstig scheinenden Umständen erzogen wur-
den, und Gelegenheit hatten, Europa kennen zu lernen. Sie
sind Eines Alters, und haben dieselben Gesellschaften gesehn;
sie verachten sich einander sehr. --

Dann kommt Major von Gu., der mit Gewalt eitel
war, aus dem klarsten Bewußtsein; der den Moment der
Negation für sich nicht ertragen wollte; der es sich deutlich
gesagt hatte; der alle Menschen, und sich selbst an der Spitze,
zur Huldigung zwang; der überall der merkwürdigste war.
Von dem ich oft gedacht habe, und sagen muß, er war eines

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Sie ſind beide unbedingt die größten Narren, die ich kenne!
Mir aber doch bemerkenswürdig; weil die erſtere ſogar eine
Anlage, wenn man ſo ſagen dürfte, zur edlen Seele hat; von
überekelhafter Süßigkeit gegen ſich ſelbſt aber, in ſchlaffer,
nicht derber Gemeinheit aufgelöſt; kurz, eine offenbare När-
rin, ſo daß man ſich ihrer ſchämen muß, und nur als ein
Geſellſchaftsheld ihre beſſern Eigenſchaften nennen kann, in
förmlicher Verhandlung, und von den Dümmſten und Klüg-
ſten beſtritten. Doktor Böhm hatte Anlagen zum Verſtand;
bei ihm geht aber die Vertheidigung ſeiner Behaglichkeit bis
zur gewaltſamſten Härte; womit er die Verkehrtheit verbin-
det, ſich auf Ehrlichkeit ſo viel einzubilden, daß der größte
Sänger z. B. mit dieſem Maß von Einbildung auf ſein
Talent ein unerträglicher Narr wäre. Er ſieht in der ganzen
menſchlichen Geſellſchaft nichts — als ſich ſelbſt auf einem
Thron von Arzneien, und die übrigen Sterblichen im Staub!
Der iſt ordentlich blind. Noch iſt es ſonderbar, daß beide
aus einer und derſelben gebildeten Stadt Deutſchlands ſind,
dort unter ſehr günſtig ſcheinenden Umſtänden erzogen wur-
den, und Gelegenheit hatten, Europa kennen zu lernen. Sie
ſind Eines Alters, und haben dieſelben Geſellſchaften geſehn;
ſie verachten ſich einander ſehr. —

Dann kommt Major von Gu., der mit Gewalt eitel
war, aus dem klarſten Bewußtſein; der den Moment der
Negation für ſich nicht ertragen wollte; der es ſich deutlich
geſagt hatte; der alle Menſchen, und ſich ſelbſt an der Spitze,
zur Huldigung zwang; der überall der merkwürdigſte war.
Von dem ich oft gedacht habe, und ſagen muß, er war eines

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[275/0289] Sie ſind beide unbedingt die größten Narren, die ich kenne! Mir aber doch bemerkenswürdig; weil die erſtere ſogar eine Anlage, wenn man ſo ſagen dürfte, zur edlen Seele hat; von überekelhafter Süßigkeit gegen ſich ſelbſt aber, in ſchlaffer, nicht derber Gemeinheit aufgelöſt; kurz, eine offenbare När- rin, ſo daß man ſich ihrer ſchämen muß, und nur als ein Geſellſchaftsheld ihre beſſern Eigenſchaften nennen kann, in förmlicher Verhandlung, und von den Dümmſten und Klüg- ſten beſtritten. Doktor Böhm hatte Anlagen zum Verſtand; bei ihm geht aber die Vertheidigung ſeiner Behaglichkeit bis zur gewaltſamſten Härte; womit er die Verkehrtheit verbin- det, ſich auf Ehrlichkeit ſo viel einzubilden, daß der größte Sänger z. B. mit dieſem Maß von Einbildung auf ſein Talent ein unerträglicher Narr wäre. Er ſieht in der ganzen menſchlichen Geſellſchaft nichts — als ſich ſelbſt auf einem Thron von Arzneien, und die übrigen Sterblichen im Staub! Der iſt ordentlich blind. Noch iſt es ſonderbar, daß beide aus einer und derſelben gebildeten Stadt Deutſchlands ſind, dort unter ſehr günſtig ſcheinenden Umſtänden erzogen wur- den, und Gelegenheit hatten, Europa kennen zu lernen. Sie ſind Eines Alters, und haben dieſelben Geſellſchaften geſehn; ſie verachten ſich einander ſehr. — Dann kommt Major von Gu., der mit Gewalt eitel war, aus dem klarſten Bewußtſein; der den Moment der Negation für ſich nicht ertragen wollte; der es ſich deutlich geſagt hatte; der alle Menſchen, und ſich ſelbſt an der Spitze, zur Huldigung zwang; der überall der merkwürdigſte war. Von dem ich oft gedacht habe, und ſagen muß, er war eines 18 *

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/289>, abgerufen am 26.04.2024.