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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Mißverhältniß störe sie nur vielfacher, inniger, und verletze
nur reichere Harmonien! Man habe nur so viel äußere Welt,
als man im Stande sei mit seiner -- ihrer! -- innern auf-
zufassen, und die Welten ließen sich in diesem Sinne nicht
trennen. Und ihre Behauptung führe zu der, daß man sie
mit ihrer innern Welt in einen Kerker setzen könnte, und sie
müßte sich die äußere denken; wenn sie mir die Art zugäbe,
so könnten die Grade hier nichts thun. Der wäre aber toll,
der sich, ohne von Realität unterstützt, etwas einbilden könnte,
ohne zu wissen, daß es Einbildung ist. Und dies Talent ginge
mir wirklich ab. Ich bewies aber Anderes! Oberflächlicheres;
bloß in's Einzelne getriebene, mit realen Namen bezeichnete
Folgerungen dieses Grundgedankens. Ich behielt etwas Recht;
sie stellten sich weise; und ich blieb als heftig und aufgereizt,
und als ein unzubefriedigendes Herz stehen! Dies verdroß
mich: mit einem erfüllten Herzenswunsch ging ich ja gestillt
auf den höchsten Berg für mein Leben! Obschon unbefriedigt
und verzweifelt über die Menscheneinrichtungen. Ich zeigte
und äußerte mich auch so, als wäre der höchste Platz mir der
liebste: weil auch auf diesen gespannten Anspruch mir nichts
Einmal zu entgegnen war: ich schwang mich auf die Hyper-
bel, um mich gar nicht mehr erreichen zu lassen. Sie blieben
weise und gemäßigt: er, der ganz gegen seine Einsicht nach
niedren Leidenschaften gewaltthätig gehandelt hat; sich in
faule Verhältnisse köpflings eingegraben hat: Jahre lang selbst
schon darüber in Verzweiflung, in lauter, war: und nun wie-
der stolz drauf ist; weil er zu matt ist, es zu ändern oder
schmerzlich leiden zu wollen! der, was bürgerliche Rechte, und

Mißverhältniß ſtöre ſie nur vielfacher, inniger, und verletze
nur reichere Harmonien! Man habe nur ſo viel äußere Welt,
als man im Stande ſei mit ſeiner — ihrer! — innern auf-
zufaſſen, und die Welten ließen ſich in dieſem Sinne nicht
trennen. Und ihre Behauptung führe zu der, daß man ſie
mit ihrer innern Welt in einen Kerker ſetzen könnte, und ſie
müßte ſich die äußere denken; wenn ſie mir die Art zugäbe,
ſo könnten die Grade hier nichts thun. Der wäre aber toll,
der ſich, ohne von Realität unterſtützt, etwas einbilden könnte,
ohne zu wiſſen, daß es Einbildung iſt. Und dies Talent ginge
mir wirklich ab. Ich bewies aber Anderes! Oberflächlicheres;
bloß in’s Einzelne getriebene, mit realen Namen bezeichnete
Folgerungen dieſes Grundgedankens. Ich behielt etwas Recht;
ſie ſtellten ſich weiſe; und ich blieb als heftig und aufgereizt,
und als ein unzubefriedigendes Herz ſtehen! Dies verdroß
mich: mit einem erfüllten Herzenswunſch ging ich ja geſtillt
auf den höchſten Berg für mein Leben! Obſchon unbefriedigt
und verzweifelt über die Menſcheneinrichtungen. Ich zeigte
und äußerte mich auch ſo, als wäre der höchſte Platz mir der
liebſte: weil auch auf dieſen geſpannten Anſpruch mir nichts
Einmal zu entgegnen war: ich ſchwang mich auf die Hyper-
bel, um mich gar nicht mehr erreichen zu laſſen. Sie blieben
weiſe und gemäßigt: er, der ganz gegen ſeine Einſicht nach
niedren Leidenſchaften gewaltthätig gehandelt hat; ſich in
faule Verhältniſſe köpflings eingegraben hat: Jahre lang ſelbſt
ſchon darüber in Verzweiflung, in lauter, war: und nun wie-
der ſtolz drauf iſt; weil er zu matt iſt, es zu ändern oder
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[409/0423] Mißverhältniß ſtöre ſie nur vielfacher, inniger, und verletze nur reichere Harmonien! Man habe nur ſo viel äußere Welt, als man im Stande ſei mit ſeiner — ihrer! — innern auf- zufaſſen, und die Welten ließen ſich in dieſem Sinne nicht trennen. Und ihre Behauptung führe zu der, daß man ſie mit ihrer innern Welt in einen Kerker ſetzen könnte, und ſie müßte ſich die äußere denken; wenn ſie mir die Art zugäbe, ſo könnten die Grade hier nichts thun. Der wäre aber toll, der ſich, ohne von Realität unterſtützt, etwas einbilden könnte, ohne zu wiſſen, daß es Einbildung iſt. Und dies Talent ginge mir wirklich ab. Ich bewies aber Anderes! Oberflächlicheres; bloß in’s Einzelne getriebene, mit realen Namen bezeichnete Folgerungen dieſes Grundgedankens. Ich behielt etwas Recht; ſie ſtellten ſich weiſe; und ich blieb als heftig und aufgereizt, und als ein unzubefriedigendes Herz ſtehen! Dies verdroß mich: mit einem erfüllten Herzenswunſch ging ich ja geſtillt auf den höchſten Berg für mein Leben! Obſchon unbefriedigt und verzweifelt über die Menſcheneinrichtungen. Ich zeigte und äußerte mich auch ſo, als wäre der höchſte Platz mir der liebſte: weil auch auf dieſen geſpannten Anſpruch mir nichts Einmal zu entgegnen war: ich ſchwang mich auf die Hyper- bel, um mich gar nicht mehr erreichen zu laſſen. Sie blieben weiſe und gemäßigt: er, der ganz gegen ſeine Einſicht nach niedren Leidenſchaften gewaltthätig gehandelt hat; ſich in faule Verhältniſſe köpflings eingegraben hat: Jahre lang ſelbſt ſchon darüber in Verzweiflung, in lauter, war: und nun wie- der ſtolz drauf iſt; weil er zu matt iſt, es zu ändern oder ſchmerzlich leiden zu wollen! der, was bürgerliche Rechte, und

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/423>, abgerufen am 29.04.2024.