ten, deren ihr leicht und tief erregtes Gemüth oft von Andern ungeahndete oder doch unbegriffene zu tragen hatte, der ihr lange verhehlte, aber endlich eröffnete Trauerfall, daß in der Ferne der geliebte Bruder, und nach kurzer Frist auch dessen Gattin, unerwartet durch Krankheit dahingerafft worden, die Zerstörung so manches Wunsches und Trostes: dies alles ver- eint, war ein zu gewaltsamer Angriff, dem sie nicht meht verhältnißmäßigen Widerstand entgegenzustellen hatte.
Der Winter brachte, wie gewöhnlich, manche Verschlim- merung, und beschränkte mehr und mehr die Thätigkeit und den Antheil, den sie, mehr noch für Andre als für sich selbst, an den Darbietungen des Tages zu nehmen pflegte. Selte- ner fuhr sie aus, in das Theater gar nicht mehr, zu Besuchen nur bei besonderein Anlaß und als kurze Erscheinung, die letztenmale, am 20. und 21. Januar, in den Thiergarten, um Luft und Sonne zu genießen. Gar oft mußte sie auch der gewohnten Geselligkeit häuslicher Abende entsagen, oder die Unterhaltung abbrechen und sich zurückziehen, um in stiller Ruhe ihre Leiden abzuwarten oder neue Kräfte zu gewinnen. Kehrte sie dann zurück, so wollte sie des Über- standenen nicht mehr gedenken, nahm das gehemmte Gespräch heiter wieder auf, und zeigte, wie in den besten Tagen, den liebenswürdigsten Eifer, in allen Richtungen Gutes und Er- freuliches hervorzurufen.
Wenn sie nur ihre gewöhnlichen Beschwerden hatte, suchte sie es mir häufig zu verbergen, und Schmerz und Leid im Stillen für sich abzumachen. In heftigeren Anfällen aber war das nicht möglich, sie wünschte dann auch meinen Bei-
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ten, deren ihr leicht und tief erregtes Gemüth oft von Andern ungeahndete oder doch unbegriffene zu tragen hatte, der ihr lange verhehlte, aber endlich eröffnete Trauerfall, daß in der Ferne der geliebte Bruder, und nach kurzer Friſt auch deſſen Gattin, unerwartet durch Krankheit dahingerafft worden, die Zerſtörung ſo manches Wunſches und Troſtes: dies alles ver- eint, war ein zu gewaltſamer Angriff, dem ſie nicht meht verhältnißmäßigen Widerſtand entgegenzuſtellen hatte.
Der Winter brachte, wie gewöhnlich, manche Verſchlim- merung, und beſchränkte mehr und mehr die Thätigkeit und den Antheil, den ſie, mehr noch für Andre als für ſich ſelbſt, an den Darbietungen des Tages zu nehmen pflegte. Selte- ner fuhr ſie aus, in das Theater gar nicht mehr, zu Beſuchen nur bei beſonderein Anlaß und als kurze Erſcheinung, die letztenmale, am 20. und 21. Januar, in den Thiergarten, um Luft und Sonne zu genießen. Gar oft mußte ſie auch der gewohnten Geſelligkeit häuslicher Abende entſagen, oder die Unterhaltung abbrechen und ſich zurückziehen, um in ſtiller Ruhe ihre Leiden abzuwarten oder neue Kräfte zu gewinnen. Kehrte ſie dann zurück, ſo wollte ſie des Über- ſtandenen nicht mehr gedenken, nahm das gehemmte Geſpräch heiter wieder auf, und zeigte, wie in den beſten Tagen, den liebenswürdigſten Eifer, in allen Richtungen Gutes und Er- freuliches hervorzurufen.
Wenn ſie nur ihre gewöhnlichen Beſchwerden hatte, ſuchte ſie es mir häufig zu verbergen, und Schmerz und Leid im Stillen für ſich abzumachen. In heftigeren Anfällen aber war das nicht möglich, ſie wünſchte dann auch meinen Bei-
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ten, deren ihr leicht und tief erregtes Gemüth oft von Andern
ungeahndete oder doch unbegriffene zu tragen hatte, der ihr
lange verhehlte, aber endlich eröffnete Trauerfall, daß in der
Ferne der geliebte Bruder, und nach kurzer Friſt auch deſſen
Gattin, unerwartet durch Krankheit dahingerafft worden, die
Zerſtörung ſo manches Wunſches und Troſtes: dies alles ver-
eint, war ein zu gewaltſamer Angriff, dem ſie nicht meht
verhältnißmäßigen Widerſtand entgegenzuſtellen hatte.
Der Winter brachte, wie gewöhnlich, manche Verſchlim-
merung, und beſchränkte mehr und mehr die Thätigkeit und
den Antheil, den ſie, mehr noch für Andre als für ſich ſelbſt,
an den Darbietungen des Tages zu nehmen pflegte. Selte-
ner fuhr ſie aus, in das Theater gar nicht mehr, zu Beſuchen
nur bei beſonderein Anlaß und als kurze Erſcheinung, die
letztenmale, am 20. und 21. Januar, in den Thiergarten,
um Luft und Sonne zu genießen. Gar oft mußte ſie auch
der gewohnten Geſelligkeit häuslicher Abende entſagen, oder
die Unterhaltung abbrechen und ſich zurückziehen, um in
ſtiller Ruhe ihre Leiden abzuwarten oder neue Kräfte zu
gewinnen. Kehrte ſie dann zurück, ſo wollte ſie des Über-
ſtandenen nicht mehr gedenken, nahm das gehemmte Geſpräch
heiter wieder auf, und zeigte, wie in den beſten Tagen, den
liebenswürdigſten Eifer, in allen Richtungen Gutes und Er-
freuliches hervorzurufen.
Wenn ſie nur ihre gewöhnlichen Beſchwerden hatte, ſuchte
ſie es mir häufig zu verbergen, und Schmerz und Leid im
Stillen für ſich abzumachen. In heftigeren Anfällen aber
war das nicht möglich, ſie wünſchte dann auch meinen Bei-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/47>, abgerufen am 15.10.2024.
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