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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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freuend vor ihrer Seele, und es machte ihr Vergnügen, in
vertraulichen Augenblicken davon zu sprechen, wobei sie doch
zugleich mit Ergebung alles den Umständen unterwerfen wollte.
Allein auch Vorstellungen ganz andrer Art, beschäftigten sie,
und meistentheils war ihr Gemüth zu geistigen Richtungen
hingewandt.

Zu allen Zeiten, in der Jugend wie im Alter, in ganz
gesunden, wie in kranken Tagen, waren die höchsten Aufgaben
des Menschen, die Thatsachen der geistigen Welt, und die
Empfindungen und Ahndungen eines hohen Zusammenhanges,
für Rahel die liebsten Gegenstände der Betrachtung, der immer
wiederkehrende Inhalt des Gesprächs. In Heiterkeit und mit
Laune, wie mit Ernst und in Erhebung, sprach sie oft vom
Tode, auch dem eignen, den sie nicht fürchtete, sondern mit
fast neugieriger Forschung anzuschauen pflegte. Bei täglichen
Anlässen, in unerwarteten Ausbrüchen, heißen Gebeten, und
tiefen, eigenthümlichen Gedankenblitzen, zeigte sich ihr gott-
ergebener, starker Sinn nach dieser Richtung offen und frei
hingewandt. Wir waren es gewohnt, Gegenstände und Be-
ziehungen dieser Art täglich und stündlich von ihr angeregt
und erörtert zu sehen. Allein wir mußten zu dieser Zeit bald
gewahr werden, daß die Richtung zu dem Unsichtbaren in
Rahel nicht nur entschiedener vorwaltete, sondern auch in ih-
ren Äußerungen eine durchaus erhöhte, persönlichere Bedeu-
tung empfing.

In solcher Weise sprach sie eines Tages unter andern mit
heitrer Innigkeit von einem schönen Traum, der ihr von Kindheit
an tröstlich gewesen. "In meinem siebenten Jahre", sagte sie,

freuend vor ihrer Seele, und es machte ihr Vergnügen, in
vertraulichen Augenblicken davon zu ſprechen, wobei ſie doch
zugleich mit Ergebung alles den Umſtänden unterwerfen wollte.
Allein auch Vorſtellungen ganz andrer Art, beſchäftigten ſie,
und meiſtentheils war ihr Gemüth zu geiſtigen Richtungen
hingewandt.

Zu allen Zeiten, in der Jugend wie im Alter, in ganz
geſunden, wie in kranken Tagen, waren die höchſten Aufgaben
des Menſchen, die Thatſachen der geiſtigen Welt, und die
Empfindungen und Ahndungen eines hohen Zuſammenhanges,
für Rahel die liebſten Gegenſtände der Betrachtung, der immer
wiederkehrende Inhalt des Geſprächs. In Heiterkeit und mit
Laune, wie mit Ernſt und in Erhebung, ſprach ſie oft vom
Tode, auch dem eignen, den ſie nicht fürchtete, ſondern mit
faſt neugieriger Forſchung anzuſchauen pflegte. Bei täglichen
Anläſſen, in unerwarteten Ausbrüchen, heißen Gebeten, und
tiefen, eigenthümlichen Gedankenblitzen, zeigte ſich ihr gott-
ergebener, ſtarker Sinn nach dieſer Richtung offen und frei
hingewandt. Wir waren es gewohnt, Gegenſtände und Be-
ziehungen dieſer Art täglich und ſtündlich von ihr angeregt
und erörtert zu ſehen. Allein wir mußten zu dieſer Zeit bald
gewahr werden, daß die Richtung zu dem Unſichtbaren in
Rahel nicht nur entſchiedener vorwaltete, ſondern auch in ih-
ren Äußerungen eine durchaus erhöhte, perſönlichere Bedeu-
tung empfing.

In ſolcher Weiſe ſprach ſie eines Tages unter andern mit
heitrer Innigkeit von einem ſchönen Traum, der ihr von Kindheit
an tröſtlich geweſen. „In meinem ſiebenten Jahre“, ſagte ſie,

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[36/0050] freuend vor ihrer Seele, und es machte ihr Vergnügen, in vertraulichen Augenblicken davon zu ſprechen, wobei ſie doch zugleich mit Ergebung alles den Umſtänden unterwerfen wollte. Allein auch Vorſtellungen ganz andrer Art, beſchäftigten ſie, und meiſtentheils war ihr Gemüth zu geiſtigen Richtungen hingewandt. Zu allen Zeiten, in der Jugend wie im Alter, in ganz geſunden, wie in kranken Tagen, waren die höchſten Aufgaben des Menſchen, die Thatſachen der geiſtigen Welt, und die Empfindungen und Ahndungen eines hohen Zuſammenhanges, für Rahel die liebſten Gegenſtände der Betrachtung, der immer wiederkehrende Inhalt des Geſprächs. In Heiterkeit und mit Laune, wie mit Ernſt und in Erhebung, ſprach ſie oft vom Tode, auch dem eignen, den ſie nicht fürchtete, ſondern mit faſt neugieriger Forſchung anzuſchauen pflegte. Bei täglichen Anläſſen, in unerwarteten Ausbrüchen, heißen Gebeten, und tiefen, eigenthümlichen Gedankenblitzen, zeigte ſich ihr gott- ergebener, ſtarker Sinn nach dieſer Richtung offen und frei hingewandt. Wir waren es gewohnt, Gegenſtände und Be- ziehungen dieſer Art täglich und ſtündlich von ihr angeregt und erörtert zu ſehen. Allein wir mußten zu dieſer Zeit bald gewahr werden, daß die Richtung zu dem Unſichtbaren in Rahel nicht nur entſchiedener vorwaltete, ſondern auch in ih- ren Äußerungen eine durchaus erhöhte, perſönlichere Bedeu- tung empfing. In ſolcher Weiſe ſprach ſie eines Tages unter andern mit heitrer Innigkeit von einem ſchönen Traum, der ihr von Kindheit an tröſtlich geweſen. „In meinem ſiebenten Jahre“, ſagte ſie,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/50>, abgerufen am 29.04.2024.