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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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heißen hatte; dann darf ich des innigen Glückes gedenken,
welches sie eines Abends genoß, da die theure Schwägerin
Ernestine Robert nicht ermüdete, mit seelenvoller Stimme ihr
die schönsten Gesänge vorzutragen, nicht ahndend, daß dies
die letzte Freude solcher Art sein würde, deren die leidenschaft-
liche Musikfreundin hier genießen sollte! Rahel durfte noch
öftere Wiederholung dieses Genusses hoffen, sie war noch thä-
tig, diese zu besprechen, zu bereiten. Allein grade in dieser
Zeit griffen die Krankheitsbeschwerden stärker und stärker in
ihre Tage und Stunden ein, und sie mußte mit Betrübniß
sich eingestehen, daß sie immer weniger Verfügung darüber
habe, immer andaurender von ihren Leiden abhängig werde.

Rahel fühlte wohl, daß ihre Lage sich nicht günstig ver-
änderte. Die Schranken der Arzneikunde waren ihr nur zu
wohl bekannt, als daß sie hätte von daher unbedingt Hülfe
erwarten wollen; in früheren Zeiten hatten berühmte Ärzte
viel bei ihr versehen, sich gröblich geirrt, und wenn ihr diese
Besorgniß jetzt auch fern lag, und sie in entscheidenden Au-
genblicken nie Mangel an Vertrauen zeigte, so mußte sie doch
das Gefühl, welches sie von ihrer Krankheit hatte, mit den
Äußerungen, welche sie darüber vernahm, in weitem Abstande
finden. Sie mochte kaum noch auf Heilung rechnen. Aber
Zeiten der Erholung, längere, wiederholte Fristen, und selbst
Jahre eines solchen Wechsels, durften ihr zuweilen möglich
scheinen, und sie hörte nicht selten in diesem Sinne die be-
stimmtesten Hoffnungen aussprechen. Bescheidene Plane, die
sie mit einer lieben Freundin für den Sommer lange voraus
als angenehme Heimlichkeit verabredet hatte, schwebten er-

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heißen hatte; dann darf ich des innigen Glückes gedenken,
welches ſie eines Abends genoß, da die theure Schwägerin
Erneſtine Robert nicht ermüdete, mit ſeelenvoller Stimme ihr
die ſchönſten Geſänge vorzutragen, nicht ahndend, daß dies
die letzte Freude ſolcher Art ſein würde, deren die leidenſchaft-
liche Muſikfreundin hier genießen ſollte! Rahel durfte noch
öftere Wiederholung dieſes Genuſſes hoffen, ſie war noch thä-
tig, dieſe zu beſprechen, zu bereiten. Allein grade in dieſer
Zeit griffen die Krankheitsbeſchwerden ſtärker und ſtärker in
ihre Tage und Stunden ein, und ſie mußte mit Betrübniß
ſich eingeſtehen, daß ſie immer weniger Verfügung darüber
habe, immer andaurender von ihren Leiden abhängig werde.

Rahel fühlte wohl, daß ihre Lage ſich nicht günſtig ver-
änderte. Die Schranken der Arzneikunde waren ihr nur zu
wohl bekannt, als daß ſie hätte von daher unbedingt Hülfe
erwarten wollen; in früheren Zeiten hatten berühmte Ärzte
viel bei ihr verſehen, ſich gröblich geirrt, und wenn ihr dieſe
Beſorgniß jetzt auch fern lag, und ſie in entſcheidenden Au-
genblicken nie Mangel an Vertrauen zeigte, ſo mußte ſie doch
das Gefühl, welches ſie von ihrer Krankheit hatte, mit den
Äußerungen, welche ſie darüber vernahm, in weitem Abſtande
finden. Sie mochte kaum noch auf Heilung rechnen. Aber
Zeiten der Erholung, längere, wiederholte Friſten, und ſelbſt
Jahre eines ſolchen Wechſels, durften ihr zuweilen möglich
ſcheinen, und ſie hörte nicht ſelten in dieſem Sinne die be-
ſtimmteſten Hoffnungen ausſprechen. Beſcheidene Plane, die
ſie mit einer lieben Freundin für den Sommer lange voraus
als angenehme Heimlichkeit verabredet hatte, ſchwebten er-

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[35/0049] heißen hatte; dann darf ich des innigen Glückes gedenken, welches ſie eines Abends genoß, da die theure Schwägerin Erneſtine Robert nicht ermüdete, mit ſeelenvoller Stimme ihr die ſchönſten Geſänge vorzutragen, nicht ahndend, daß dies die letzte Freude ſolcher Art ſein würde, deren die leidenſchaft- liche Muſikfreundin hier genießen ſollte! Rahel durfte noch öftere Wiederholung dieſes Genuſſes hoffen, ſie war noch thä- tig, dieſe zu beſprechen, zu bereiten. Allein grade in dieſer Zeit griffen die Krankheitsbeſchwerden ſtärker und ſtärker in ihre Tage und Stunden ein, und ſie mußte mit Betrübniß ſich eingeſtehen, daß ſie immer weniger Verfügung darüber habe, immer andaurender von ihren Leiden abhängig werde. Rahel fühlte wohl, daß ihre Lage ſich nicht günſtig ver- änderte. Die Schranken der Arzneikunde waren ihr nur zu wohl bekannt, als daß ſie hätte von daher unbedingt Hülfe erwarten wollen; in früheren Zeiten hatten berühmte Ärzte viel bei ihr verſehen, ſich gröblich geirrt, und wenn ihr dieſe Beſorgniß jetzt auch fern lag, und ſie in entſcheidenden Au- genblicken nie Mangel an Vertrauen zeigte, ſo mußte ſie doch das Gefühl, welches ſie von ihrer Krankheit hatte, mit den Äußerungen, welche ſie darüber vernahm, in weitem Abſtande finden. Sie mochte kaum noch auf Heilung rechnen. Aber Zeiten der Erholung, längere, wiederholte Friſten, und ſelbſt Jahre eines ſolchen Wechſels, durften ihr zuweilen möglich ſcheinen, und ſie hörte nicht ſelten in dieſem Sinne die be- ſtimmteſten Hoffnungen ausſprechen. Beſcheidene Plane, die ſie mit einer lieben Freundin für den Sommer lange voraus als angenehme Heimlichkeit verabredet hatte, ſchwebten er- 3 *

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/49>, abgerufen am 29.04.2024.