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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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ich allein, so leg' ich mir Millionen Höllen zurechte, wie Kin-
der mit Bausteinen, oder Sand thun. Bis gestern war ich
zu Hause; krank, meist allein: gestern Abend z. B. las ich
spät, und konnte dann die Nacht nicht schlafen. Ich kann
das nie vertragen. Gestern Morgen ging ich zum erstenmal
aus, und weil mir Minna Sonnabend geschrieben hatte, sie
wollen mich besuchen, so ging ich zu Sch.'s, und lud sie zu
gestern Abend; worauf mir Mamsell und Madam ingenument
sagten, Montag sähen sie immer bei sich Leute, aber jeden
andern Tag; sie kommen also diesen Abend. Wie finden Sie
die Grobheit, mir nicht zu sagen, ich soll zu ihnen kommen?
Die Leute die sie da sehen! Ich kenne sie alle. Sagen
Sie mir, warum sind alle Leute so niedrig, mir Sottisen zu
machen, bloß in dem Gedanken: die kann uns doch nichts
thun. -- Fragen Sie mich aber nun nicht, warum sehen Sie
sie heute? Hören Sie warum. Weil ich wirklich nicht in der
Lage bin, ihnen etwas zu thun: und, sein Sie versichert,
wenn ich heut zu Stand oder Vermögen, oder nur passage-
rem Einfluß käme, ich Alle behandelte, wie sie's verdienen.
"Wie hat sie sich verändert!" würden Sie sagen! Nicht im
geringsten
. Seit mehr als acht Jahren ist das deutlich
bei mir beschlossen. Ich verläugne sie. Diesmal aber dacht'
ich so: Siehst du sie gar nicht, so inkommodirt dich das;
und er giebt dir kein Buch mehr: so gehst und schickst du hin,
wenn du etwas willst, für dich oder Andere. -- Gedenken
thu' ich's ihnen doch. Und wäre mir heute das Mindeste
vorgefallen, wie ich es sogar vermuthete, so ließ ich ihnen
um 6 Uhr absagen. Auch Herr Harscher war seit dem Tag,

ich allein, ſo leg’ ich mir Millionen Höllen zurechte, wie Kin-
der mit Bauſteinen, oder Sand thun. Bis geſtern war ich
zu Hauſe; krank, meiſt allein: geſtern Abend z. B. las ich
ſpät, und konnte dann die Nacht nicht ſchlafen. Ich kann
das nie vertragen. Geſtern Morgen ging ich zum erſtenmal
aus, und weil mir Minna Sonnabend geſchrieben hatte, ſie
wollen mich beſuchen, ſo ging ich zu Sch.’s, und lud ſie zu
geſtern Abend; worauf mir Mamſell und Madam ingénument
ſagten, Montag ſähen ſie immer bei ſich Leute, aber jeden
andern Tag; ſie kommen alſo dieſen Abend. Wie finden Sie
die Grobheit, mir nicht zu ſagen, ich ſoll zu ihnen kommen?
Die Leute die ſie da ſehen! Ich kenne ſie alle. Sagen
Sie mir, warum ſind alle Leute ſo niedrig, mir Sottiſen zu
machen, bloß in dem Gedanken: die kann uns doch nichts
thun. — Fragen Sie mich aber nun nicht, warum ſehen Sie
ſie heute? Hören Sie warum. Weil ich wirklich nicht in der
Lage bin, ihnen etwas zu thun: und, ſein Sie verſichert,
wenn ich heut zu Stand oder Vermögen, oder nur paſſage-
rem Einfluß käme, ich Alle behandelte, wie ſie’s verdienen.
„Wie hat ſie ſich verändert!“ würden Sie ſagen! Nicht im
geringſten
. Seit mehr als acht Jahren iſt das deutlich
bei mir beſchloſſen. Ich verläugne ſie. Diesmal aber dacht’
ich ſo: Siehſt du ſie gar nicht, ſo inkommodirt dich das;
und er giebt dir kein Buch mehr: ſo gehſt und ſchickſt du hin,
wenn du etwas willſt, für dich oder Andere. — Gedenken
thu’ ich’s ihnen doch. Und wäre mir heute das Mindeſte
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[562/0576] ich allein, ſo leg’ ich mir Millionen Höllen zurechte, wie Kin- der mit Bauſteinen, oder Sand thun. Bis geſtern war ich zu Hauſe; krank, meiſt allein: geſtern Abend z. B. las ich ſpät, und konnte dann die Nacht nicht ſchlafen. Ich kann das nie vertragen. Geſtern Morgen ging ich zum erſtenmal aus, und weil mir Minna Sonnabend geſchrieben hatte, ſie wollen mich beſuchen, ſo ging ich zu Sch.’s, und lud ſie zu geſtern Abend; worauf mir Mamſell und Madam ingénument ſagten, Montag ſähen ſie immer bei ſich Leute, aber jeden andern Tag; ſie kommen alſo dieſen Abend. Wie finden Sie die Grobheit, mir nicht zu ſagen, ich ſoll zu ihnen kommen? Die Leute die ſie da ſehen! Ich kenne ſie alle. Sagen Sie mir, warum ſind alle Leute ſo niedrig, mir Sottiſen zu machen, bloß in dem Gedanken: die kann uns doch nichts thun. — Fragen Sie mich aber nun nicht, warum ſehen Sie ſie heute? Hören Sie warum. Weil ich wirklich nicht in der Lage bin, ihnen etwas zu thun: und, ſein Sie verſichert, wenn ich heut zu Stand oder Vermögen, oder nur paſſage- rem Einfluß käme, ich Alle behandelte, wie ſie’s verdienen. „Wie hat ſie ſich verändert!“ würden Sie ſagen! Nicht im geringſten. Seit mehr als acht Jahren iſt das deutlich bei mir beſchloſſen. Ich verläugne ſie. Diesmal aber dacht’ ich ſo: Siehſt du ſie gar nicht, ſo inkommodirt dich das; und er giebt dir kein Buch mehr: ſo gehſt und ſchickſt du hin, wenn du etwas willſt, für dich oder Andere. — Gedenken thu’ ich’s ihnen doch. Und wäre mir heute das Mindeſte vorgefallen, wie ich es ſogar vermuthete, ſo ließ ich ihnen um 6 Uhr abſagen. Auch Herr Harſcher war ſeit dem Tag,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/576>, abgerufen am 26.04.2024.