Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

daß das schöne Geschlecht bei Verkältungen von der
Natur milder und schonender behandelt wird als der
Mann, selbst er fühlte, daß er für die Gründlichkeit,
womit die Natur im starken Geschlechte diesen Prozeß
durchzuführen pflegt, denn doch auch sehr der Lang¬
muth und Nachsicht jener bedurfte, die sie ihrerseits
darin nicht ebenso bedürfen. Und so verweilten denn
nicht nur die Mütter, sondern auch die Väter mit
wohlgefälligen Blicken auf den anmuthigen Mädchen,
wie sie der säuberlichen Gabe sich nur als einer Art
von neuem Garderobestück erfreuten.

Jedes beschenkte Kind war, die vorige Ordnung ein¬
haltend, auf seine alte Stelle zurückgetreten, der Halb¬
kreis war wieder gebildet, der Druide trat wieder vor
und redete die Kinder an: "Und jetzo empfanget mit
Andacht an eurem Leibe das heilige Zeichen der Weihe!"

Die Kinder wurden unruhig, mehreren sah man
Spannung und Angst an, sie wurden dafür von den
andern geneckt, die Miene des gestrengen Priesters
selbst zeigte eine gewisse Erheiterung, es zuckte in seinen
Mundwinkeln, durch die Gemeinde, namentlich durch
die Schaar der Dirnen, zog ein anwachsendes Kichern.
Der erste Knabe schritt stolz entschlossen zum andern
Ende des Dolmen, wo der bärtige Alte stand, und
bot ihm den entblößten Arm. Der Greis hatte bereits
eines seiner spitzen Beinstäbchen in den Napf getaucht,
die Spitze erschien nun blau, er faßte den Arm des

daß das ſchöne Geſchlecht bei Verkältungen von der
Natur milder und ſchonender behandelt wird als der
Mann, ſelbſt er fühlte, daß er für die Gründlichkeit,
womit die Natur im ſtarken Geſchlechte dieſen Prozeß
durchzuführen pflegt, denn doch auch ſehr der Lang¬
muth und Nachſicht jener bedurfte, die ſie ihrerſeits
darin nicht ebenſo bedürfen. Und ſo verweilten denn
nicht nur die Mütter, ſondern auch die Väter mit
wohlgefälligen Blicken auf den anmuthigen Mädchen,
wie ſie der ſäuberlichen Gabe ſich nur als einer Art
von neuem Garderobeſtück erfreuten.

Jedes beſchenkte Kind war, die vorige Ordnung ein¬
haltend, auf ſeine alte Stelle zurückgetreten, der Halb¬
kreis war wieder gebildet, der Druide trat wieder vor
und redete die Kinder an: „Und jetzo empfanget mit
Andacht an eurem Leibe das heilige Zeichen der Weihe!“

Die Kinder wurden unruhig, mehreren ſah man
Spannung und Angſt an, ſie wurden dafür von den
andern geneckt, die Miene des geſtrengen Prieſters
ſelbſt zeigte eine gewiſſe Erheiterung, es zuckte in ſeinen
Mundwinkeln, durch die Gemeinde, namentlich durch
die Schaar der Dirnen, zog ein anwachſendes Kichern.
Der erſte Knabe ſchritt ſtolz entſchloſſen zum andern
Ende des Dolmen, wo der bärtige Alte ſtand, und
bot ihm den entblößten Arm. Der Greis hatte bereits
eines ſeiner ſpitzen Beinſtäbchen in den Napf getaucht,
die Spitze erſchien nun blau, er faßte den Arm des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0226" n="213"/>
daß das &#x017F;chöne Ge&#x017F;chlecht bei Verkältungen von der<lb/>
Natur milder und &#x017F;chonender behandelt wird als der<lb/>
Mann, &#x017F;elb&#x017F;t er fühlte, daß er für die Gründlichkeit,<lb/>
womit die Natur im &#x017F;tarken Ge&#x017F;chlechte die&#x017F;en Prozeß<lb/>
durchzuführen pflegt, denn doch auch &#x017F;ehr der Lang¬<lb/>
muth und Nach&#x017F;icht jener bedurfte, die &#x017F;ie ihrer&#x017F;eits<lb/>
darin nicht eben&#x017F;o bedürfen. Und &#x017F;o verweilten denn<lb/>
nicht nur die Mütter, &#x017F;ondern auch die Väter mit<lb/>
wohlgefälligen Blicken auf den anmuthigen Mädchen,<lb/>
wie &#x017F;ie der &#x017F;äuberlichen Gabe &#x017F;ich nur als einer Art<lb/>
von neuem Garderobe&#x017F;tück erfreuten.</p><lb/>
        <p>Jedes be&#x017F;chenkte Kind war, die vorige Ordnung ein¬<lb/>
haltend, auf &#x017F;eine alte Stelle zurückgetreten, der Halb¬<lb/>
kreis war wieder gebildet, der Druide trat wieder vor<lb/>
und redete die Kinder an: &#x201E;Und jetzo empfanget mit<lb/>
Andacht an eurem Leibe das heilige Zeichen der Weihe!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Kinder wurden unruhig, mehreren &#x017F;ah man<lb/>
Spannung und Ang&#x017F;t an, &#x017F;ie wurden dafür von den<lb/>
andern geneckt, die Miene des ge&#x017F;trengen Prie&#x017F;ters<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zeigte eine gewi&#x017F;&#x017F;e Erheiterung, es zuckte in &#x017F;einen<lb/>
Mundwinkeln, durch die Gemeinde, namentlich durch<lb/>
die Schaar der Dirnen, zog ein anwach&#x017F;endes Kichern.<lb/>
Der er&#x017F;te Knabe &#x017F;chritt &#x017F;tolz ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en zum andern<lb/>
Ende des Dolmen, wo der bärtige Alte &#x017F;tand, und<lb/>
bot ihm den entblößten Arm. Der Greis hatte bereits<lb/>
eines &#x017F;einer &#x017F;pitzen Bein&#x017F;täbchen in den Napf getaucht,<lb/>
die Spitze er&#x017F;chien nun blau, er faßte den Arm des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0226] daß das ſchöne Geſchlecht bei Verkältungen von der Natur milder und ſchonender behandelt wird als der Mann, ſelbſt er fühlte, daß er für die Gründlichkeit, womit die Natur im ſtarken Geſchlechte dieſen Prozeß durchzuführen pflegt, denn doch auch ſehr der Lang¬ muth und Nachſicht jener bedurfte, die ſie ihrerſeits darin nicht ebenſo bedürfen. Und ſo verweilten denn nicht nur die Mütter, ſondern auch die Väter mit wohlgefälligen Blicken auf den anmuthigen Mädchen, wie ſie der ſäuberlichen Gabe ſich nur als einer Art von neuem Garderobeſtück erfreuten. Jedes beſchenkte Kind war, die vorige Ordnung ein¬ haltend, auf ſeine alte Stelle zurückgetreten, der Halb¬ kreis war wieder gebildet, der Druide trat wieder vor und redete die Kinder an: „Und jetzo empfanget mit Andacht an eurem Leibe das heilige Zeichen der Weihe!“ Die Kinder wurden unruhig, mehreren ſah man Spannung und Angſt an, ſie wurden dafür von den andern geneckt, die Miene des geſtrengen Prieſters ſelbſt zeigte eine gewiſſe Erheiterung, es zuckte in ſeinen Mundwinkeln, durch die Gemeinde, namentlich durch die Schaar der Dirnen, zog ein anwachſendes Kichern. Der erſte Knabe ſchritt ſtolz entſchloſſen zum andern Ende des Dolmen, wo der bärtige Alte ſtand, und bot ihm den entblößten Arm. Der Greis hatte bereits eines ſeiner ſpitzen Beinſtäbchen in den Napf getaucht, die Spitze erſchien nun blau, er faßte den Arm des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/226
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/226>, abgerufen am 29.04.2024.