Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Arbeit der Alten, unter Mithülfe einiger geschickter
Mütter vollzogen. Der Priester reicht die Gabe dem
ersten Kinde und so geht die Handlung der Reihe nach
fort, bis das letzte beschenkt ist. Angus zog, als die
Vertheilung zu Ende war, sein eigenes, ebenfalls blaues
und weißgetupftes Tuch und gebrauchte es kräftig und
feierlich. Die Kinder folgten ihm auch in diesem
Akte, doch die Mädchen fast nur scheinbar. Der
symbolische Akt dieser ersten Verwendung war eigent¬
lich feststehendes Herkommen, bei den Mädchen hielt
man aber nicht eben strenge darauf und sah es gerne,
wenn sie das Angebinde nur vergnügt ansahen, kaum
zum Näschen führten und dann einschoben. Das
Weib war, wir dürfen es nicht verschweigen, von den
Pfahlbewohnern nicht eben hoch geachtet; daß es von
der Entzündung der Schleimhäute, welche der Glaube
dieses Volks in so sonderbare Verbindung mit der
Religion brachte, seltener befallen wird und daß sie
bei ihm viel leichter zu verlaufen pflegt, darin sah
man eine gewisse Oberflächlichkeit, um deren willen
man sich berechtigt glaubte, es als ein niedrigeres
Wesen zu betrachten. Nicht daß es unter diesem
verwerflichen Fehlschluße viel gelitten hätte; heim¬
lich im Innern der rauhen Männerbrust fällte das
Gefühl ein zarteres Urtheil, als im Kopfe der dog¬
matisch beengte und erstarrte Verstand: selbst der
Pfahlbürger sah es denn doch natürlich nicht ungern,

Arbeit der Alten, unter Mithülfe einiger geſchickter
Mütter vollzogen. Der Prieſter reicht die Gabe dem
erſten Kinde und ſo geht die Handlung der Reihe nach
fort, bis das letzte beſchenkt iſt. Angus zog, als die
Vertheilung zu Ende war, ſein eigenes, ebenfalls blaues
und weißgetupftes Tuch und gebrauchte es kräftig und
feierlich. Die Kinder folgten ihm auch in dieſem
Akte, doch die Mädchen faſt nur ſcheinbar. Der
ſymboliſche Akt dieſer erſten Verwendung war eigent¬
lich feſtſtehendes Herkommen, bei den Mädchen hielt
man aber nicht eben ſtrenge darauf und ſah es gerne,
wenn ſie das Angebinde nur vergnügt anſahen, kaum
zum Näschen führten und dann einſchoben. Das
Weib war, wir dürfen es nicht verſchweigen, von den
Pfahlbewohnern nicht eben hoch geachtet; daß es von
der Entzündung der Schleimhäute, welche der Glaube
dieſes Volks in ſo ſonderbare Verbindung mit der
Religion brachte, ſeltener befallen wird und daß ſie
bei ihm viel leichter zu verlaufen pflegt, darin ſah
man eine gewiſſe Oberflächlichkeit, um deren willen
man ſich berechtigt glaubte, es als ein niedrigeres
Weſen zu betrachten. Nicht daß es unter dieſem
verwerflichen Fehlſchluße viel gelitten hätte; heim¬
lich im Innern der rauhen Männerbruſt fällte das
Gefühl ein zarteres Urtheil, als im Kopfe der dog¬
matiſch beengte und erſtarrte Verſtand: ſelbſt der
Pfahlbürger ſah es denn doch natürlich nicht ungern,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0225" n="212"/>
Arbeit der Alten, unter Mithülfe einiger ge&#x017F;chickter<lb/>
Mütter vollzogen. Der Prie&#x017F;ter reicht die Gabe dem<lb/>
er&#x017F;ten Kinde und &#x017F;o geht die Handlung der Reihe nach<lb/>
fort, bis das letzte be&#x017F;chenkt i&#x017F;t. Angus zog, als die<lb/>
Vertheilung zu Ende war, &#x017F;ein eigenes, ebenfalls blaues<lb/>
und weißgetupftes Tuch und gebrauchte es kräftig und<lb/>
feierlich. Die Kinder folgten ihm auch in die&#x017F;em<lb/>
Akte, doch die Mädchen fa&#x017F;t nur &#x017F;cheinbar. Der<lb/>
&#x017F;ymboli&#x017F;che Akt die&#x017F;er er&#x017F;ten Verwendung war eigent¬<lb/>
lich fe&#x017F;t&#x017F;tehendes Herkommen, bei den Mädchen hielt<lb/>
man aber nicht eben &#x017F;trenge darauf und &#x017F;ah es gerne,<lb/>
wenn &#x017F;ie das Angebinde nur vergnügt an&#x017F;ahen, kaum<lb/>
zum Näschen führten und dann ein&#x017F;choben. Das<lb/>
Weib war, wir dürfen es nicht ver&#x017F;chweigen, von den<lb/>
Pfahlbewohnern nicht eben hoch geachtet; daß es von<lb/>
der Entzündung der Schleimhäute, welche der Glaube<lb/>
die&#x017F;es Volks in &#x017F;o &#x017F;onderbare Verbindung mit der<lb/>
Religion brachte, &#x017F;eltener befallen wird und daß &#x017F;ie<lb/>
bei ihm viel leichter zu verlaufen pflegt, darin &#x017F;ah<lb/>
man eine gewi&#x017F;&#x017F;e Oberflächlichkeit, um deren willen<lb/>
man &#x017F;ich berechtigt glaubte, es als ein niedrigeres<lb/>
We&#x017F;en zu betrachten. Nicht daß es unter die&#x017F;em<lb/>
verwerflichen Fehl&#x017F;chluße viel gelitten hätte; heim¬<lb/>
lich im Innern der rauhen Männerbru&#x017F;t fällte das<lb/>
Gefühl ein zarteres Urtheil, als im Kopfe der dog¬<lb/>
mati&#x017F;ch beengte und er&#x017F;tarrte Ver&#x017F;tand: &#x017F;elb&#x017F;t der<lb/>
Pfahlbürger &#x017F;ah es denn doch natürlich nicht ungern,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0225] Arbeit der Alten, unter Mithülfe einiger geſchickter Mütter vollzogen. Der Prieſter reicht die Gabe dem erſten Kinde und ſo geht die Handlung der Reihe nach fort, bis das letzte beſchenkt iſt. Angus zog, als die Vertheilung zu Ende war, ſein eigenes, ebenfalls blaues und weißgetupftes Tuch und gebrauchte es kräftig und feierlich. Die Kinder folgten ihm auch in dieſem Akte, doch die Mädchen faſt nur ſcheinbar. Der ſymboliſche Akt dieſer erſten Verwendung war eigent¬ lich feſtſtehendes Herkommen, bei den Mädchen hielt man aber nicht eben ſtrenge darauf und ſah es gerne, wenn ſie das Angebinde nur vergnügt anſahen, kaum zum Näschen führten und dann einſchoben. Das Weib war, wir dürfen es nicht verſchweigen, von den Pfahlbewohnern nicht eben hoch geachtet; daß es von der Entzündung der Schleimhäute, welche der Glaube dieſes Volks in ſo ſonderbare Verbindung mit der Religion brachte, ſeltener befallen wird und daß ſie bei ihm viel leichter zu verlaufen pflegt, darin ſah man eine gewiſſe Oberflächlichkeit, um deren willen man ſich berechtigt glaubte, es als ein niedrigeres Weſen zu betrachten. Nicht daß es unter dieſem verwerflichen Fehlſchluße viel gelitten hätte; heim¬ lich im Innern der rauhen Männerbruſt fällte das Gefühl ein zarteres Urtheil, als im Kopfe der dog¬ matiſch beengte und erſtarrte Verſtand: ſelbſt der Pfahlbürger ſah es denn doch natürlich nicht ungern,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/225
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/225>, abgerufen am 29.04.2024.