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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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als bei einer sehr nahe verwandten Art derselben Gattung, wie bei
allen übrigen Haien und Rochen, keine Spur eines solchen Mutter-
kuchens vorkommt. Endlich heben wir noch ganz besonders hervor,
daß die Embryonen aller Quermäuler zu einer gewissen Zeit ihres
Lebens äußere Kiemen besitzen, welche in Gestalt feiner Fäden auf
den Rändern der Kiemenspalten aufsitzen und deren Struktur keinen
Zweifel läßt, daß sie der Athemfunction dienen. Bei den Embryonen
der Knochenfische kommt keine Spur solcher äußeren Kiemen vor und
auch bei den Rochen und Haien verschwinden sie gänzlich vor der
völligen Reife der Embryonen. Bei manchen Gattungen hat man
noch an dem Rande des Spritzloches ebenfalls solche Kiemenfäden ent-
deckt, welche aber noch weit früher verschwinden, als die Fäden an
den Rändern der Kiemenspalten. Bei keinem erwachsenen Fische findet
sich eine Spur solcher äußerer Kiemen vor, während sie bei den nie-
deren Amphibien das ganze Leben hindurch bleiben und ihre Anwe-
senheit bei erwachsenen Thieren einen Charakter für die Amphibien-
natur giebt.

Die Classifikation der Fische erschien von jeher als eine
der schwierigsten Aufgaben der Zoologie, zumal da man bis auf die
neueste Zeit in künstlicher Weise nur auf einen einzigen Charakter
Rücksicht nahm und diesen bald in der Stellung der Bauchflossen,
bald in der Natur der Flossenstrahlen, bald in der Struktur der
Schuppen zu finden glaubte, alles Charaktere, welche zwar einen
großen Werth besitzen, aber dennoch niemals in exklusiver Weise gel-
ten können. Erst in der neuesten Zeit hat man, auf vielfache anato-
mische Untersuchungen gestützt, die Ordnungen durch anatomische
Merkmale zu begränzen gesucht und so ist es gelungen, ein natürliches
System aufzustellen, welches zwar durch weitere Verfolgung der ana-
tomischen Untersuchungen und namentlich der noch sehr mangelhaften
Beobachtungen über die Entwicklungsgeschichte vielfältige Umgestaltun-
gen erfahren wird, vorläufig aber wenigstens das Verdienst besitzt,
daß es ziemlich genau dem Stande unserer jetzigen Kenntnisse ent-
spricht. Wir theilen hiernach die Fische in sechs Ordnungen, die wir
kurz in folgender Weise charakterisiren.

Die Röhrenherzen (Leptocardia), die niedersten Wirbelthiere
überhaupt darstellend, mit wurmförmig pulsirenden Gefäßstämmen, ohne
besonderes Herz, mit einfacher Wirbelsaite, ohne Schädel und mit völlig
rudimentärem Gehirne.

Die Rundmäuler (Cyclostomata), mit knorpligem Skelette,
aus einer Chorda und embryonaler Schädelkapsel gebildet, rundlichen

als bei einer ſehr nahe verwandten Art derſelben Gattung, wie bei
allen übrigen Haien und Rochen, keine Spur eines ſolchen Mutter-
kuchens vorkommt. Endlich heben wir noch ganz beſonders hervor,
daß die Embryonen aller Quermäuler zu einer gewiſſen Zeit ihres
Lebens äußere Kiemen beſitzen, welche in Geſtalt feiner Fäden auf
den Rändern der Kiemenſpalten aufſitzen und deren Struktur keinen
Zweifel läßt, daß ſie der Athemfunction dienen. Bei den Embryonen
der Knochenfiſche kommt keine Spur ſolcher äußeren Kiemen vor und
auch bei den Rochen und Haien verſchwinden ſie gänzlich vor der
völligen Reife der Embryonen. Bei manchen Gattungen hat man
noch an dem Rande des Spritzloches ebenfalls ſolche Kiemenfäden ent-
deckt, welche aber noch weit früher verſchwinden, als die Fäden an
den Rändern der Kiemenſpalten. Bei keinem erwachſenen Fiſche findet
ſich eine Spur ſolcher äußerer Kiemen vor, während ſie bei den nie-
deren Amphibien das ganze Leben hindurch bleiben und ihre Anwe-
ſenheit bei erwachſenen Thieren einen Charakter für die Amphibien-
natur giebt.

Die Claſſifikation der Fiſche erſchien von jeher als eine
der ſchwierigſten Aufgaben der Zoologie, zumal da man bis auf die
neueſte Zeit in künſtlicher Weiſe nur auf einen einzigen Charakter
Rückſicht nahm und dieſen bald in der Stellung der Bauchfloſſen,
bald in der Natur der Floſſenſtrahlen, bald in der Struktur der
Schuppen zu finden glaubte, alles Charaktere, welche zwar einen
großen Werth beſitzen, aber dennoch niemals in exkluſiver Weiſe gel-
ten können. Erſt in der neueſten Zeit hat man, auf vielfache anato-
miſche Unterſuchungen geſtützt, die Ordnungen durch anatomiſche
Merkmale zu begränzen geſucht und ſo iſt es gelungen, ein natürliches
Syſtem aufzuſtellen, welches zwar durch weitere Verfolgung der ana-
tomiſchen Unterſuchungen und namentlich der noch ſehr mangelhaften
Beobachtungen über die Entwicklungsgeſchichte vielfältige Umgeſtaltun-
gen erfahren wird, vorläufig aber wenigſtens das Verdienſt beſitzt,
daß es ziemlich genau dem Stande unſerer jetzigen Kenntniſſe ent-
ſpricht. Wir theilen hiernach die Fiſche in ſechs Ordnungen, die wir
kurz in folgender Weiſe charakteriſiren.

Die Röhrenherzen (Leptocardia), die niederſten Wirbelthiere
überhaupt darſtellend, mit wurmförmig pulſirenden Gefäßſtämmen, ohne
beſonderes Herz, mit einfacher Wirbelſaite, ohne Schädel und mit völlig
rudimentärem Gehirne.

Die Rundmäuler (Cyclostomata), mit knorpligem Skelette,
aus einer Chorda und embryonaler Schädelkapſel gebildet, rundlichen

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[100/0106] als bei einer ſehr nahe verwandten Art derſelben Gattung, wie bei allen übrigen Haien und Rochen, keine Spur eines ſolchen Mutter- kuchens vorkommt. Endlich heben wir noch ganz beſonders hervor, daß die Embryonen aller Quermäuler zu einer gewiſſen Zeit ihres Lebens äußere Kiemen beſitzen, welche in Geſtalt feiner Fäden auf den Rändern der Kiemenſpalten aufſitzen und deren Struktur keinen Zweifel läßt, daß ſie der Athemfunction dienen. Bei den Embryonen der Knochenfiſche kommt keine Spur ſolcher äußeren Kiemen vor und auch bei den Rochen und Haien verſchwinden ſie gänzlich vor der völligen Reife der Embryonen. Bei manchen Gattungen hat man noch an dem Rande des Spritzloches ebenfalls ſolche Kiemenfäden ent- deckt, welche aber noch weit früher verſchwinden, als die Fäden an den Rändern der Kiemenſpalten. Bei keinem erwachſenen Fiſche findet ſich eine Spur ſolcher äußerer Kiemen vor, während ſie bei den nie- deren Amphibien das ganze Leben hindurch bleiben und ihre Anwe- ſenheit bei erwachſenen Thieren einen Charakter für die Amphibien- natur giebt. Die Claſſifikation der Fiſche erſchien von jeher als eine der ſchwierigſten Aufgaben der Zoologie, zumal da man bis auf die neueſte Zeit in künſtlicher Weiſe nur auf einen einzigen Charakter Rückſicht nahm und dieſen bald in der Stellung der Bauchfloſſen, bald in der Natur der Floſſenſtrahlen, bald in der Struktur der Schuppen zu finden glaubte, alles Charaktere, welche zwar einen großen Werth beſitzen, aber dennoch niemals in exkluſiver Weiſe gel- ten können. Erſt in der neueſten Zeit hat man, auf vielfache anato- miſche Unterſuchungen geſtützt, die Ordnungen durch anatomiſche Merkmale zu begränzen geſucht und ſo iſt es gelungen, ein natürliches Syſtem aufzuſtellen, welches zwar durch weitere Verfolgung der ana- tomiſchen Unterſuchungen und namentlich der noch ſehr mangelhaften Beobachtungen über die Entwicklungsgeſchichte vielfältige Umgeſtaltun- gen erfahren wird, vorläufig aber wenigſtens das Verdienſt beſitzt, daß es ziemlich genau dem Stande unſerer jetzigen Kenntniſſe ent- ſpricht. Wir theilen hiernach die Fiſche in ſechs Ordnungen, die wir kurz in folgender Weiſe charakteriſiren. Die Röhrenherzen (Leptocardia), die niederſten Wirbelthiere überhaupt darſtellend, mit wurmförmig pulſirenden Gefäßſtämmen, ohne beſonderes Herz, mit einfacher Wirbelſaite, ohne Schädel und mit völlig rudimentärem Gehirne. Die Rundmäuler (Cyclostomata), mit knorpligem Skelette, aus einer Chorda und embryonaler Schädelkapſel gebildet, rundlichen

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/106>, abgerufen am 28.04.2024.