Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

hoher Kamm über die Mittellinie des Schädels sich hinzieht; die
Augenhöhle ist gewöhnlich nach hinten in die Schläfengrube geöffnet;
die kurzen starken Kiefer tragen vorn einen Bogen kleiner, senkrecht
gestellter, meißelartiger Schneidezähne, derer Zahl und Dauer sehr
unbeständig ist, da sie bei manchen Gattungen schon sehr bald ausfal-
len, ohne später ersetzt zu werden. Die Eckzähne sind groß, hackig
gekrümmt, scharf gespitzt, zuweilen in Form von Hauern entwickelt;
die Backzähne bis auf den letzten gewöhnlich einwurzelig, in ihrer
Form nicht verschieden, mit scharfen längsgereihten Kronen versehen,
die oben oft sägeartig eingekerbt sind, so daß bei manchen Gattungen
jede Zahnkrone förmlich die Gestalt eines mehr oder minder tief ein-
geschnittenen Dreizackes erhält. Das weite Maul ist mit dicken, aufge-
wulsteten Lippen bedeckt, in denen einzelne sehr dicke und lange, spi-
ralig gedrehte Schnurrborsten stecken; die Nasenlöcher finden sich am
Ende der Schnauze und bilden meist Längsspalten, welche durch be-
sondere Muskeln hermetisch geschlossen werden können; die Augen sind
groß, klar, meist hellbraun gefärbt und von ausnehmend klugem Aus-
drucke, die schönsten Augen im ganzen Thierreich; die Ohröffnung ist
sehr klein und ein äußeres Ohr entweder gar nicht vorhanden oder
sehr rudimentär. Die Vorderfüße stehen unmittelbar unter der Brust,
wo der Körper am dicksten ist, und stellen breite kurzgestielte Ruder-
lappen vor, an denen man zwar die Zehen und die ihnen entsprechen-
den gekrümmten scharfen Hakenkrallen deutlich unterscheiden kann, die
aber durch eine dicke, behaarte Schwimmhaut mit einander zu Schwimm-
flossen verbunden sind; die Hinterfüße sind durchaus nach hinten ge-
schoben, in gleicher Flucht mit dem Körper gestreckt und so zu beiden
Seiten des kurzen Schwanzes gestellt, daß sie eine mächtige, doppelte
senkrechte Endflosse bilden, welche das wesentliche Bewegungswerkzeug
des Thieres ist. Die Zitzen liegen weit nach hinten in der Nähe dieser
mißgestalteten Ruderfüße.

Sämmtliche Robben leben in dem Meere, aber stets in der Nähe
der Küsten, wo sie sich besonders in Flußmündungen an felsigen, un-
bewohnten Inseln und in der Nähe der Eisbänke gefallen. Auf die
flossenartigen Vorderfüße gestützt, kriechen sie mühsam, den schweren
Körper auf dem Boden schleifend, an ihren Lieblingsplätzen aufs
Trockene, wo sie meistens gemeinschaftlich in der Sonne schlafen und
beim Nahen einer Gefahr sich sogleich in das Wasser stürzen. Man
jagt sie des Speckes und der Häute wegen, indem man sie auf dem

hoher Kamm über die Mittellinie des Schädels ſich hinzieht; die
Augenhöhle iſt gewöhnlich nach hinten in die Schläfengrube geöffnet;
die kurzen ſtarken Kiefer tragen vorn einen Bogen kleiner, ſenkrecht
geſtellter, meißelartiger Schneidezähne, derer Zahl und Dauer ſehr
unbeſtändig iſt, da ſie bei manchen Gattungen ſchon ſehr bald ausfal-
len, ohne ſpäter erſetzt zu werden. Die Eckzähne ſind groß, hackig
gekrümmt, ſcharf geſpitzt, zuweilen in Form von Hauern entwickelt;
die Backzähne bis auf den letzten gewöhnlich einwurzelig, in ihrer
Form nicht verſchieden, mit ſcharfen längsgereihten Kronen verſehen,
die oben oft ſägeartig eingekerbt ſind, ſo daß bei manchen Gattungen
jede Zahnkrone förmlich die Geſtalt eines mehr oder minder tief ein-
geſchnittenen Dreizackes erhält. Das weite Maul iſt mit dicken, aufge-
wulſteten Lippen bedeckt, in denen einzelne ſehr dicke und lange, ſpi-
ralig gedrehte Schnurrborſten ſtecken; die Naſenlöcher finden ſich am
Ende der Schnauze und bilden meiſt Längsſpalten, welche durch be-
ſondere Muskeln hermetiſch geſchloſſen werden können; die Augen ſind
groß, klar, meiſt hellbraun gefärbt und von ausnehmend klugem Aus-
drucke, die ſchönſten Augen im ganzen Thierreich; die Ohröffnung iſt
ſehr klein und ein äußeres Ohr entweder gar nicht vorhanden oder
ſehr rudimentär. Die Vorderfüße ſtehen unmittelbar unter der Bruſt,
wo der Körper am dickſten iſt, und ſtellen breite kurzgeſtielte Ruder-
lappen vor, an denen man zwar die Zehen und die ihnen entſprechen-
den gekrümmten ſcharfen Hakenkrallen deutlich unterſcheiden kann, die
aber durch eine dicke, behaarte Schwimmhaut mit einander zu Schwimm-
floſſen verbunden ſind; die Hinterfüße ſind durchaus nach hinten ge-
ſchoben, in gleicher Flucht mit dem Körper geſtreckt und ſo zu beiden
Seiten des kurzen Schwanzes geſtellt, daß ſie eine mächtige, doppelte
ſenkrechte Endfloſſe bilden, welche das weſentliche Bewegungswerkzeug
des Thieres iſt. Die Zitzen liegen weit nach hinten in der Nähe dieſer
mißgeſtalteten Ruderfüße.

Sämmtliche Robben leben in dem Meere, aber ſtets in der Nähe
der Küſten, wo ſie ſich beſonders in Flußmündungen an felſigen, un-
bewohnten Inſeln und in der Nähe der Eisbänke gefallen. Auf die
floſſenartigen Vorderfüße geſtützt, kriechen ſie mühſam, den ſchweren
Körper auf dem Boden ſchleifend, an ihren Lieblingsplätzen aufs
Trockene, wo ſie meiſtens gemeinſchaftlich in der Sonne ſchlafen und
beim Nahen einer Gefahr ſich ſogleich in das Waſſer ſtürzen. Man
jagt ſie des Speckes und der Häute wegen, indem man ſie auf dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0493" n="487"/>
hoher Kamm über die Mittellinie des Schädels &#x017F;ich hinzieht; die<lb/>
Augenhöhle i&#x017F;t gewöhnlich nach hinten in die Schläfengrube geöffnet;<lb/>
die kurzen &#x017F;tarken Kiefer tragen vorn einen Bogen kleiner, &#x017F;enkrecht<lb/>
ge&#x017F;tellter, meißelartiger Schneidezähne, derer Zahl und Dauer &#x017F;ehr<lb/>
unbe&#x017F;tändig i&#x017F;t, da &#x017F;ie bei manchen Gattungen &#x017F;chon &#x017F;ehr bald ausfal-<lb/>
len, ohne &#x017F;päter er&#x017F;etzt zu werden. Die Eckzähne &#x017F;ind groß, hackig<lb/>
gekrümmt, &#x017F;charf ge&#x017F;pitzt, zuweilen in Form von Hauern entwickelt;<lb/>
die Backzähne bis auf den letzten gewöhnlich einwurzelig, in ihrer<lb/>
Form nicht ver&#x017F;chieden, mit &#x017F;charfen längsgereihten Kronen ver&#x017F;ehen,<lb/>
die oben oft &#x017F;ägeartig eingekerbt &#x017F;ind, &#x017F;o daß bei manchen Gattungen<lb/>
jede Zahnkrone förmlich die Ge&#x017F;talt eines mehr oder minder tief ein-<lb/>
ge&#x017F;chnittenen Dreizackes erhält. Das weite Maul i&#x017F;t mit dicken, aufge-<lb/>
wul&#x017F;teten Lippen bedeckt, in denen einzelne &#x017F;ehr dicke und lange, &#x017F;pi-<lb/>
ralig gedrehte Schnurrbor&#x017F;ten &#x017F;tecken; die Na&#x017F;enlöcher finden &#x017F;ich am<lb/>
Ende der Schnauze und bilden mei&#x017F;t Längs&#x017F;palten, welche durch be-<lb/>
&#x017F;ondere Muskeln hermeti&#x017F;ch ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden können; die Augen &#x017F;ind<lb/>
groß, klar, mei&#x017F;t hellbraun gefärbt und von ausnehmend klugem Aus-<lb/>
drucke, die &#x017F;chön&#x017F;ten Augen im ganzen Thierreich; die Ohröffnung i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ehr klein und ein äußeres Ohr entweder gar nicht vorhanden oder<lb/>
&#x017F;ehr rudimentär. Die Vorderfüße &#x017F;tehen unmittelbar unter der Bru&#x017F;t,<lb/>
wo der Körper am dick&#x017F;ten i&#x017F;t, und &#x017F;tellen breite kurzge&#x017F;tielte Ruder-<lb/>
lappen vor, an denen man zwar die Zehen und die ihnen ent&#x017F;prechen-<lb/>
den gekrümmten &#x017F;charfen Hakenkrallen deutlich unter&#x017F;cheiden kann, die<lb/>
aber durch eine dicke, behaarte Schwimmhaut mit einander zu Schwimm-<lb/>
flo&#x017F;&#x017F;en verbunden &#x017F;ind; die Hinterfüße &#x017F;ind durchaus nach hinten ge-<lb/>
&#x017F;choben, in gleicher Flucht mit dem Körper ge&#x017F;treckt und &#x017F;o zu beiden<lb/>
Seiten des kurzen Schwanzes ge&#x017F;tellt, daß &#x017F;ie eine mächtige, doppelte<lb/>
&#x017F;enkrechte Endflo&#x017F;&#x017F;e bilden, welche das we&#x017F;entliche Bewegungswerkzeug<lb/>
des Thieres i&#x017F;t. Die Zitzen liegen weit nach hinten in der Nähe die&#x017F;er<lb/>
mißge&#x017F;talteten Ruderfüße.</p><lb/>
                  <p>Sämmtliche Robben leben in dem Meere, aber &#x017F;tets in der Nähe<lb/>
der Kü&#x017F;ten, wo &#x017F;ie &#x017F;ich be&#x017F;onders in Flußmündungen an fel&#x017F;igen, un-<lb/>
bewohnten In&#x017F;eln und in der Nähe der Eisbänke gefallen. Auf die<lb/>
flo&#x017F;&#x017F;enartigen Vorderfüße ge&#x017F;tützt, kriechen &#x017F;ie müh&#x017F;am, den &#x017F;chweren<lb/>
Körper auf dem Boden &#x017F;chleifend, an ihren Lieblingsplätzen aufs<lb/>
Trockene, wo &#x017F;ie mei&#x017F;tens gemein&#x017F;chaftlich in der Sonne &#x017F;chlafen und<lb/>
beim Nahen einer Gefahr &#x017F;ich &#x017F;ogleich in das Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;türzen. Man<lb/>
jagt &#x017F;ie des Speckes und der Häute wegen, indem man &#x017F;ie auf dem<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[487/0493] hoher Kamm über die Mittellinie des Schädels ſich hinzieht; die Augenhöhle iſt gewöhnlich nach hinten in die Schläfengrube geöffnet; die kurzen ſtarken Kiefer tragen vorn einen Bogen kleiner, ſenkrecht geſtellter, meißelartiger Schneidezähne, derer Zahl und Dauer ſehr unbeſtändig iſt, da ſie bei manchen Gattungen ſchon ſehr bald ausfal- len, ohne ſpäter erſetzt zu werden. Die Eckzähne ſind groß, hackig gekrümmt, ſcharf geſpitzt, zuweilen in Form von Hauern entwickelt; die Backzähne bis auf den letzten gewöhnlich einwurzelig, in ihrer Form nicht verſchieden, mit ſcharfen längsgereihten Kronen verſehen, die oben oft ſägeartig eingekerbt ſind, ſo daß bei manchen Gattungen jede Zahnkrone förmlich die Geſtalt eines mehr oder minder tief ein- geſchnittenen Dreizackes erhält. Das weite Maul iſt mit dicken, aufge- wulſteten Lippen bedeckt, in denen einzelne ſehr dicke und lange, ſpi- ralig gedrehte Schnurrborſten ſtecken; die Naſenlöcher finden ſich am Ende der Schnauze und bilden meiſt Längsſpalten, welche durch be- ſondere Muskeln hermetiſch geſchloſſen werden können; die Augen ſind groß, klar, meiſt hellbraun gefärbt und von ausnehmend klugem Aus- drucke, die ſchönſten Augen im ganzen Thierreich; die Ohröffnung iſt ſehr klein und ein äußeres Ohr entweder gar nicht vorhanden oder ſehr rudimentär. Die Vorderfüße ſtehen unmittelbar unter der Bruſt, wo der Körper am dickſten iſt, und ſtellen breite kurzgeſtielte Ruder- lappen vor, an denen man zwar die Zehen und die ihnen entſprechen- den gekrümmten ſcharfen Hakenkrallen deutlich unterſcheiden kann, die aber durch eine dicke, behaarte Schwimmhaut mit einander zu Schwimm- floſſen verbunden ſind; die Hinterfüße ſind durchaus nach hinten ge- ſchoben, in gleicher Flucht mit dem Körper geſtreckt und ſo zu beiden Seiten des kurzen Schwanzes geſtellt, daß ſie eine mächtige, doppelte ſenkrechte Endfloſſe bilden, welche das weſentliche Bewegungswerkzeug des Thieres iſt. Die Zitzen liegen weit nach hinten in der Nähe dieſer mißgeſtalteten Ruderfüße. Sämmtliche Robben leben in dem Meere, aber ſtets in der Nähe der Küſten, wo ſie ſich beſonders in Flußmündungen an felſigen, un- bewohnten Inſeln und in der Nähe der Eisbänke gefallen. Auf die floſſenartigen Vorderfüße geſtützt, kriechen ſie mühſam, den ſchweren Körper auf dem Boden ſchleifend, an ihren Lieblingsplätzen aufs Trockene, wo ſie meiſtens gemeinſchaftlich in der Sonne ſchlafen und beim Nahen einer Gefahr ſich ſogleich in das Waſſer ſtürzen. Man jagt ſie des Speckes und der Häute wegen, indem man ſie auf dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/493
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/493>, abgerufen am 26.04.2024.