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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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Er schrieb an Ini, ihr seine Trophäen
sendend:

"Einem andern Mädchen dürfte ich schon
kühn nahen, und um ihre Hand werben. Denn
ein stattlicher Ritter, leg' ich der Geliebten
Feindes Waffen zu Füßen, und schmücke sie mit
einer Eroberung. Du aber steigerst deinen Ver¬
trag, und darfst, du Göttliche, höhern Preis
auf dich setzen. Je mehr ich sinne und handle,
je mehr lerne ich dich verstehn, je mehr be¬
greife ich, wie deine Idee menschlicher Würdig¬
keit weit hinaus liegt, über alles, was schon
Sterbliche thaten. Ich müßte vor diesem rei¬
neren Erkennen verzweifeln, deiner Forderung
glorreich Genüge zu thun, hätte ich nicht die
Wunderkraft fühlen lernen, die dein Bild in
meine Adern gießt. So aber beginne ich hof¬
fend den neuen Lauf, lebt doch das Flehn in
mir, das dich um Beistand anrufen kann, wie
in jenes Kampfes Stunde, wo gnädig mich die
Göttin erhörte."

Gelino sagte darauf, laß uns eine andere
Wohnung beziehn, wo wir mehr Schutz gegen
die Kälte finden. Der Winter ist strenge, im¬
mer höher deckt sich der Boden mit Schnee.

I

Er ſchrieb an Ini, ihr ſeine Trophaͤen
ſendend:

„Einem andern Maͤdchen duͤrfte ich ſchon
kuͤhn nahen, und um ihre Hand werben. Denn
ein ſtattlicher Ritter, leg' ich der Geliebten
Feindes Waffen zu Fuͤßen, und ſchmuͤcke ſie mit
einer Eroberung. Du aber ſteigerſt deinen Ver¬
trag, und darfſt, du Goͤttliche, hoͤhern Preis
auf dich ſetzen. Je mehr ich ſinne und handle,
je mehr lerne ich dich verſtehn, je mehr be¬
greife ich, wie deine Idee menſchlicher Wuͤrdig¬
keit weit hinaus liegt, uͤber alles, was ſchon
Sterbliche thaten. Ich muͤßte vor dieſem rei¬
neren Erkennen verzweifeln, deiner Forderung
glorreich Genuͤge zu thun, haͤtte ich nicht die
Wunderkraft fuͤhlen lernen, die dein Bild in
meine Adern gießt. So aber beginne ich hof¬
fend den neuen Lauf, lebt doch das Flehn in
mir, das dich um Beiſtand anrufen kann, wie
in jenes Kampfes Stunde, wo gnaͤdig mich die
Goͤttin erhoͤrte.“

Gelino ſagte darauf, laß uns eine andere
Wohnung beziehn, wo wir mehr Schutz gegen
die Kaͤlte finden. Der Winter iſt ſtrenge, im¬
mer hoͤher deckt ſich der Boden mit Schnee.

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[129/0141] Er ſchrieb an Ini, ihr ſeine Trophaͤen ſendend: „Einem andern Maͤdchen duͤrfte ich ſchon kuͤhn nahen, und um ihre Hand werben. Denn ein ſtattlicher Ritter, leg' ich der Geliebten Feindes Waffen zu Fuͤßen, und ſchmuͤcke ſie mit einer Eroberung. Du aber ſteigerſt deinen Ver¬ trag, und darfſt, du Goͤttliche, hoͤhern Preis auf dich ſetzen. Je mehr ich ſinne und handle, je mehr lerne ich dich verſtehn, je mehr be¬ greife ich, wie deine Idee menſchlicher Wuͤrdig¬ keit weit hinaus liegt, uͤber alles, was ſchon Sterbliche thaten. Ich muͤßte vor dieſem rei¬ neren Erkennen verzweifeln, deiner Forderung glorreich Genuͤge zu thun, haͤtte ich nicht die Wunderkraft fuͤhlen lernen, die dein Bild in meine Adern gießt. So aber beginne ich hof¬ fend den neuen Lauf, lebt doch das Flehn in mir, das dich um Beiſtand anrufen kann, wie in jenes Kampfes Stunde, wo gnaͤdig mich die Goͤttin erhoͤrte.“ Gelino ſagte darauf, laß uns eine andere Wohnung beziehn, wo wir mehr Schutz gegen die Kaͤlte finden. Der Winter iſt ſtrenge, im¬ mer hoͤher deckt ſich der Boden mit Schnee. I

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/141>, abgerufen am 16.04.2024.