Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Faß geworfen worden zu sein, meinte aber, man
habe ihn nach wenig Minuten wieder herausge¬
nommen, die Todesstrafe in eine andere zu ver¬
wandeln. Man sah also, daß ihm damals die
eigentliche Absicht nicht vertraut worden war.
Er rief um seinen Anwald, nannte die Namen
der Richter, welche alle nicht mehr lebten, bis
auf einen, der, ein hundertjähriger Greis, sich
mit im Saale befand, und über das, den mei¬
sten Unverständliche, was der Mann sagte, Auf¬
schlüsse gab.

Er trat auch zu ihm. O Himmel! rief er,
wie bleich, wie gerunzelt deine Wangen, Richter,
wie weiß dein Haar! Was hat dich seit gestern
so verändert? Und all diese Leute, wie selt¬
sam sind sie gekleidet! Wo bin ich? Wohin
brachtet ihr mich?

Man half ihm auf, führte ihn an ein Fen¬
ster. Er sah viele unbekannte Gebäude, ver¬
mißte viele alte. Bin ich trunken? Wahn¬
sinnig? Wo ist der Pallast geblieben, der dort
gestern noch stand? Wie kömmt so plötzlich der
große Tempel nach jener immer leeren Stelle?
Was soll ich denken?

Es war Zeit, ihm die Räthsel zu lösen, sein

Faß geworfen worden zu ſein, meinte aber, man
habe ihn nach wenig Minuten wieder herausge¬
nommen, die Todesſtrafe in eine andere zu ver¬
wandeln. Man ſah alſo, daß ihm damals die
eigentliche Abſicht nicht vertraut worden war.
Er rief um ſeinen Anwald, nannte die Namen
der Richter, welche alle nicht mehr lebten, bis
auf einen, der, ein hundertjaͤhriger Greis, ſich
mit im Saale befand, und uͤber das, den mei¬
ſten Unverſtaͤndliche, was der Mann ſagte, Auf¬
ſchluͤſſe gab.

Er trat auch zu ihm. O Himmel! rief er,
wie bleich, wie gerunzelt deine Wangen, Richter,
wie weiß dein Haar! Was hat dich ſeit geſtern
ſo veraͤndert? Und all dieſe Leute, wie ſelt¬
ſam ſind ſie gekleidet! Wo bin ich? Wohin
brachtet ihr mich?

Man half ihm auf, fuͤhrte ihn an ein Fen¬
ſter. Er ſah viele unbekannte Gebaͤude, ver¬
mißte viele alte. Bin ich trunken? Wahn¬
ſinnig? Wo iſt der Pallaſt geblieben, der dort
geſtern noch ſtand? Wie koͤmmt ſo ploͤtzlich der
große Tempel nach jener immer leeren Stelle?
Was ſoll ich denken?

Es war Zeit, ihm die Raͤthſel zu loͤſen, ſein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0283" n="271"/>
Faß geworfen worden zu &#x017F;ein, meinte aber, man<lb/>
habe ihn nach wenig Minuten wieder herausge¬<lb/>
nommen, die Todes&#x017F;trafe in eine andere zu ver¬<lb/>
wandeln. Man &#x017F;ah al&#x017F;o, daß ihm damals die<lb/>
eigentliche Ab&#x017F;icht nicht vertraut worden war.<lb/>
Er rief um &#x017F;einen Anwald, nannte die Namen<lb/>
der Richter, welche alle nicht mehr lebten, bis<lb/>
auf einen, der, ein hundertja&#x0364;hriger Greis, &#x017F;ich<lb/>
mit im Saale befand, und u&#x0364;ber das, den mei¬<lb/>
&#x017F;ten Unver&#x017F;ta&#x0364;ndliche, was der Mann &#x017F;agte, Auf¬<lb/>
&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e gab.</p><lb/>
          <p>Er trat auch zu ihm. O Himmel! rief er,<lb/>
wie bleich, wie gerunzelt deine Wangen, Richter,<lb/>
wie weiß dein Haar! Was hat dich &#x017F;eit ge&#x017F;tern<lb/>
&#x017F;o vera&#x0364;ndert? Und all die&#x017F;e Leute, wie &#x017F;elt¬<lb/>
&#x017F;am &#x017F;ind &#x017F;ie gekleidet! Wo bin ich? Wohin<lb/>
brachtet ihr mich?</p><lb/>
          <p>Man half ihm auf, fu&#x0364;hrte ihn an ein Fen¬<lb/>
&#x017F;ter. Er &#x017F;ah viele unbekannte Geba&#x0364;ude, ver¬<lb/>
mißte viele alte. Bin ich trunken? Wahn¬<lb/>
&#x017F;innig? Wo i&#x017F;t der Palla&#x017F;t geblieben, der dort<lb/>
ge&#x017F;tern noch &#x017F;tand? Wie ko&#x0364;mmt &#x017F;o plo&#x0364;tzlich der<lb/>
große Tempel nach jener immer leeren Stelle?<lb/>
Was &#x017F;oll ich denken?</p><lb/>
          <p>Es war Zeit, ihm die Ra&#x0364;th&#x017F;el zu lo&#x0364;&#x017F;en, &#x017F;ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0283] Faß geworfen worden zu ſein, meinte aber, man habe ihn nach wenig Minuten wieder herausge¬ nommen, die Todesſtrafe in eine andere zu ver¬ wandeln. Man ſah alſo, daß ihm damals die eigentliche Abſicht nicht vertraut worden war. Er rief um ſeinen Anwald, nannte die Namen der Richter, welche alle nicht mehr lebten, bis auf einen, der, ein hundertjaͤhriger Greis, ſich mit im Saale befand, und uͤber das, den mei¬ ſten Unverſtaͤndliche, was der Mann ſagte, Auf¬ ſchluͤſſe gab. Er trat auch zu ihm. O Himmel! rief er, wie bleich, wie gerunzelt deine Wangen, Richter, wie weiß dein Haar! Was hat dich ſeit geſtern ſo veraͤndert? Und all dieſe Leute, wie ſelt¬ ſam ſind ſie gekleidet! Wo bin ich? Wohin brachtet ihr mich? Man half ihm auf, fuͤhrte ihn an ein Fen¬ ſter. Er ſah viele unbekannte Gebaͤude, ver¬ mißte viele alte. Bin ich trunken? Wahn¬ ſinnig? Wo iſt der Pallaſt geblieben, der dort geſtern noch ſtand? Wie koͤmmt ſo ploͤtzlich der große Tempel nach jener immer leeren Stelle? Was ſoll ich denken? Es war Zeit, ihm die Raͤthſel zu loͤſen, ſein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/283
Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/283>, abgerufen am 26.04.2024.