Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee. Zweiundzwanzigster Gesang.
Brot und gebratenes Fleisch ward blutig. Aber die Freier
Schrien laut auf im Saale, da sie den Stürzenden sahen,
Sprangen empor von den Thronen, und schwärmten wild durch einander,
Schaueten ringsumher nach den schöngemauerten Wänden;
Aber da war kein Schild, und keine mächtige Lanze!25
Und sie schalten Odüßeus, und schrien die zürnenden Worte:

Uebel bekommt dir, Fremdling, das Männerschießen! Du kämpftest
Heute den lezten Kampf! Nun ist dein Verderben entschieden!
Wahrlich du tödtetest hier den Jüngling, welcher der größte
Held in Ithaka war! Drum sollen die Geier dich freßen!30

Also rufte der Schwarm; denn sie wähnten, er habe den Jüngling
Wider Willen getödtet: die Thoren! und wußten das nicht,
Daß nun über sie alle die Stunde des Todes verhängt war.
Zürnend schaute auf sie und sprach der weise Odüßeus:

Ha! ihr Hunde, ihr wähntet, ich kehrete nimmer zur Heimat35
Aus dem Lande der Troer! Drum zehrtet ihr Schwelger mein Gut auf,
Und beschlieft mit Gewalt die Weiber in meinem Palaste,
Ja ihr warbt sogar, da ich lebte, um meine Gemahlin:
Weder die Götter scheuend, des weiten Himmels Bewohner;
Noch ob ewige Schand' auf eurem Gedächtniße ruhte!40
Nun ist über euch alle die Stunde des Todes verhänget!

Also sprach er. Da faßte sie alle bleiches Entsezen;
Jeder sahe sich um, wo er dem Verderben entflöhe.
Nur Eurümachos gab aus dem Haufen ihm dieses zur Antwort:

Bist du denn jezt Odüßeus der Ithaker wiedergekommen,45
O so rügst du mit Recht die Thaten dieser Achaier!
Viel' Unarten geschahn im Palast, und viel' auf dem Lande:

D d

Oduͤßee. Zweiundzwanzigſter Geſang.
Brot und gebratenes Fleiſch ward blutig. Aber die Freier
Schrien laut auf im Saale, da ſie den Stuͤrzenden ſahen,
Sprangen empor von den Thronen, und ſchwaͤrmten wild durch einander,
Schaueten ringsumher nach den ſchoͤngemauerten Waͤnden;
Aber da war kein Schild, und keine maͤchtige Lanze!25
Und ſie ſchalten Oduͤßeus, und ſchrien die zuͤrnenden Worte:

Uebel bekommt dir, Fremdling, das Maͤnnerſchießen! Du kaͤmpfteſt
Heute den lezten Kampf! Nun iſt dein Verderben entſchieden!
Wahrlich du toͤdteteſt hier den Juͤngling, welcher der groͤßte
Held in Ithaka war! Drum ſollen die Geier dich freßen!30

Alſo rufte der Schwarm; denn ſie waͤhnten, er habe den Juͤngling
Wider Willen getoͤdtet: die Thoren! und wußten das nicht,
Daß nun uͤber ſie alle die Stunde des Todes verhaͤngt war.
Zuͤrnend ſchaute auf ſie und ſprach der weiſe Oduͤßeus:

Ha! ihr Hunde, ihr waͤhntet, ich kehrete nimmer zur Heimat35
Aus dem Lande der Troer! Drum zehrtet ihr Schwelger mein Gut auf,
Und beſchlieft mit Gewalt die Weiber in meinem Palaſte,
Ja ihr warbt ſogar, da ich lebte, um meine Gemahlin:
Weder die Goͤtter ſcheuend, des weiten Himmels Bewohner;
Noch ob ewige Schand' auf eurem Gedaͤchtniße ruhte!40
Nun iſt uͤber euch alle die Stunde des Todes verhaͤnget!

Alſo ſprach er. Da faßte ſie alle bleiches Entſezen;
Jeder ſahe ſich um, wo er dem Verderben entfloͤhe.
Nur Euruͤmachos gab aus dem Haufen ihm dieſes zur Antwort:

Biſt du denn jezt Oduͤßeus der Ithaker wiedergekommen,45
O ſo ruͤgſt du mit Recht die Thaten dieſer Achaier!
Viel' Unarten geſchahn im Palaſt, und viel' auf dem Lande:

D d
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0423" n="417"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee. Zweiundzwanzig&#x017F;ter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Brot und gebratenes Flei&#x017F;ch ward blutig. Aber die Freier<lb/>
Schrien laut auf im Saale, da &#x017F;ie den Stu&#x0364;rzenden &#x017F;ahen,<lb/>
Sprangen empor von den Thronen, und &#x017F;chwa&#x0364;rmten wild durch einander,<lb/>
Schaueten ringsumher nach den &#x017F;cho&#x0364;ngemauerten Wa&#x0364;nden;<lb/>
Aber da war kein Schild, und keine ma&#x0364;chtige Lanze!<note place="right">25</note><lb/>
Und &#x017F;ie &#x017F;chalten Odu&#x0364;ßeus, und &#x017F;chrien die zu&#x0364;rnenden Worte:</p><lb/>
        <p>Uebel bekommt dir, Fremdling, das Ma&#x0364;nner&#x017F;chießen! Du ka&#x0364;mpfte&#x017F;t<lb/>
Heute den lezten Kampf! Nun i&#x017F;t dein Verderben ent&#x017F;chieden!<lb/>
Wahrlich du to&#x0364;dtete&#x017F;t hier den Ju&#x0364;ngling, welcher der gro&#x0364;ßte<lb/>
Held in Ithaka war! Drum &#x017F;ollen die Geier dich freßen!<note place="right">30</note></p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o rufte der Schwarm; denn &#x017F;ie wa&#x0364;hnten, er habe den Ju&#x0364;ngling<lb/>
Wider Willen geto&#x0364;dtet: die Thoren! und wußten das nicht,<lb/>
Daß nun u&#x0364;ber &#x017F;ie alle die Stunde des Todes verha&#x0364;ngt war.<lb/>
Zu&#x0364;rnend &#x017F;chaute auf &#x017F;ie und &#x017F;prach der wei&#x017F;e Odu&#x0364;ßeus:</p><lb/>
        <p>Ha! ihr Hunde, ihr wa&#x0364;hntet, ich kehrete nimmer zur Heimat<note place="right">35</note><lb/>
Aus dem Lande der Troer! Drum zehrtet ihr Schwelger mein Gut auf,<lb/>
Und be&#x017F;chlieft mit Gewalt die Weiber in meinem Pala&#x017F;te,<lb/>
Ja ihr warbt &#x017F;ogar, da ich lebte, um meine Gemahlin:<lb/>
Weder die Go&#x0364;tter &#x017F;cheuend, des weiten Himmels Bewohner;<lb/>
Noch ob ewige Schand' auf eurem Geda&#x0364;chtniße ruhte!<note place="right">40</note><lb/>
Nun i&#x017F;t u&#x0364;ber euch alle die Stunde des Todes verha&#x0364;nget!</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er. Da faßte &#x017F;ie alle bleiches Ent&#x017F;ezen;<lb/>
Jeder &#x017F;ahe &#x017F;ich um, wo er dem Verderben entflo&#x0364;he.<lb/>
Nur Euru&#x0364;machos gab aus dem Haufen ihm die&#x017F;es zur Antwort:</p><lb/>
        <p>Bi&#x017F;t du denn jezt Odu&#x0364;ßeus der Ithaker wiedergekommen,<note place="right">45</note><lb/>
O &#x017F;o ru&#x0364;g&#x017F;t du mit Recht die Thaten die&#x017F;er Achaier!<lb/>
Viel' Unarten ge&#x017F;chahn im Pala&#x017F;t, und viel' auf dem Lande:<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[417/0423] Oduͤßee. Zweiundzwanzigſter Geſang. Brot und gebratenes Fleiſch ward blutig. Aber die Freier Schrien laut auf im Saale, da ſie den Stuͤrzenden ſahen, Sprangen empor von den Thronen, und ſchwaͤrmten wild durch einander, Schaueten ringsumher nach den ſchoͤngemauerten Waͤnden; Aber da war kein Schild, und keine maͤchtige Lanze! Und ſie ſchalten Oduͤßeus, und ſchrien die zuͤrnenden Worte: 25 Uebel bekommt dir, Fremdling, das Maͤnnerſchießen! Du kaͤmpfteſt Heute den lezten Kampf! Nun iſt dein Verderben entſchieden! Wahrlich du toͤdteteſt hier den Juͤngling, welcher der groͤßte Held in Ithaka war! Drum ſollen die Geier dich freßen! 30 Alſo rufte der Schwarm; denn ſie waͤhnten, er habe den Juͤngling Wider Willen getoͤdtet: die Thoren! und wußten das nicht, Daß nun uͤber ſie alle die Stunde des Todes verhaͤngt war. Zuͤrnend ſchaute auf ſie und ſprach der weiſe Oduͤßeus: Ha! ihr Hunde, ihr waͤhntet, ich kehrete nimmer zur Heimat Aus dem Lande der Troer! Drum zehrtet ihr Schwelger mein Gut auf, Und beſchlieft mit Gewalt die Weiber in meinem Palaſte, Ja ihr warbt ſogar, da ich lebte, um meine Gemahlin: Weder die Goͤtter ſcheuend, des weiten Himmels Bewohner; Noch ob ewige Schand' auf eurem Gedaͤchtniße ruhte! Nun iſt uͤber euch alle die Stunde des Todes verhaͤnget! 35 40 Alſo ſprach er. Da faßte ſie alle bleiches Entſezen; Jeder ſahe ſich um, wo er dem Verderben entfloͤhe. Nur Euruͤmachos gab aus dem Haufen ihm dieſes zur Antwort: Biſt du denn jezt Oduͤßeus der Ithaker wiedergekommen, O ſo ruͤgſt du mit Recht die Thaten dieſer Achaier! Viel' Unarten geſchahn im Palaſt, und viel' auf dem Lande: 45 D d

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/423
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/423>, abgerufen am 26.04.2024.